Haushaltsstreit der Ampel: Bei der SPD kommt die Angst ins Spiel

Selbstbewusstsein und Angst schließen sich nicht aus. Das kann man gerade beim linken Flügel der SPD beobachten. Die Parlamentarische Linke (PL) feiert dieser Tage ihr Bestehen seit 55 Jahren, und in einer symbolhungrigen Partei wie der SPD wird dieses unrunde Jubiläum wie ein hoher Feiertag begangen.

Es ist Dienstagabend, mehr Herbst als Sommer in Berlin, und Rolf Mützenich betritt die kleine Bühne im Garten der Alten Pumpe, einer Industrie-Event-Location. Man sei Zeuge wichtiger Tage, setzt Mützenich an.

Der Fraktionsvorsitzende ist ein ruhiger und eher nachdenklicher Mann. Aber derzeit dreht er regelrecht auf. Und das hat nicht nur mit dem Jubiläum seiner SPD-Strömung zu tun, sondern auch mit dem Mann, der gerade vor ihm in der ersten Reihe sitzt. Bundeskanzler Olaf Scholz.

Es brauche jetzt angesichts der schwierigen Haushaltsverhandlungen Zuversicht und Fortschritt, sagt Mützenich und bezieht sich damit auf die Rede von Scholz wenige Minuten zuvor. Aber er ergänzt noch ein Wort: Mut. Scholz könne Mut haben, sagt Mützenich, denn Fraktion und Partei unterstützten ihn dabei, die SPD-Forderungen in den Verhandlungen mit FDP und Grünen durchzusetzen.

Abgeordnete treten selbstbewusster auf

In der Fraktionssitzung wenige Stunden zuvor waren die DGB-Vorsitzende und der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie zu Gast. Ihre überraschend einhellige Botschaft: Deutschland möge bitte nicht kaputtgespart werden, es müsse stattdessen investiert werden.

So sieht man es auch in der SPD. „Wir sind nicht irgendwelche Sonderlinge“, sagt Mützenich beim Sommerfest. „Wir stehen in der Mitte.“ Auch wenn ungesagt, meinte man den Nachsatz zu hören: Olaf, du willst doch auch kein SPD-Sonderling sein?

So selbstbewusst wie gerade hat man die SPD-Abgeordneten lange nicht erlebt. Vor allem die vom linken Flügel. Sehr lange waren sie ruhig geblieben, Sondervermögen hin, Heizungsgesetz her. Scholz war nie der Liebling der Mehrheit in der SPD. Aber er hievte die Partei ins Kanzleramt, verhalf nicht zuletzt vielen jungen Kandidaten zum Mandat.

Dass die wiederum vieles runterschluckten, war der Preis dafür. Dass nach der Europawahl der Abgeordnetenneuling und PL-Sprecher Tim Klüssendorf als erster in der Fraktion den Kanzler kritisieren durfte, markiert das endgültige Ende dieser Zeit.

Mützenich, schon seit 22 Jahren Mitglied des Bundestags, verlor als Anhänger der Entspannungspolitik den Boden unter den Füßen, als Russland 2022 die Ukraine angriff und damit auch sein Lebenswerk in Frage stellte. Jetzt ist Mützenich wieder da. Er sagte vor der Fraktionssitzung am Dienstag, dass er noch in dieser Woche vom Kanzler informiert werden wolle über Ergebnisse der Haushaltsgespräche.

„Ich werde nicht den Haushaltsgesetzgeber, zumindest meine Fraktion, ohne Kenntnis über die Schwerpunkte und die Nutzung des Instruments in die Sommerpause gehen lassen.“ Seine Fraktion wolle auch noch Bewegungsspielraum für den Haushalt sehen.

Sonderfraktionssitzung am Freitag um 7 Uhr

Am Mittwochmittag wird der Druck durch die Fraktion dann noch mal erhöht. Für Freitagmorgen, 7 Uhr, wird eine Sonderfraktionssitzung in Präsenz angesetzt. Immerhin mit kleinem Imbiss. Dann soll über den Stand der Haushaltsverhandlungen beraten werden, am letzten Tag vor der parlamentarischen Sommerpause. Die Sitzung werde aber auch stattfinden, wenn es zu diesem Zeitpunkt noch keine Einigung gibt, heißt es. Man stelle sich vor, was dann aber los wäre.

Katja Mast, die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, fasst die Erwartungshaltung so zusammen: Die Abgeordneten müssten mit „klaren Informationen“ in die Sommerpause gehen. Bislang gebe es unter den 207 sozialdemokratischen Abgeordneten unterschiedliche Grade an Zufriedenheit, was den Stand der Information durch den Kanzler angehe.

Und hier kommt die Angst ins Spiel. Denn neben all den offiziellen Unterstützungsappellen gibt es in der SPD doch ein großes Misstrauen gegenüber Scholz mit Blick auf die Eckpunkte des Haushalts, mit deren Vorstellung von Donnerstag an gerechnet wird.

Der Kanzler ist zwar auch Mitglied der Parlamentarischen Linken. Aber dass er in der Frage, ob die Schuldenbremse nicht umgangen werden sollte, näher an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) steht als an der eigenen Partei, glauben auch die meisten Genossen. Sie halten Scholz zwar für einen guten Verhandler, aber auch die müssen eben auch etwas auf den Tisch legen, um zu einem Ergebnis zu kommen. Vor allem die SPD-Linke hat Angst vor der Frage, was das sein könnte.

Kanzler Scholz stellt sich am Mittwoch den Fragen der Abgeordneten
Kanzler Scholz stellt sich am Mittwoch den Fragen der AbgeordnetenOmer Messinger

Dass das ein verbreitetes Gefühl ist, zeigte das gemeinsame Papier der drei größten Strömungen in der Fraktion, von PL bis konservativem Seeheimer Kreis. Das Papier habe nur die Kritik an Scholz bündeln und kanalisieren sollen, heißt es, damit niemand aus der Reihe tanze. Aber es ließ sich auch als deutliche Ansage an den Regierungschef verstehen.

Ausdruck dessen war auch das Mitgliederbegehren. Drei Abgeordnete hatten es angestrengt, um Kürzungen in sozialdemokratischen Herzensbereichen zu verhindern. Die Jusos, die SPD-Frauen und die AG 60 plus hatten sich der Initiative angeschlossen. Der Parteivorstand hat es am Montag für rechtlich unzulässig erklärt, weil die Abgeordneten frei über den Haushalt entscheiden müssten.

Die Initiatoren werten das als fadenscheinige Begründung. Klar ist, dass so ein Begehren äußerst unangenehm für Scholz hätte werden können. Es wäre faktisch eine Abstimmung der SPD-Mitglieder über die Politik des eigenen Kanzlers geworden – mit ungewissem Ausgang.

Wie sehr oder wie wenig das alles den Kanzler belastet, lässt sich nicht sagen. Am Mittwochmittag stellt er sich den Fragen der Abgeordneten im Bundestag, die turnusmäßige Regierungsbefragung. Scholz spricht in seinem Eingangsstatement davon, dass es gerade sehr ernste Zeiten seien, meint damit aber nicht den Haushalt, sondern die erste Runde der Parlamentswahl in Frankreich.

Er lobt die schnellen Entscheidung bei der Besetzung der Spitzenposten in der EU und freut sich über den Ausgang der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen. All das schaffe notwendige Stabilität. Genauso wie die geplante Einbringung des Haushalts noch in diesem Monat. So habe er es ja auch immer angekündigt, sagt Scholz. Ganz so, als verstehe er die ganze Aufregung nicht. Und kenne nur Selbstbewusstsein, keine Angst.

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