Björn Höcke hat keine Lust zu reden. Das ist eher eine Seltenheit, der Thüringer AfD-Landesvorsitzende spricht gerne, nicht zuletzt deshalb sitzt er am Landesgericht in Halle (Saale) wieder auf der Anklagebank. Doch zu seinem Lebenslauf schweigt er zunächst. „Es ist alles bekannt. Man verzeihe mir, dass ich vielleicht ermüdet bin“, sagt Höcke.
Ob der Politiker sich auf die Parteitagsstrapazen bezieht oder auf den sich mittlerweile über drei Tage hinziehenden Prozess wegen der Verwendung der SA-Parole „Alles für Deutschland“, lässt er unausgesprochen. Aus dem Bundesparteitag der AfD in Essen am Wochenende müsste er eigentlich Kraft gezogen haben. Die Rechtspopulisten demonstrierten dort Einigkeit, die AfD-Vorsitzende Alice Weidel bezeichnete die Diskussionen um Höcke als „Kinderkacke“.
Höcke-Anwälte scheitern mit Antragsflut
Daran, dass Höcke am Tag nach dem Parteitag wieder die Anklagebank drücken muss, ist auch die Prozesstaktik seiner Anwälte Florian Gempe und Ralf Hornemann schuld. Sie hatten in der vergangenen Woche das Landgericht mit einer Flut von Beweisanträgen überzogen, was den Zusatztermin notwendig gemacht hat.
Und so muss sich Richter Stengel am Montagmorgen zunächst einmal den Mund fusselig reden. Einen Antrag der Höcke-Verteidiger nach dem anderen schmettert er ab. Als Höcke und Verteidiger Hornemann sich währenddessen etwas zuflüstern, stockt der Richter. „Nicht, dass ich alles nochmal vorlesen muss“, scherzt er mahnend.
Auch wenn Höcke danach die Flüsterei unterlässt, mangelt es nicht an Wiederholungen: Stengel lehnt die Anträge immer wieder mit den gleichen Begründungen ab: „spielt keine Rolle“, „kommt nicht darauf an“, „spiegelt lediglich Meinungen wider“, „völlig ungeeignet“.
Höcke muss 16.900 Euro zahlen
So kommen die Prozessbeteiligten und -beobachter unter anderen um die Sichtung von Leni Riefenstahls Propagandafilm „Triumph des Willens“ herum, der die Argumentation der Anwälte stützen soll. Auch Höcke, der immer wieder gähnt, ist mutmaßlich froh, nicht noch länger in dem Gerichtssaal sitzen zu müssen.
Im Laufe des Verfahrens beziehen sich die Anwälte immer wieder darauf, dass „Alles für Deutschland“ bei der SA kein gängiges Symbol gewesen sei. Es gebe viele weitere SA-Kennzeichen, wie zum Beispiel das gemeinsame Marschieren, die heute noch gängig seien, ohne jemals angeklagt worden zu sein.
Diese Taktik, so zeigt sich nach rund fünf Stunden, ist nicht aufgegangen: Die Kammer verurteilt Höcke wegen des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“. 130 Tagessätze á 130 Euro muss er als Geldstrafe entrichten, also insgesamt 16.900 Euro.
In einem ersten Prozess gegen Höcke wegen der Verwendung der Parole waren es nur 13.000 Euro. Wie viel milder oder härter das Urteil diesmal ausfallen würde, war vor allem aus zwei Gründen offen: Zum einen rief Höcke bei einer Veranstaltung in Gera nur „Alles für . . .“, das Publikum ergänzte dann „Deutschland“. Zum anderen wusste Höcke bei der Veranstaltung definitiv um die Strafbarkeit der Parole, weil bereits wegen der ersten Verwendung Anklage erhoben worden war.
Staatsanwaltschaft wollte Höcke für Ämter sperren
Während Staatsanwalt Benedikt Bernzen ersteres für unerheblich hält, fällt für ihn zweiteres schwer ins Gewicht. Siegessicher hält der hochgewachsene Mann in seinem Plädoyer der Verteidigung ein „Eigentor“ vor. Sie hatte ein Buch eines Wissenschaftlers als Beweis dafür einbringen wollen, dass die SA-Parole im Nationalsozialismus kaum eine Rolle gespielt hat. Denn in dem Buch zur Sprache der Nazis kommt „Alles für Deutschland“ nicht vor. Die Staatsanwaltschaft kontaktierte den Autor, der die verquere Ansicht zurückweist, dass nur, weil etwas in der Literatur nicht vorkomme, es nie eine Rolle gespielt habe.
Anklagevertreter Bernzen fordert in seinem Plädoyer schließlich eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden soll, zudem sollen 10.000 Euro an eine gemeinnützige Organisation als Bewährungsauflage gezahlt werden. Ein leises Raunen geht aber bei einer anderen Forderung durchs Publikum: Bernzen will Höcke für zwei Jahre für öffentliche Ämter sperren. Ministerpräsident in Thüringen könnte der AfD-Spitzenkandidat dann nicht mehr werden.
Der Vorsitzende Richter Stengel und die Schöffen wollen so weit nicht gehen. Zwar sehen sie es als erwiesen, dass Höcke die vervollständigenden Rufe seines Publikums provoziert hat – „Sie wollten es“, erklärt Stengel. Das passe ins Bild zahlreicher weiterer anderer Provokationen des AfD-Politikers.
Höcke droht mit Untersuchungsausschuss
Doch der Richter lässt auch erkennen, dass er den fraglichen Paragraphen nicht für bedingungslos sinnvoll hält: „Über Paragraph 86a des Strafgesetzbuches kann man streiten, Wir wenden ihn an. Ob das so bleiben muss, sollen höhere Instanzen klären.“
Für Höcke, der sich die Urteilsbegründung nahezu regungslos anhört, ist das ein kleiner Erfolg. Abgeschlossen ist die Sache ohnehin nicht: In seinen letzten Worten – die sich lange ziehen – kündigt er den Weg durch die Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof an. Außerdem wolle er seinen AfD-Kollegen in Sachsen-Anhalt empfehlen, einen Untersuchungsausschuss zu einer angeblich politischen Justiz einzurichten.
Dieses Thema ist auch am dritten Prozesstag der bestimmende Nebenkriegsschauplatz. An zwei Stellen wird das besonders deutlich: Zum einen wirft Höcke Staatsanwalt Bernzen vor: „Sie haben mit Worten um sich geworfen, die polarisierend sind.“ Dass diese Beschreibung mindestens genauso gut auf den Angeklagten selbst zutrifft, ist in diesem Moment allen im Gerichtssaal klar.
An einer anderen Stelle wird ein Video einer AfD-Veranstaltung zur Beweisaufnahme abgespielt. Der Höcke im Video erklärt ironisch, die Anklage gegen ihn habe natürlich rein gar nichts „mit der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft zu tun, nein“. „Nein“, bekräftig der Höcke im Saal noch einmal mit einem durchdringenden Blick in Richtung Bernzen.
Richter Stengel liest Höcke dafür nach der Urteilsverkündung die Leviten: Er sei auch mit der Aufarbeitung von DDR-Urteilen beschäftigt, und führt einige Fälle beispielhaft an. So sei damals etwa eine Person wegen eines Witzes über den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Stengel macht den Gegensatz zum aktuellen Urteil deutlich: „Das war ein politisches Urteil.“
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