Fernwärmeanbieter sollen sich nicht „wie die Sau im Dorf“ verhalten

Zum Gelingen der Wärmewende ist es essentiell, dass sich Fernwärmeanbieter nicht „wie die Sau im Dorf“ verhalten, mahnt der Vorsitzende der Monopolkommission, der Juraprofessor Jürgen Kühling, im Gespräch mit der F.A.Z. Die Marktstruktur berge die Gefahr so stark steigender Preise, dass die Akzeptanz der Verbraucher verloren gehe und Bestrebungen zum Wechsel auf klimafreundlichere Heizungen „gegen die Wand zu fahren“ drohten.

Harte Worte. Kühling hält sie für nötig, denn es ruht eine Menge Hoffnung auf der Fernwärme. Zwar heizen derzeit dem Bundesverband für Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zufolge nur 15,3 Prozent (7 Millionen) der deutschen Haushalte mit Fernwärme, aber es sollen deutlich mehr werden. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen mittelfristig jedes Jahr mindestens 100.000 Gebäude neu angeschlossen werden. Denn Öl- und Gasheizungen müssen ausgetauscht werden, und nicht überall lassen sich problemlos Wärmepumpen verwenden: Die Installation gestaltet sich im Mehrfamilien-Altbau in der dicht besiedelten Großstadt deutlich schwieriger als im Einfamilienhaus mit Garten auf dem Dorf.

Doch im Fernwärmemarkt gibt es Wettbewerbsprobleme, kritisieren die Monopolwächter in ihrem diesjährigen Hauptgutachten, welches sie an diesem Montag Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) übergeben. Für Jürgen Kühling war es das letzte Gutachten; in die Kommission nachrücken wird der Wettbewerbsrechts-Professor Rupprecht Podszun von der Universität Düsseldorf. Im September wird das Gremium einen neuen Vorsitzenden wählen; es wird damit gerechnet, dass der DIW-Ökonom Tomaso Duso den Posten erhält.

„Für den Endverbraucher kaum zu durchschauen“

Fernwärmeanbieter sind Monopolisten auf ihrem jeweiligen Gebiet. Ihre Kunden sind ihnen also ausgeliefert, ohne dass es ernstzunehmende Konkurrenz gäbe. Das Bundeskartellamt führt insgesamt sechs Pilotverfahren gegen Anbieter, die im Verdacht stehen, zu Unrecht die Preise erhöht zu haben, und wünscht sich, auch offiziell für die Branche zuständig zu sein, wie Behördenchef Andreas Mundt der F.A.Z. kürzlich sagte.

Anders als die Sektoren Strom und Gas wurde die Fernwärme Anfang der 2000er Jahre nicht liberalisiert. Das heißt, die Anbieter sind nach wie vor vertikal integriert. Wärme wird weder national noch europäisch gehandelt, sondern ist ein lokales Gut: Sie wird in der Regel direkt vor Ort erzeugt und verbraucht, weil sich heißes Wasser nicht über lange Strecken transportieren lässt.

Mitte Juni forderten die Verbraucherschutzminister der Länder vom Bund dennoch eine Entflechtung von Netzbetrieb und Wärmeerzeugung. Auch die Monopolkommission kann sich das vorstellen. „Insbesondere bei großen Netzen könnte eine Auflösung des Verbundes zwischen natürlichem Netzmonopol, Wärmeproduktion und Vertrieb für Wettbewerb sorgen, der regulatorische Eingriffe auf der Endkundenebene unnötig macht“, schreiben die Fachleute. Denn im Kontext der angestrebten Wärmewende bestehe die Gefahr, „dass sich bereits bestehende Monopolstellungen der Fernwärmeversorger noch ausweiten und zu überhöhten Preisen führen“.

Kritik vom Mieterbund

Für ihr Urteil haben die Fachleute Daten aus 251 Fernwärmegebieten gesammelt, die etwa 85 Prozent der deutschen Kunden repräsentieren. Das Ergebnis: Die Preise hingen oft mit jenen in benachbarten Tarifgebieten zusammen, und die Preisunterschiede zwischen den Gebieten waren deutlich höher als bei anderen Energieträgern. Die Monopolkommission folgert daraus, dass der Wettbewerb vermindert sein könnte.

Kunden, die ihre Verträge kündigen möchten, haben meist keine Alternative jenseits eines kompletten Umbaus ihrer Heizungsanlage. Zudem laufen Fernwärmeverträge in der Regel deutlich länger als Strom- oder Gasverträge; erlaubt sind bis zu zehn Jahre. Mit so genannten Preisgleit- oder Preisanpassungsklauseln behalten sich die Unternehmen vor, auch während der Vertragslaufzeit die Tarife zu erhöhen.

„Preisanpassungsklauseln sind komplizierte Formeln, die für den Endverbraucher in der Regel kaum zu durchschauen sind“, sagt Thomas Engelke, Teamleiter Energie und Bauen im Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Die „komplizierten Formeln“ sind am Ende aber ein Regulierungselement – Preise dürfen nicht beliebig erhöht werden. Stattdessen fließen sowohl die Kosten von Erzeugung und Bereitstellung (Kostenelement) als auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt (Marktelement) meist hälftig in die Berechnung ein.

Wie viel dies am Ende aber bewirkt, stellten viele Menschen spätestens infrage, als nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine die Gaspreise stark stiegen und damit auch die Fernwärmerechnungen für manche Kunden in exorbitante Höhen schossen. Der Vorwurf: Der Gaspreis bilde auch dann die Grundlage der Preisbildung, wenn die Wärme de facto aus anderen Quellen stammt, etwa aus der Müllverbrennung. Auch der Mieterbund kritisiert, dass Versorger über einen Gas-Börsenpreisindex Kosten abrechnen können, die ihnen gar nicht entstanden sind.

Vorbild könnten auch die Niederlande sein

Von den 7 Millionen mit Fernwärme beheizten Haushalten sind 5,6 Millionen Mieterhaushalte, welche die bestehende Wärmeversorgung hinnehmen müssen und zudem über ein deutlich geringeres durchschnittliches Einkommen verfügen als Eigentümerhaushalte. Mieter sind in der Regel keine Vertragspartner des Wärmelieferanten und können unzulässige Vertragsklauseln nicht direkt rügen, sondern müssen sich im Rahmen der jährlichen Betriebskostenabrechnung des Vermieters auf das Wirtschaftlichkeitsgebot berufen. Dabei sind sie darlegungs- und beweislastpflichtig, Beschwerden haben kaum Aussicht auf Erfolg, kritisiert der Mieterbund.

Die Monopolkommission empfiehlt, im Fernwärmemarkt entweder einen funktionierenden Wettbewerb sicherzustellen oder – wo dies nicht möglich sei – zumindest einen „Als-ob-Wettbewerb“ zu implementieren. Der jetzige Regulierungsrahmen werde den „Wettbewerbsmängeln“ nicht mehr gerecht. Unter anderem schlagen die Fachleute eine zentrale Transparenzplattform vor, um die Preise für die Kunden transparenter zu machen. Zwar gibt es seit Mitte Mai schon eine Transparenzplattform auf Initiative der Verbände BDEW, AGFW und VKU. Doch erst die Hälfte aller Anbieter ist dort registriert.

Mit freiwilliger Teilnahme könnten „schwarze Schafe“ kaum identifiziert werden, erläutert Verbraucherschützer Engelke. Er fordert daher ein bundesweites Wärmenetzregister, das beispielsweise von der Bundesnetzagentur zur Verfügung gestellt werden könnte, einschließlich einer Fernwärmenetzkarte, auf der alle Anbieter verzeichnet sind.

Die Überlegungen der Monopolkommission gehen indes noch weiter. In einer nächsten „Zündstufe“, wie Kühling dies nennt, bringt das Gremium eine möglichst „vereinfachte“ Price-Cap-Regulierung für Fernwärmepreise ins Spiel. Dieser Deckel könnte sich beispielsweise an typischen Wärmepreisen orientieren, erläutert Monopolkommissionsmitglied Tomaso Duso. Unternehmen, die oberhalb des „Price-Caps“ lägen, müssten dann besondere Gründe dafür anführen, „etwa eine andere Geologie in dem jeweiligen Gebiet oder eine andere Erzeugungsstruktur“, sagt Kühling.

Ein Vorbild könnten auch die Niederlande sein, wo es schon jetzt einen Höchstpreis für Fernwärme gebe, der sich an den Gastarifen orientiert. Eine solche Maßnahme wäre allerdings durchaus umstritten. „Preisdeckel sind schwer auszugestalten“, sagt etwa Kartellamtschef Mundt zu der Idee. Er sei daher eher Anhänger einer „Case-to-Cast-Betrachtung“ mit besseren Instrumenten.

Weil der Fernwärmemarkt wachse, sei zudem davon auszugehen, dass Anbieter in Zukunft ihr Angebot ausweiten müssten, erläutert Kühling im Gespräch mit der F.A.Z. Dabei hätten sie als vertikal integrierte Unternehmen derzeit die freie Entscheidung zwischen „make or buy“ – also selbst auszubauen oder zuzukaufen. Der scheidende Chef der Monopolkommission schlägt vor, dass im Falle des Ausbaus der Erzeugung „Ausschreibungen stattfinden sollen, so dass sich mehrere Unternehmen darauf bewerben können“.

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