Ab durch den Maschendrahtzaun

Nur wenige Tage nach seinem Boxkampf gegen Regina Halmich ist Stefan Raab als Moderator einer neuen Show zurück. „Du gewinnst hier nicht die Million“ kommt einem beim ersten Zuschauen verdächtig bekannt vor. Und Raab? Der liefert.

Selten hatte eine neue Fernsehshow eine so gute Marketingkampagne. Am vergangenen Samstag stieg Stefan Raab noch einmal mit der ehemaligen Profiboxerin Regina Halmich in den Ring, knapp sechs Millionen Zuschauer hatte die Live-Sendung. Der dritte Aufguss des ungleichen Kampfes geriet zur Dauerwerbesendung für Raab, dessen alte Erfolge in Ton und Bild gezeigt wurden, dazwischen durften B-Promis Lobhudeleien über den Entertainer in die Kamera sagen – und dann gab‘s halt noch den Kampf selbst. Der ging klar zugunsten von Halmich aus, war dann aber nur die Rampe für die Ankündigung Raabs, in vier Tagen wieder auf Sendung zu gehen.

Und zwar bei RTL, dem neuen Haussender des Entertainers. Mit ProSiebenSat.1, seiner alten Heimat, hat Raab nichts mehr am Hut. Seine alte Produktionsfirma Raab TV gibt es nicht mehr, diverse alte Raab-Formate dafür schon, aber der Meister startet mit seiner neuen Firma Raab Entertainment ganz neu – und hat sich für fünf Jahre an RTL gebunden, in denen er eine ganze Reihe von Formaten entwickeln soll. Der Kölner Sender befindet sich im karnevalesken Taumel, seit die Raab-News bekannt ist, die Verpflichtung wird gefeiert, als wenn die deutsche TV-Unterhaltungskrone auf Jahre hinweg vergeben sei. Joko & Klaas werden es gelassen sehen.

Nun läuft „Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab“ nur auf der Streamingplattform RTL+. Da will und muss der Unterhaltungskonzern noch zulegen, hier liegt die Zukunft. Im linearen RTL-Fernsehen lief zu dem Zeitpunkt am Mittwochabend, als „Du gewinnst hier nicht die Million“ für zahlende Abonnenten freigeschaltet wurde, „Deutschland sucht den Superstar“. Wobei man natürlich nicht vergessen darf, dass die Raab-Sause jederzeit abrufbar ist („DSDS“ natürlich auch), feste Sendetermine also im Prinzip egal sind. Solange Leute bereit sind, Geld für ein Abo zu bezahlen. Die ganz jungen Leute, die man (auch) mit „DSDS“ gewinnt, wird Raab jedenfalls eher nicht begeistern.

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Im Visier hat man mit der neuen Sendung wohl eher die Generation X, die Leute also, die Raab schon in den 90er-Jahren bei Viva gesehen haben und die dann mit zu „TV Total“ gezogen sind. Apropos: Bei der Konkurrenz von ProSieben lief übrigens am Mittwochabend „TV Total“. Mit Raabs Nachfolger Sebastian Pufpaff, der seinen Job gut macht. Allein das Signal, das Raab mit seiner Terminsetzung gesendet hat, direkt gegen seine eigene Show-Erfindung anzutreten, das ist ungefähr so wie ein Punch direkt ins Gesicht. Wenn ProSieben ein Gesicht hätte. Ist es Rache? Spaß an der Freud? Raab macht es, weil er es kann. Die „TV Total“-Band Heavytones ist auch direkt zum alten Chef übergelaufen.

Lange Vorrede, aber das passt als Überleitung: Wie war nun eigentlich die Show, die 90 Minuten dauerte? Im ersten Drittel ziemlich genau wie „TV Total“, dessen letzte Folge Raab Ende 2015 aufgenommen hatte. Mit den alten Klamotten (Jeans und weißes Hemd über schwarzem T-Shirt) und einer neuen Kulisse, die aber egal ist. Raab zeigt lustige Ausschnitte mit Fernsehstars, die es wie ihn auch schon vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren gab. Florian Silbereisen, Peter Maffay, Jürgen Milski (der von „Big Brother“) und Stefan Mross.

„Pa aufs Maul“

Ganz lustig sind kleine Gemeinheiten gegen RTL, als neuer Chef des Senders nehme er Dieter Bohlen den Weichzeichner weg und übernehme in der „Passion“ (ein skurriles Osterspektakel) die Rolle von Jesus. Der Boxkampf gegen Halmich wird natürlich noch einmal ausführlich abgehandelt, Raab singt seinen Prügel-Song „Pa aufs Maul“, die Leute im Publikum stehen auf, die Stimmung ist gut.

Dann knapp eine Stunde der Kampf um die versprochene Million Euro. Was für die Kandidaten schwer werden wird, denn Quizfragen, bei denen es keinen Joker gibt, wechseln sich mit typischen „Schlag den Raab“-Wettspielchen ab. In der ersten Folge müssen sich die Kontrahenten durch einen Parcours mit Maschendrahtzaun (ein Wink mit dem Zaunpfahl) knipsen, Autoreifen wechseln und Tennisbälle so auf einen Bürostuhl werfen, dass sie liegen bleiben. Ist eine Antwort falsch oder wird ein Wettbewerb verloren, ist ein Kandidat raus. Bei rund einem Dutzend Schritten bis zur Million stehen die Chancen nicht ausgesprochen gut.

Der erste Kandidat, Oliver (31) aus Karlsruhe, kommt bis zum zweiten Spiel, hat aber beim Tennisballwerfen keine glückliche Hand. Der zweite Kandidat, Sören (36) aus Berlin, siegt im ersten Spiel, weil eine Radmutter bei Raab noch locker sitzt. Da waren dann die 90 Minuten um – er darf in der zweiten Sendung wiederkommen. Es wird vermutlich eine Weile dauern, bis RTL eine Million Euro auf das Konto eines Kandidaten überweisen muss – das Geld gibt der Sender dann aber auch vielfach für Raab und sein Unternehmen aus. Ach so, und der ewige „Show-Praktikant“ Elton muss ja auch noch bezahlt werden – der Raab-Buddy gehört mittlerweile zu den bestverdienenden Unterhaltungsstars der Branche.

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Die Mixtur der Show ist also nicht neu, sondern altvertraut. Und genau das ist letztlich das Konzept. Nicht die Neuerfindung der Fernsehunterhaltung, sondern die Rückkehr zu dem, was manche Zuschauer vielleicht vermisst haben. Halbwegs oder vermeintlich unkorrekte Witzchen, Raabs große Fresse (also seine Sprüche, nicht sein Mund, aber das zahnbetonte Grinsen hat er auch noch gut drauf), die Einfach mal machen-Attitüde, die dann aber perfekt organisiert. Die Stars, die früher bei „TV Total“ zu Gast waren, um irgendwelche Songs oder Filme zu promoten, spart sich Raab, die haben ihn ohnehin meistens gelangweilt.

Wird das erfolgreich sein? Schwer zu sagen, um ehrlich zu sein. Die Einstiegshürde ist mit dem Abschluss eines Abos von RTL+ nicht so klein, aber auch nicht unüberwindlich. Fraglos wird Raab dem Streamingangebot einen Push geben. Ist die Kombi aus „TV Total“ und „Schlag den Raab“ aber gut genug, die Leute, die aus Neugier kommen, auch zu halten? Mal schauen. Enttäuscht hat die erste Ausgabe nicht wirklich, Raab hat Raab geliefert, das reicht erst mal. Auf Dauer könnten die Spielchen langweilen – sie sind eigentlich nur interessant, weil man Raab verlieren sehen will (gewinnen tut er ja oft genug).

Wie viele Zuschauer die Show dann hat, wird zunächst vermutlich nicht kommuniziert, anders als die Quotenmessungen im linearen Fernsehen werden Abrufzahlen von Streamingplattformen bisher kaum verkündet. Läuft „Du gewinnst hier nicht die Million“ irgendwann doch im linearen Fernsehen, dann ließen sich daraus entsprechende Schlüsse ziehen. Die Show wird für Raab jedenfalls eine Art persönlicher Wettkampf sein – bei dem er sich und der ganzen Fernsehbranche noch einmal beweisen will, dass er ein wahrer Champion der Unterhaltung ist. Er hat da einen Titel zu verteidigen.

Christian Meier ist Medienredakteur der WELT. „TV Total“ hat er früher regelmäßig geschaut, irgendwann dann nicht mehr. Ob er regelmäßig Raabs neue Show sehen wird, weiß er noch nicht.

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