Auf Aufnahmen der Pressekonferenz im Gazastreifen, die die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde gab, ist zu sehen, wie einige Kinder bereits eine erste Impfdosis bekommen. Weitere Kinder erhielten eine erste Dosis am Abend im Nasser-Krankenhaus in der Stadt Chan Junis im Süden des Palästinensergebiets.
Nachdem es kürzlich einen ersten Fall von Kinderlähmung im Gazastreifen gegeben hat, soll ein massenhafter Ausbruch der Krankheit verhindert werden. Helfer sollen in den kommenden Tagen 640.000 Kinder unter zehn Jahren impfen. Vorgesehen sind dafür Einsätze von 6.00 Uhr bis zum frühen Nachmittag. Es werden zwei Impfdosen im Abstand von vier Wochen benötigt.
„Wir rufen alle Parteien auf, die Kämpfe zu unterbrechen, um Kindern und Familien einen sicheren Zugang zu den Gesundheitseinrichtungen zu ermöglichen und unseren Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, die Kinder zu erreichen, die keinen Zugang zu den Gesundheitseinrichtungen haben“, sagte Rik Peeperkorn, WHO-Vertreter für die palästinensischen Gebiete.
Auch WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus drängte auf einen sicheren Verlauf der Massenimpfung. Alle Konfliktparteien müssten dies ermöglichen, schrieb er auf der Plattform X.
Letzte Kampfpausen im Juni
Israel stimmte nach Angaben der Vereinten Nationen und israelischen Medien täglichen Feuerpausen für die Impfkampagne zu. Das israelische Militär hat in der Vergangenheit mehrfach mehrstündige „taktische Pausen“ seiner Aktivitäten in Gebieten des Gazastreifens verkündet, meist um dort mehr Hilfslieferungen zu ermöglichen. Die letzten, zeitlich und räumlich begrenzten Kampfpausen dieser Art gab es im Juni im Süden des Küstengebiets.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte laut Medienberichten, die nun geplanten Kampfunterbrechungen seien „keine Waffenpause“. Eine solche hatte es im November vergangenen Jahres im Rahmen eines Deals zwischen der israelischen Regierung und der Hamas gegeben. Innerhalb dieser einwöchigen Feuerpause wurden auch rund 100 Geiseln im Gegenzug für 240 palästinensische Häftlinge freigelassen.
Start der Polio-Impfaktion im Gazastreifen
Im Gazastreifen laufen die Vorbereitungen für die Polio-Impfaktion, die am Sonntag startet.
400 Impfstationen und 300 mobile Teams
Für die Impfaktion würden fast 400 Stationen eingerichtet, hieß es von der WHO. Zusätzlich seien fast 300 mobile Teams unterwegs, um die Kinder zu erreichen. Fast 2.200 Helfer und Helferinnen seien ausgebildet worden, um den Impfstoff zu verabreichen. Geimpft werde nach Zonen, zunächst im zentralen Gazastreifen, dann im Süden, anschließend im Norden. Dafür seien jeweils drei Tage nötig.
„Wegen der unsicheren Lage, der Schäden an Straßen und Infrastruktur sowie der Bevölkerungsbewegungen ist es unwahrscheinlich, dass drei Tage in jedem Gebiet ausreichen, um eine angemessene Abdeckung zu erreichen“, warnte WHO-Chef Tedros in Genf. Es gebe aber die Zustimmung, die Kampagne um einen Tag zu verlängern, sollten noch nicht genügend Kinder geimpft worden sein. Palästinensischen Angaben zufolge sollen die Menschen per Telefon und über die sozialen Netzwerke über die Impfkampagne informiert werden.
Mehr als 90 Prozent Abdeckung als Ziel
Die WHO strebt an, mehr als 90 Prozent der Kinder zu erreichen. Die Abdeckung sei nötig, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. In der Vergangenheit sei die Impfbereitschaft der Menschen immer groß gewesen. Der Gazastreifen war seit 25 Jahren poliofrei. Vor Kurzem wurde aber ein Fall entdeckt. Ein zehn Monate altes Baby aus Deir al-Balah zeigt laut der WHO Anzeichen von Lähmung im linken Bein, sei aber in stabilem Zustand.
Seit Beginn des Krieges nach dem Terrorangriff der Hamas auf das israelische Grenzgebiet am 7. Oktober vergangenen Jahres konnten viele Babys im Gazastreifen nicht geimpft werden. Die schlimmen hygienischen Zustände in dem Küstenstreifen, wo häufig zahlreiche Binnenflüchtlinge auf engstem Raum ausharren müssen und sauberes Wasser knapp ist, können laut WHO zu einer raschen Ausbreitung der Krankheit beitragen.
In Israel wird die Entwicklung nicht nur aus humanitären Gründen als besorgniserregend gesehen. Ein Team israelischer Fachleute hatte bereits vor Monaten nicht nur vor den Folgen für die Bevölkerung in Gaza gewarnt, sondern betont, dass sich Soldaten an Polio oder anderen übertragbaren Krankheiten anstecken und diese sich dadurch auch in Israel selbst ausbreiten könnten.
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