Es gibt zwei AfDs: die, die auf dem Parteitag in Essen am Wochenende Tagesordnungspunkt um Tagesordnungspunkt abarbeitete, ihre Vorsitzenden mit satten Mehrheiten wiederwählte und beinahe geräuschlos Kontroversen wegverhandelte, bevor sie groß wurden. Die andere AfD ist jene, die weiter streitet: in der Russlandpolitik, in der Europapolitik. Auch im Stil – darf man etwa „Remigration“ sagen, wie es das rechtsextreme Vorfeld tut, oder tut es auch „Migrationswende“, wie die Parteivorsitzende Alice Weidel es bevorzugt?
Dass die AfD in Essen so geordnet erschien, hat auch damit zu tun, dass Delegierte eben nicht die Basis sind. 600 kamen in Essen zusammen, von bald 50.000 Mitgliedern. Von letztgenannten bevorzugen viele schrille Töne. Weidel gab ihnen Zucker, etwa indem sie in einem ARD-Interview am Rande des Parteitags Diskussionen über Björn Höcke, der vor Gericht steht, weil er mehrfach eine Nazi-Parole verwendete, als „Kinderkacke“ bezeichnete. Auf der Bühne kündigte Weidel an, den „woken Hippie-Wahn“ in Deutschland zu beenden, und zählte Gesetze auf, die ihre Partei streichen werde, wenn sie in der Bundesregierung sei. Der stellvertretende Parteivorsitzende Stephan Brandner, wiedergewählt mit mehr als neunzig Prozent, forderte Haftbefehle gegen Politiker der Regierung.
Weidel wollte strengere Regeln für Auslandsreisen
Daneben beschloss der Parteitag einige außenpolitische Positionen. So entschied der Bundesvorstand, nachdem die Delegierten ihn befugt hatten, mit sofortiger Wirkung aus der ID-Partei auszutreten. Der hatte sie sich erst im vergangenen September angeschlossen; damals verband sie große Hoffnungen damit, sich europäisch prominent zu vernetzen. Die zugehörige ID-Fraktion hatte die AfD aber kürzlich rausgeworfen. Anlass war eine Äußerung des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zur nationalsozialistischen SS gewesen. Mit dem Austritt dürfte die AfD auch versucht haben, einem Ausschluss zuvorzukommen. Rechtsextreme in der Partei und dem Vorfeld lobten den Schritt als konsequent; so müsse man sich nicht der Französin Marine Le Pen unterwerfen, die in der ID den Ton angibt.
In zwei Resolutionen unterstrich die AfD außerdem ihren prorussischen Kurs. Eine „Resolution zur Außenpolitik“ war von Weidel und anderen eingebracht worden; sie verurteilt zwar den russischen Angriff auf die Ukraine, betont aber, die Außenpolitik verschiedener westlicher Staaten habe „die Eskalation in der Ukraine begünstigt“. Deutschland solle der Ukraine keine Waffen mehr liefern. Auf der Bühne hatte Weidel bereits formuliert, die Ukraine gehöre nicht zu Europa.
Eine zweite Resolution, die unter anderem von Höcke eingebracht wurde, beschreibt die AfD als „Friedenspartei“. Zwar äußerten auch einzelne Politiker in Essen Kritik an dem russlandfreundlichen Kurs der Partei, etwa Albrecht Glaser, der als einer von vier Bundestagsabgeordneten der AfD nicht die Rede Selenskyjs im deutschen Parlament boykottiert hatte. Aber sie blieben deutlich in der Minderheit.
Nicht begeistert waren die Delegierten von der Vorstellung, strengere Regeln für Auslandsreisen von Abgeordneten und für Interviews mit ausländischen Medien zu fassen. Die Befassung mit einem entsprechenden Antrag lehnten sie ab. Der war motiviert durch Erfahrungen der vergangenen Monate: etwa durch den Schaden, den Krahs Interview mit der SS-Passage angerichtet hatte – es war in einer italienischen Zeitung erschienen –, oder die Schlagzeilen, die Russlandreisen von AfD-Politikern gemacht hatten.
Gerade Weidel hatte sich zuletzt hinter den Kulissen sehr verärgert darüber gezeigt, dass Parteifreunde auf eigene Faust derlei heikle Expeditionen unternahmen, so etwa drei bayerische Landtagsabgeordnete, die sie anschließend der Öffentlichkeit erklären musste. Weidel kündigte auf dem Parteitag nichtsdestotrotz an, die AfD weiter professionalisieren zu wollen.
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