Wahlkampf in Pennsylvania: Wie gewinnt man die Stimmen der Vorstadtfrauen?

Colleen Guiney seufzt. „Bitte entschuldigen Sie das Chaos.“ So sei das nun einmal im Wahlkampf. Die 67 Jahre alte pensionierte Kindertherapeutin ist Kreisvorsitzende ihrer Partei in Delaware County, in dem Media liegt. Hier in den Vororten von Philadelphia entscheidet sich im November, wer die Wahlleute des Bundesstaates erhält. Die 19 Stimmen im „Electoral College“ könnten in der Präsidentenwahl entscheidend sein.

In den Hochburgen muss nicht viel in den Wahlkampf investiert werden

Guiney führt die Kreispartei seit sechs Jahren. Dass es erfolgreiche Jahre waren, in denen die Demokraten in dem Landkreis nicht eine einzige Wahl verloren haben, hat vor allen Dingen mit Donald Trump zu tun. Dessen Wahl 2016 sei ein Weckruf gewesen, erzählt die zierliche Frau mit wachen Augen. Seitdem habe sich die Zahl der Ehrenamtlichen, die in den Wahlkämpfen an Haustüren klopften, vervielfacht.

Der Schichtplan an der Wandtafel ist nicht für die ehrenamtlichen Helfer, sondern für die „Profis“, wie Guiney sie nennt. Es sind Mitglieder der Harris-Kampagne, die vor Wochen in die umkämpften Bundesstaaten ausgeströmt sind, um den örtlichen Parteivertretern zu helfen. Parteien in Amerika sind so etwas wie Wahlkampfmaschinen, die alle vier Jahre angeworfen werden.

Harris hat die Organisation von Amtsinhaber Joe Biden übernommen und binnen weniger Wochen eine halbe Milliarde Dollar an Spenden eingesammelt. Mit den Geldern wird nicht nur Werbung, sondern auch das Heer von professionellen Wahlkämpfern finanziert. Harris’ Wahlkampfteam hat vor einigen Wochen Guiney gefragt, ob man die Geschäftsstelle und zwei weitere Zweigstellen in Delaware County mitnutzen könne. So müssen sie keine eigenen Räumlichkeiten mieten.

Die professionellen Wahlkämpfer kommen zum Teil gar nicht aus Pennsylvania, sondern aus Hochburgen der Demokraten wie Massachusetts. Dort muss die Partei nicht viel in den Wahlkampf investieren. Also werden die Leute in die Swing States entsandt, die Bundesstaaten, in denen das Ergebnis auf der Kippe steht. Hier bestreiten sie das „ground game“– den Wahlkampf im schwierigen Gelände.

Ein politischer Wandel, der typisch ist

Die politische Landkarte Pennsylvanias ist typisch für den amerikanischen Rostgürtel. Die beiden großen Metropolen Philadelphia und Pittsburgh sind fest in der Hand der Demokraten, nicht zuletzt wegen des Rückhalts der Partei in der afroamerikanischen Bevölkerung. Auch Harrisburg, die kleine Hauptstadt Pennsylvanias im südlichen Zentrum des Bundesstaates, ist demokratisch geprägt. Mittlere Industriezentren, wie Erie im Nordwesten und Scranton im Nordosten, waren in den vergangenen Jahren indes umkämpft – auch weil die Demokraten Teile der weißen Arbeiterschaft an Trump verloren haben.

Die dünn besiedelten Landstriche Pennsylvanias wiederum sind Trump-Land. Auf den Landstraßen kommen einem Pick-up-Trucks mit Trump-Fahnen entgegen. Und vor vielen Häusern weht neben der amerikanischen Flagge auch die „Make America great again“-Fahne der Trump-Bewegung. Ein wenig verächtlich wird das ländliche Pennsylvania von den linksliberalen Städtern „Pennsyltucky“ genannt: Die Leute hier seien anders als an der Ostküste. Ihr Lebensgefühl gleiche eher jenem der Bewohner der strukturschwachen Appalachen-Region in Kentucky.

Und dann sind da eben noch die Vororte, die Speckgürtel der Metropolen. Philadelphia ist umgeben von Montgomery, Bucks, Chester und Delaware County. Oft arbeiten die Leute in der Metropole, bevorzugen aber das kleinstädtische Leben im Umland, wo die Schulen gut sind und die Kriminalität gering ist.

Bei den letzten Präsidentschaftswahlen setzten sich hier die Demokraten durch, jedoch nur knapp. Und auf kommunaler Ebene werden häufig Republikaner gewählt. In Delaware County etwa bestimmte über Jahrzehnte die „Grand Old Party“ die Kreispolitik. Erst 2019 übernahmen die Demokraten die Ortsbeiräte. Wahlforscher bezeichnen diese Landkreise daher als violett – blau wie die Demokraten und rot wie die Republikaner.

Donald Trump Ende August bei einem Wahlkampfauftritt in Johnstown, Pennsylvania
Donald Trump Ende August bei einem Wahlkampfauftritt in Johnstown, PennsylvaniaEPA

Der politische Wandel in Delaware County ist typisch für das, was sich in den vergangenen Jahrzehnten im Umland vieler Metropolen Amerikas abgespielt hat. Einst prägten konservative weiße Quäker den Landkreis. Dann zogen weiße Familien von Philadelphia ins Grüne. Viele von ihnen waren irisch-, italienisch- und deutschstämmige Katholiken. Sie suchten ein hübsches Eigenheim, sichere Parks und Schulen ohne Drogen und Gewalt. Politisch stärkte das zunächst die Republikaner und machte aus ihnen eine Kleine-Leute-Partei, die sich von den Country-Club-Fiskalkonservativen andernorts unterschied.

Die Kindeskinder dieser Familien begannen aber vor gut einem Jahrzehnt, nach Philadelphia zurückzuziehen: Junge Leute, die das Vorstadtleben mit den eintönigen Einkaufszentren leid waren, kauften Immobilien in der Großstadt, hoben das Preisniveau auf dem Wohnungsmarkt Philadelphias und verdrängten sozial schwächere Afroamerikaner. Klassische Gentrifizierung mit der Folge, dass viele Schwarze wiederum in die Suburbs zogen. Dieser demographische Wandel hatte politische Auswirkungen: Der Blauton im Violett wurde stärker.

Harris’ Kampagne hat die Wähler von Haley im Blick

Für Guiney ist es das erklärte Ziel, im November die Marge, mit der Biden 2020 in Delaware County gewann, mindestens zu halten, wenn nicht gar zu erhöhen. Biden hatte vor vier Jahren Pennsylvania mit einem Vorsprung von gut 80.000 Stimmen gewonnen – bei 6,8 Millionen abgegebenen Stimmen. 2016 hatte Trump mit 44.000 Stimmen vor Hillary Clinton gelegen.

In Delaware County selbst gewann Biden mit einem Vorsprung von 87.000 Stimmen, Clinton hatte vier Jahre zuvor in dem Landkreis nur 36.000 Stimmen mehr als Trump. Guiney sagt, die Ergebnisse zeigten, die Demokraten müssten in ihrem Landkreis so viel wie möglich rausholen, um in Pennsylvania vorn zu liegen. Es reiche nicht, nur die Kernwählerschaft zu mobilisieren. Wie 2020 müsse es den Demokraten gelingen, Wechselwähler der politischen Mitte, also Unabhängige und moderate Republikaner, zu gewinnen.

Dabei können die Profis helfen. Die Mitarbeiter der Harris-Kampagne haben vor allem die Nikki-Haley-Wähler im Blick. In den republikanischen Vorwahlen hatte Trumps parteiinterne Herausforderin zwanzig Prozent der Stimmen in Delaware County bekommen. Viele der Haley-Wähler, da macht sich Guiney keine Illusion, würden am Ende Trump wählen, zumal die Republikanerin inzwischen dazu aufruft. Doch ein Teil dieser Wähler gehört zum Lager der Never-Trumper, sie würden niemals für Trump stimmen. Diese Leute müssten die Demokraten umwerben.

Die Partei kennt natürlich nicht Namen und Anschriften der Haley-Wähler. „Die Harris-Kampagne verfügt aber über Daten, die uns weiterhelfen“, sagt die Kreisvorsitzende. Sie haben über Umfragen Informationen über Geschlecht, Alter, Bildungsgrad und Einkommensklasse der potentiellen Wechselwähler. So lasse sich einkreisen, wo sie lebten. Vor allem in diesen Wohngebieten würden dann die freiwilligen Wahlhelfer an die Haustüren klopfen und Flyer verteilen.

Vor der Fernsehdebatte in Philadelphia wird am 9. September das Studio vorbereitet
Vor der Fernsehdebatte in Philadelphia wird am 9. September das Studio vorbereitetAFP

Soziologisch gesehen ist der typische Haley-Wähler weiblich, mittleren Alters, hat ein College besucht, ist berufstätig und lebt in den wohlhabenden Vororten Philadelphias. Diese Vorstädterinnen sind das große Ziel der Harris-Kampagne. Thematisch will man sie vor allem mit der Abtreibungsdebatte abholen, ein Schwerpunkt im Wahlkampf von Kamala Harris.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vor zwei Jahren, das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Abtreibung aufzuheben, ist im Wahlkampf ein Problem für die Republikaner. Trump hatte sich anfangs für das Urteil, das durch die von ihm nominierten konservativen Verfassungsrichter ermöglicht worden war, feiern lassen.

Längst hat er aber erkannt, dass die Gesetzesverschärfungen seine Partei in vielen Bundesstaaten verwundbar machen. Inzwischen mäandert er in der Abtreibungsfrage und sendet widersprüchliche Botschaften. Einerseits sagt er, er habe immer nur gewollt, dass die Bundesstaaten die Frage autonom regeln könnten. Andererseits kritisiert er die Einführung einer Sechs-Wochen-Frist in Florida als zu kurz.

Guiney, Mutter zweier erwachsener Kinder, macht deutlich, dass ein Szenario wie in Florida auch in Pennsylvania drohe, wenn der Republikaner wieder an die Macht komme. Man dürfe Trump nicht glauben, wenn er sage, er sei gegen eine nationale Gesetzesverschärfung. Harris’ Botschaft lautet: „We are not going back“ – mit den Demokraten werde man nicht in die dunkle Vergangenheit zurückkehren. So bekräftigte sie es auch im Fernsehduell mit Trump, das nicht zufällig in Philadelphia stattfand.

Nicht alle halten Tim Waltz für den richtigen Kandidaten

Michael Puppio weiß, dass das Thema den Wahlkampf der Republikaner erschwert. Der Anwalt kommt gerade aus seiner Kanzlei und sitzt an einem sonnigen Spätsommertag in einem Restaurant in Media. Die Abtreibungsdebatte sei eindeutig kein Gewinnerthema für seine Partei, sagt Puppio, der seit 18 Jahren den Ortsverband nebenan, in Springfield, leitet.

Trump sei für viele Frauen der falsche Kandidat. Und Äußerungen wie die von Trumps Vize J. D. Vance über „cat ladies“ seien auch nicht hilfreich: Vance hatte über Frauen gelästert, die sich gegen Kinder und für Katzen entschieden. Puppio sagt: Man könne die Stimmen der Vorstadtfrauen eben nur dann gewinnen, wenn man aufhöre, sie zu beleidigen.

Puppio ist 58 Jahre alt, in zweiter Ehe verheiratet und wird demnächst zum dritten Mal Vater. Er ist das, was man einen moderaten Republikaner nennt. 2020 erwog er – genervt von Trumps spalterischer Rhetorik –, Biden zu wählen, tat es am Ende aber doch nicht. Er sei nun einmal Republikaner, sagt er.

In der Abtreibungsfrage hat der Sohn italienischstämmiger Eltern einen klaren Standpunkt: Als Katholik komme Abtreibung für ihn nicht infrage. Er sei aber dafür, dass Frauen entscheiden dürften. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs habe alles verändert: Vorher sei es in Pennsylvania kein Problem gewesen, als Abtreibungsgegner anzutreten, weil es Rechtsfrieden gegeben habe. Das sei nun vorbei.

Donald Trump
Donald TrumpAP

Puppio würde im Wahlkampf am liebsten nur über Brot-und-Butter-Themen reden: über die Inflation, die fragile Konjunktur und über die Migrationskrise. Das seien die Themen, mit denen man Harris stellen könne. Er findet, die Demokratin habe einen Fehler begangen, als sie sich auf der Suche nach einem Kandidaten für das Vizepräsidentenamt für Tim Walz und gegen Josh Shapiro entschied.

Shapiro ist der junge Gouverneur von Pennsylvania – smart, unideologisch und rhetorisch brillant. Er wurde 2022 gewählt und setzte sich gegen einen von Trump ausgesuchten Kandidaten durch. Hätte sich Harris für Shapiro entschieden, da ist sich Puppio sicher, würde sie Pennsylvania gewinnen und damit die Präsidentschaftswahl.

Shapiro hatte 2022 wiederholt, was Biden zwei Jahre zuvor gelungen war: eine breite Anti-Trump-Wählerallianz hinter sich zu versammeln, zu der nicht nur Vorstädterinnen, sondern auch die Gewerkschaftsbewegung zählten. Puppio setzt nun auf die weiße Arbeiterschaft. Harris sei in diesem Milieu unbeliebt, gelte als zu kalifornisch, das soll heißen: zu links und zu „woke“.

Tatsächlich weiß Harris um diese Schwäche. Erst kürzlich trat sie gemeinsam mit Biden vor Gewerkschaftern in der alten Stahlarbeitermetropole Pittsburgh auf. Eigentlich ist sie bemüht, die Botschaft zu verbreiten, mit ihr werde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Doch in Pennsylvania braucht sie die Unterstützung Bidens. Der Sohn eines Gebrauchtwagenhändlers aus Scranton hatte stets den Großteil der Gewerkschaften auf seiner Seite.

In Pittsburgh bekräftigte er, er sei der gewerkschaftsfreundlichste Präsident in der Geschichte des Landes. Puppio erinnert daran, dass Gewerkschaftsnähe nicht automatisch die Stimmen der weißen Arbeiterschaft sichere. Die Verbände hätten in den vergangenen Jahrzehnten viele Mitglieder verloren. Und Trump hat es verstanden, ihnen eine Stimme zu geben, nicht nur mit America-first-Rhetorik, sondern auch mit kulturkämpferischen Tönen.

Guiney glaubt dennoch, dass Harris hier an Biden anknüpfen kann. Sie habe nach ihrer Kandidatur viele Leute mobilisiert, die vorher nur von der Seitenlinie aus auf die Politik geschaut hätten. Und was Shapiro anbelange, sagt sie: „Wir brauchen ihn hier in Pennsylvania.“

it Walz, dem bodenständigen Gouverneur von Minnesota, könnten sich viele Amerikaner über Parteigrenzen hinweg identifizieren, auch viele Arbeiter. Das helfe in anderen Bundesstaaten, die nun wieder Teil der Rechnung seien, also auch Nevada und Arizona im Westen, zwei Bundesstaaten, die unter dem Kandidaten Biden zwischenzeitlich schon verloren schienen. Und was Pennsylvania betreffe: Sicher hätte Shapiro geholfen. Aber: Es werde schon laufen. „Daran arbeiten wir ja hier.“

Puppio sagt voraus, dass es denkbar knapp werde. Weil die Demokraten in den Vororten stark seien, müsse Trump im ländlichen Raum jeden Mann und jede Frau mobilisieren. Guiney hält dem entgegen, auch Landfrauen seien Frauen – und dächten mitunter ähnlich über Trump wie jene in den Vorstädten. Sie erzählt eine Anekdote aus einem kleinen Dorf. Dort habe jemand in einer öffentlichen Damentoilette einen Zettel an die Wand geklebt. Darauf die Botschaft: „Ihr Ehemann muss nicht wissen, wen Sie im November wählen.“

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