Dieser Machtkampf im Rechtsaußen-Lager wird das Gesicht der EU bestimmen

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Es muss jetzt schnell gehen. Seit Tagen laufen hinter den Kulissen hektische Verhandlungen. Es geht um Macht und Posten. Wichtigster Strippenzieher im Getümmel ist Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Sein Land hat am 1. Juli für sechs Monate den Vorsitz über die 27 EU-Staaten übernommen, aber Orbán kümmert sich derzeit lieber um andere Dinge: etwa die Bildung einer neuen radikalen rechtspopulistischen Fraktion im EU-Parlament.

Wenn Orbáns Pläne aufgehen, könnte die neue Gruppierung nach den europäischen Christdemokraten (EVP) und den Sozialisten die drittstärkste Fraktion im Straßburger Abgeordnetenhaus werden – erst an vierter Stelle würde dann eine weitere rechtspopulistische Fraktion namens Europäische Konservative und Reformer (EKR) und – weit abgeschlagen – die Liberalen folgen. Es wäre der Beginn einer neuen Tektonik der Macht im EU-Parlament.

Denn sollte Orbáns Plan aufgehen, könnte die neue Fraktion mit dem Namen „Patrioten für Europa“ nach EVP und Sozialisten die wichtigsten Ausschüsse im Parlament für sich beanspruchen und sie würde zudem auch mindestens einen, wahrscheinlich aber mehrere von insgesamt 14 Vizepräsidenten des EU-Parlaments stellen.

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Wahlen in der EU

Hinzu kommt, dass die neue Fraktion in der sogenannten Konferenz der Präsidenten, in der sich unter dem Vorsitz des Parlamentspräsidenten die Fraktionschefs der einzelnen Fraktionen versammeln, erhebliches Gewicht bekommen würde. Denn diese Konferenz gilt als eigentliche Schaltstelle des Parlaments: Sie bestimmt über die Zusammensetzung der Ausschüsse, die Geschäftsordnung des Hohen Hauses und über zahlreiche inhaltliche Fragen. Dieser Zirkel wäre ein neues Machtzentrum für Orbán.

Aber noch ist er nicht am Ziel. Am Sonntag hat Orbán als Chef der ungarischen Fidesz-Partei zusammen mit dem Vorsitzenden der liberalpopulistischen Partei ANO in Tschechien, Andrej Babiš, und dem Chef der Freiheitlichen Partei in Österreich (FPÖ), Herbert Kickl, die Bildung der neuen Fraktion angekündigt. „Heute ist ein historischer Tag“, sagte Orbán. Man werde eintreten in „eine neue Ära der europäischen Politik“. Grundlage der neuen Fraktion soll ein sogenanntes Patriotisches Manifest sein, das sich laut Babiš für „die Verteidigung der Souveränität der Länder, den Kampf gegen illegale Migration und die Revision des ‚Green Deal‘“ einsetzt.

In dem Manifest wird aber ausdrücklich der russische Angriffskrieg in der Ukraine ausgespart. Orbán sprach lediglich davon, man wolle sich für „Frieden, Sicherheit und Entwicklung“ anstelle von „Krieg, Migration und Stagnation“ einsetzen. Das ist ein geschickter Schachzug: Denn die wolkige Formulierung würde es auch Parteien, die den russischen Angriffskrieg in der Ukraine – anders als Babiš, Kickl und Orbán – klar verurteilen, einen Beitritt ermöglichen. Dazu gehören etwa der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen in Frankreich oder die polnische PiS. Diese beiden Parteien würden dem neuen Bündnis „Patrioten für Europa“ zusammen allein 50 weitere Sitze bringen.

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Frankreich

Für die Bildung einer Fraktion im EU-Parlament gelten aber zwei wichtige Bedingungen: Sie muss mindestens 23 Mitglieder vorweisen, die aus sieben verschiedenen Ländern stammen. Bisher hat das Bündnis 24 Mitglieder, die jedoch nur aus drei Ländern kommen. Aber wer wird sich noch anschließen? Momentan rennt Orbán die Zeit davon. Die neue Fraktion muss spätestens kommende Woche stehen, denn in zwei Wochen tritt das neu gewählte EU-Parlament erstmalig zusammen. Bis dahin muss geklärt sein, welche Fraktion welche Ausschüsse erhalten. Je stärker die neue Orbán-Fraktion dann sein würde, desto mehr Einfluss wird sie gewinnen.

Sicher ist, dass die italienische Lega von Italiens Vize-Regierungschef Matteo Salvini beitreten wird, ebenso die rechtsextreme Chega-Partei, immerhin drittstärkste politische Kraft in Portugal. Orbán führt derzeit aber auch Gespräche mit der Partei Smer-SSD des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico und mit der Slowenischen Demokratischen Partei des früheren slowenischen Regierungschefs Janez Janša. Auch die Freiheitspartei (PVV) des niederländischen Wahlsiegers Geert Wilders ist ein Kandidat. All diese Parteien gehörten bisher entweder der Rechts-Fraktion ‚Identität und Demokratie‘ (ID), oder aber den Sozialisten oder Liberalen an.

Die neue Fraktion dürfte bald stehen. Sie wäre ein bunter Haufen, den vor allem eines eint: die Aussicht auf mehr Einfluss und lukrative Posten im neuen EU-Parlament.

Orbáns offene Rechnung

Unklar ist bisher, wie sich Le Pen und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski verhalten. Diese Frage aber ist für Orbán entscheidend. Denn die Macht der neuen Fraktion hängt maßgeblich davon ab, ob RN und PiS ihr beitreten werden. Le Pen will nach eigener Aussage abwarten, wie die französischen Parlamentswahlen am kommenden Sonntag ausgehen. Es kann aber durchaus sein, dass sie zusagt und dann zusammen mit Orbán das neue Bündnis anführen wird.

Andererseits umwirbt aber auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die Parteichefin der zweiten rechtspopulistischen Gruppierung im EU-Parlament, der EKR – die bisher mit 83 Abgeordneten drittstärkste Kraft im neuen EU-Parlament ist – Le Pen und Kaczynski. Sie lockt ebenfalls mit Einfluss und Posten.

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Umgang mit Rechtsnationalisten

Meloni ist jetzt Orbáns große Gegenspielerin. Es ist ein politisches Tauziehen zwischen zwei Alpha-Tieren hinter den Kulissen Brüssels. Beide wollen zwar souveräne Nationalstaaten in Europa, die möglichst wenige Kompetenzen an Brüssel abgeben, und beide setzen auf die Themen Familien, Heterosexualität, Religion und Tradition. Aber es gibt auch große Unterschiede: Meloni unterstützt die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland uneingeschränkt und sie setzt konsequent auf die Bekämpfung von Korruption und – trotz der umstrittenen geplanten Verfassungsreform in Italien – die Durchsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien.

Für die Parteien der Mitte, also EVP, Sozialisten und Liberalen, die im neugewählten EU-Parlament wieder eine informelle Koalition bilden wollen, wäre eine starke EKR unter Führung Melonis deutlich besser als Orbáns radikale Anti-Partei „Patrioten für Europa“. Zumal Orbán noch eine alte Rechnung offen hat mit dem Partei- und Fraktionschef der EVP, Manfred Weber.

Der Fidesz-Chef hatte die EVP nach einem langen und erbitterten Streit Anfang 2021 verlassen und war seitdem fraktionslos. Das schwächte den Einfluss Orbáns im EU-Parlament enorm. Für diese Schmach würde er sich jetzt liebend gerne an Weber rächen.

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EVP-Chef Manfred Weber

Orbáns früheres Schicksal könnte jetzt auch der AfD drohen. Sie wurde kürzlich wegen verschiedener Vorfälle aus der ID-Fraktion ausgeschlossen. „Ich kann nichts schönreden, es ist bitter: Uns wurde von der ID-Fraktion der Stuhl vor die Tür gestellt“, sagte Parteichefin Alice Weidel am Montag. Sie hofft nun, möglichst bald in der neuen Orbán-Fraktion eine Heimat zu finden – auch wenn Weidel am Dienstag aus taktischen Gründen gesagt hatte, dass der Anschluss „momentan keine Option für die AfD“ ist. Eine gewählt offene Formulierung, denn die AfD-Chefin möchte zumindest den Anschein wahren, als hätte sie in dieser Frage die Zügel in der Hand.

Doch Orbán zögert, weil er Marine Le Pen und Kaczynski, die als scharfe Kritiker der AfD gelten, nicht frühzeitig verärgern will. Beide sind ihm wichtiger als Weidel & Co. Weidel hofft nun auf die Fürsprache des FPÖ-Scharfmachers Kickl, einem engen Verbündeten der AfD-Chefin. Am Ende könnte die AfD aber fraktionslos bleiben, womit sie deutlich an Einfluss verlieren würde.

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