Stichwahl zwischen Moderatem und Hardliner

Von insgesamt 80 Bewerbern hatte der Wächterrat, das mächtige islamische Kontrollgremium, nur sechs als Kandidaten für den ersten Wahlgang vor einer Woche zugelassen. Zwei von ihnen zogen sich zurück. Die Wahlbehörde zählte im ersten Wahlgang knapp mehr als 24 Millionen abgegebene Stimmen. Damit lag die Wahlbeteiligung bei historisch niedrigen 40 Prozent.

Welchen Effekt die Polarisierung der beiden verbliebenen Kandidaten – eben moderat und Hardliner – auf die Mobilisierung und damit auf die Wahlbeteiligung haben wird, ist unklar. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Staatsspitze die Wahlbeteiligung als Gradmesser für ihre Legitimität wichtig ist.

Massud Peseschkian und Said Dschalili nach der TV-Debatte

Reuters/Morteza Fakhri Nezhad/Irib
Said Dschalili und Massud Peseschkian nach der TV-Debatte am 1. Juli

Der frühere Gesundheitsminister Peseschkian kam laut der Wahlbehörde mit rund 42,5 Prozent der Stimmen in die Stichwahl. Dschalili sicherte sich im ersten Wahlgang 38,7 Prozent. Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf erhielt 13,8 Prozent, der Geistliche Mostafa Purmohammadi weniger als ein Prozent. Ghalibaf, ein Konservativer, sprach Dschalili nach dem Urnengang seine Unterstützung zu.

Peseschkian setzt auch auf bürgerliche Positionen

Peseschkian ist 69 Jahre alt und stammt aus dem Nordwesten des Landes. Im Wahlkampf warb der bisher eher unscheinbare Politiker für neues Vertrauen zwischen Regierung und Staatsvolk, das nach gescheiterten Reformversuchen, politischer Repression und einer Wirtschaftskrise von der Politik maßlos enttäuscht ist. Peseschkian wurde für die Wahl als einziger gemäßigter Politiker zugelassen und schaffte es mit Vorsprung dann auch in die Stichwahl. Wie viele Politiker des Reformlagers forderte auch er eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen.

Im Wahlkampf kritisierte er die Kopftuchpolitik und warb mit bürgerlichen Positionen für Stimmen. Gleichzeitig bekundete Peseschkian seine Loyalität zum obersten geistlichen Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, und denr mächtigen Revolutionsgarde und lobte den Angriff mit Drohnen und Raketen auf Israel. In TV-Debatten bezeichnete er sich als wertkonservativen Politiker, der Reformen für notwendig hält.

Menschen in Teheran verfolgen die TV-Debatte

IMAGO/NurPhoto/Morteza Nikoubazl
Menschen in Teheran verfolgen die TV-Debatte der beiden Kandidaten der Stichwahl

Dschalili: Ideologisch mit bester Vernetzung

Der zweitplatzierte Dschalili gehörte früh zum engsten Machtzirkel und arbeitete im Büro Chameneis. Unter dem umstrittenen früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad war Dschalili Chefunterhändler bei den Atomverhandlungen. Er genießt breite Unterstützung von radikalen und loyalen Systemanhängern und -anhängerinnen.

Der promovierte Politikwissenschaftler kommt aus der nordöstlichen Millionenmetropole und Pilgerstadt Maschhad. Im Iran-Irak-Krieg (1980–88) wurde er an der Front verwundet und verlor einen Teil seines rechten Beins. Nach dem Krieg lehrte er in der Hauptstadt Teheran, bevor er eine Karriere im Außenministerium begann. Dschalili gilt als eiserner Verfechter der Ideologie der Islamischen Revolution.

Straßenszene in Teheran

IMAGO/NurPhoto/Morteza Nikoubazl
Die beiden Stichwahlkandidaten sind auf Plakaten in Teheran präsent

Experte: Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit

Ein moderater Präsident hätte allerdings begrenzte Möglichkeiten, in der Regierung zu gestalten, so der Politikwissenschaftler Tareq Sydiq von der Universität im deutschen Marburg. „Mit einem von Hardlinern dominierten Parlament, mit einem obersten Religionsführer, der immer wieder signalisiert hat, dass eine zu moderate Politik eigentlich gar nicht erwünscht ist – da würde ich keinen großen Handlungsspielraum erwarten“, so der Iran-Experte. „Das beeinflusst natürlich auch den ansonsten geringen Enthusiasmus für diese Wahl.“ Denn: Ein moderater Präsident dürfte seine Wahlversprechen kaum einhalten können.

Ali Chamenei

Reuters/Office Of The Iranian Supreme Leader
Staatsoberhaupt im Iran ist nicht der Präsident, sondern der oberste geistliche Führer Ali Chamenei

Seit Jahren sei der Enthusiasmus für Wahlen gedrückt, so der Experte weiter. Er führt vor allem die verheerende Bilanz der vergangenen Regierungen, die Proteste und deren gewaltsame Unterdrückung sowie die politischen Repressionen gegen die Kopftuchverstöße an. Die Erwartungen an eine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Lage gelten als gering. Die Stimmung sei vor allem von „Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit“ geprägt.

Verstärkte Spannungen mit Israel

Zuletzt dominierten militärische Spannungen die Politik des mit Russland verbündeten Iran. Die Islamische Republik gewinnt immer größere Bedeutung über die Golfregion hinaus und mischt in etlichen Konflikten mit. Der Iran gilt als Erzfeind Israels. Er erkennt Israel nicht als legitimen Staat an und steht an der Seite der Palästinenser und Palästinenserinnen.

Im Krieg im Gazastreifen unterstützt die Führung in Teheran ideologisch wie materiell die radikalislamische Terrororganisation Hamas, die zusammen mit der ebenfalls islamistischen libanesischen Hisbollah-Miliz dem vom Iran geführten Netzwerk „Achse des Widerstandes“ angehört.

Mehr Kopftuchkontrollen

Ein Thema, das seit den Massenprotesten nach dem Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini im Jahr 2022 viele Menschen im Iran bewegt, ist die strenge Kopftuchpflicht für Frauen. Die 22-jährige Amini war wegen eines angeblich nicht vorschriftsgemäß getragenen Kopftuchs von der Religionspolizei festgenommen worden. Ihr Tod löste wochenlange Proteste gegen die iranische Regierung aus.

Zwei Frauen ohne Hijab sitzen auf Mauer

IMAGO/Middle East Images/Sasan
Ein Blick über Teheran

Seitdem gingen zahlreiche Frauen aus Protest ohne Kopftuch auf die Straße. Seit einigen Monaten wird die Einhaltung der Kopftuchpflicht aber wieder verstärkt kontrolliert. In den TV-Debatten äußerten sich vor der ersten Runde alle Kandidaten bis auf Peseschkian nur vage dazu und sprachen sich lediglich gegen ein gewaltsames Vorgehen gegen Frauen ohne Kopftuch aus.

Macht bei Religionsführer Chamenei

Das politische System im Iran vereint seit der Revolution von 1979 republikanische und theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht: Das Kontrollgremium des Wächterrats prüft Kandidaten stets auf ihre Eignung im Sinne des Regimes. Eine grundsätzliche Kritik am System wird nicht geduldet, wie die Niederschlagung von Protesten in den vergangenen Jahren zeigte.

Anders als in vielen anderen Ländern ist der Präsident im Iran nicht das Staatsoberhaupt. Die eigentliche Macht konzentriert sich auf den obersten religiösen Führer, aktuell eben Chamenei.

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