Vor dem EM-Duell mit der Türkei: Geschichten von Izmir bis Simmering

November 1977: Türkische Fans fuhren rund um die Uhr vor dem entscheidenden WM-Qualifikationsspiel mit Motorrädern ums Österreicher-Quartier. Nach schlafloser Nacht erfolgte die nächste „Psychoattacke“ in Form eines Dressen-Streits: Hans Krankl und Co. mussten in türkischen Trikots antreten, auf denen ÖFB-Zeugwart Helmut Legenstein das Halb-Mond-Emblem rausschnitt. Durch Sonn’ und Mond ließ man sich vom übermotivierten Gegner nicht schießen. Vielmehr erzielte Herbert Prohaska (er war als Ersatz für den wegen Bildarm-OP ausgefallenen Josef Hickersberger in die Startelf gerutscht) mit dem „Spitz von Izmir“ das 1:0, das die WM-Teilnahme ’78 (mit Höhepunkt Córdoba) sicherte.

November 2001: Nachdem Österreich mit einer Notelf (neun Spieler verweigerten aus Terrorangst eine Israel-Reise) in Tel Aviv dank eines späten Ausgleichstors von Andreas Herzog Entscheidungsspiele gegen die Türkei um die WM-Teilnahme in Japan/Südkorea erzwungen hatte, herrschte Euphorie. Jedoch nur kurz. Einer 0:1-Heimniederlage folgte ein 0:5-Debakel in Istanbul. Ein halbes Jahr danach konnte man immerhin behaupten, am WM-Bronzemedaillengewinner gescheitert zu sein.

In Wahrheit war der Aufstieg der Türkei zur Fußball-Großmacht überfällig. Wird doch in türkischen Städten, anders als in Wien, an fast jeder Straßenecke gekickt. Und über ein Trainingszentrum wie es jetzt anlässlich des Spatenstiches für das Asperner ÖFB-Bauprojekt von Politikern als epochale Errungenschaft gepriesen wird, verfügen Istanbuls Großklubs schon seit dem letzten Jahrtausend.

Türkische Wurzeln

Dennoch: Platz drei bei der WM 2002 blieb der bis heute größte türkische Erfolg. Im selben Jahr erzielte drei Monate später mit Muhammet Akagündüz erstmals ein türkisch-stämmiger Spieler ein Länderspieltor für Österreich. Eingewechselt von Teamchef Krankl gelang Akagündüz das 2:0 gegen Weißrussland in Minsk. Im selben EM-Quali-Match hatte Volkan Kahraman schon in der Startelf beginnen und brillieren dürfen.

Inzwischen profitieren mitteleuropäische Auswahlen immer öfter von türkischer Ballkunst. Ilkay Gündogan ist als deutscher Teamkapitän das prominenteste Beispiel dafür.

Akagündüz bewies nach Karriereende als Rapid-Nachwuchstrainer viel Gespür für Talente. Davon profitierte in Hütteldorf auch Mert Müldür. Derselbe Müldür, der in der EM-Vorrunde mit einem Volleytor glänzte – für die Türkei.

Aktuell schwärmt Akagündüz von Ralf Rangnick. Kahraman kann zum Achtelfinale nicht mehr befragt werden. Der einstige Ausnahmekicker, der später Sportchef vom Prohaskas Simmeringer Stammklub Ostbahn XI wurde, ist im Vorjahr Opfer einer Eifersuchtstragödie geworden. Erschossen vom Sponsor des Vereines.

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