Weiter Rätselraten über Bidens Kandidatur

Der Demokrat sei sich bewusst, dass er in den kommenden Tagen die Öffentlichkeit davon überzeugen müsse, dass er dem Job weiterhin gewachsen sei, zitierte die „NYT“ einen namentlich nicht genannten Verbündeten Bidens. Biden wisse, dass „wir in einer anderen Lage wären“, würde er sich nun weitere Schwächen leisten.

Der Vertraute sagte laut „NYT“ zudem, dass der Präsident, dem vorgeworfen wird, die Lage nicht richtig einzuschätzen, sich sehr wohl Gedanken über die Chancen seiner Kandidatur mache. Auch der Sender CNN berichtete von einer Quelle aus dem Umfeld Bidens: Diesem sei klar, dass die nächsten Tage entscheidend dafür sein werden, ob er im Rennen bleibe.

Weißes Haus: „Absolut falsch“

US-Präsidialamtssprecher Andrew Bates teilte nach der Veröffentlichung des Artikels über soziale Netzwerke mit: „Diese Behauptung ist absolut falsch.“ Und er ergänzte: „Wenn uns die New York Times mehr als sieben Minuten Zeit gegeben hätte, das zu kommentieren, hätten wir ihnen das auch so gesagt.“

Auch die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, sagte, die Berichte seien „absolut falsch“, der Präsident denke „absolut nicht“ daran, seine Kandidatur zurückzuziehen. Biden selbst soll in einem Call mit Wahlkampfmitarbeiterinnen und -mitarbeitern geschworen haben, im Präsidentschaftswahlkampf 2024 zu bleiben, er werde sich nicht verdrängen lassen.

Biden beriet sich am Dienstag mit dem Abgeordneten Hakeem Jeffries, dem Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, und am Mittwoch mit Senator Chuck Schumer, dem Mehrheitsführer im Senat. Am Mittwoch führte er laut Weißem Haus auch ein langes, privates Gespräch mit dem Demokraten Jim Clyburn.

der demokratische US-Abgeordnete Jim Clyburn

AP/CQ Roll Call/Tom Williams
Clyburn: „Was ich gesehen habe, ist beunruhigend“

„Minivorwahl“ als Alternative

Clyburn – eine Art Königsmacher innerhalb der Demokraten und maßgeblich an Bidens Sieg im Jahr 2020 beteiligt – sagte gegenüber CNN, dass die Partei eine „Minivorwahl“ abhalten sollte, falls Biden zurücktritt. Er war damit das erste hochrangige Parteimitglied, das öffentlich darüber sprach, wie genau die Ersetzung Bidens als Kandidat funktionieren würde.

Nach der Debatte in der vergangenen Woche hatte der 83-jährige Clyburn seine demokratischen Kollegen zunächst aufgefordert, mit Biden „auf Kurs zu bleiben“ und „sich zu entspannen“, doch am Mittwoch hatte sich sein Ton geändert. „Ich habe gesehen, was ich letzten Donnerstagabend gesehen habe, und das ist beunruhigend.“

Er sagte, er würde bei einem Rückzug Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin unterstützen, aber: „Wenn sie die Kandidatin sein sollte, brauchen wir einen Gegenkandidaten, einen starken. Das würde uns nicht nur die Möglichkeit geben zu eruieren, wer an der Spitze des Tickets gut wäre, sondern auch, wer an zweiter Stelle am besten geeignet wäre.“

May 29, 2024, Philadelphia, Pennsylvania, U.S: May 29, 2024, Philadelphia PA, USA::President of the United States, JOE B

IMAGO/ZUMA Press Wire/Ricky Fitchett
Harris scheint eine offensichtliche Wahl, sollte Biden ausscheiden, ihre Zustimmungswerte sind aber gering

Bei den Spekulationen darüber, wer kurzfristig für Biden einspringen könnte, wurde um Harris bisher oft ein Bogen gemacht, die 59-Jährige hat sich schwergetan, aus ihrer Rolle als Vizepräsidentin hervorzustechen, ihre Beliebtheitswerte sind mäßig. In Bidens Wahlkampfteam wurde sie von vielen lange sogar als potenzielle Belastung empfunden. Mittlerweile hat sie sich unter anderem beim umstrittenen Wahlkampfthema Abtreibung Anerkennung verschaffen können. Doch gewichen ist die Skepsis nicht.

An Harris führt kaum ein Weg vorbei

Auch wenn einige einflussreiche Parteivertreter und -vertreterinnen bereits andere Namen in den Ring geworfen haben, wie etwa den kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom, Gretchen Whitmer aus Michigan und Josh Shapiro aus Pennsylvania, verweisen Politinsider darauf, dass Harris einen deutlich höheren Bekanntheitsgrad habe.

Auch sei es grundsätzlich so gut wie unmöglich, anstelle einer Vizepräsidentin, eines Vizepräsidenten nominiert zu werden, sagte Michael Trujillo, ein Wahlkampfstratege der Demokraten. Es sei nun einmal so, dass Harris’ Name auf dem Kandidaturticket hinter Biden an zweiter Stelle stehe, betonte auch die Demokratin Donna Brazile.

Harris: „Bin stolz, Bidens ‚Running Mate‘ zu sein“

US-Vizepräsidentin Kamala Harris hat ihre volle Unterstützung für Präsident Joe Biden trotz aufkommender parteiinterner Zweifel an ihm zugesichert. Sie sei stolz, dem amtierenden Präsidenten als „Running Mate“ im Wahlkampf zur Seite zu stehen, so Harris zu einer Journalistin in San Francisco.

Erste öffentlicher Rufe nach Rücktritt

Am Dienstag war der Abgeordnete Lloyd Doggett vorgeprescht und hatte als erster Demokrat im US-Kongress Biden öffentlich aufgefordert, die Kandidatur aufzugeben, am Mittwoch schloss sich der Abgeordnete Raul Grijalva an: „Wenn er (Biden, Anm.) der Kandidat ist, werde ich ihn unterstützen, aber ich denke, das ist eine Gelegenheit, sich anderweitig umzusehen.“ Nancy Pelosi, ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses und eine langjährige Verbündete Bidens, sagte, es sei legitim zu fragen, ob Bidens Auftritt bei dem TV-Duell „ein kurzer Vorfall“ gewesen sei oder seinen Gesundheitszustand widerspiegle.

Biden selbst erklärte sein schwaches Auftreten in der Vorwoche mit Müdigkeit nach mehreren internationalen Reisen. Der Präsident war Anfang Juni nach Frankreich gereist, um an den Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie teilzunehmen. Mitte des Monats reiste Biden nach Italien zum G-7-Gipfel. Es sei nicht sehr klug gewesen, kurz vor dem Duell „mehrmals um die Welt zu reisen. Ich habe nicht auf meine Mitarbeiter gehört (…) und dann bin ich auf der Bühne fast eingeschlafen“, sagte Biden. Das sei „keine Entschuldigung, aber eine Erklärung“.

Donald Trump und Joe Biden bei der TV-Debatte beim Fernsehsender CNN

IMAGO/Xinhua/CNN
Jetlag führte Biden als „Erklärung, nicht Entschuldigung“ für seine schwache TV-Performance an

„NYT“: Bidens Aussetzer mehren sich

Die „NYT“ berichtete unterdessen, dass Menschen, die in den letzten Monaten Zeit mit Biden verbracht haben, immer häufigere Ausrutscher oder Aussetzer Bidens bemerkt hätten. Die unangenehmen Vorkommnisse würden wahrscheinlicher, wenn er sich in einer großen Menschenmenge befinde oder nach einem besonders anstrengenden Programm müde sei. An anderen Tagen würde er wieder völlig wachsam, kohärent und scharfsinnig argumentieren und auftreten.

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