Es sieht hier anders aus als sonst bei der ukrainischen Armee. Statt des effektiven Laissez-faire, der kampfbereiten Lässigkeit des Heeres, herrscht auffällige Ordnung. Die Baracken wirken aufgeräumt, die Uniformen sind neu, und statt der alten Kalaschnikows sieht man moderne Sturmgewehre. In der Kantine hängen Tierbilder und ein paar Werbeplakate der Legion.
Alle Varianten von Englisch
Vor der Kantine sitzt Elia, um ihn herum löffeln die anderen ihr Mittagessen. Es gibt Huhn mit Buchweizengrütze, und die Luft surrt in allen Varianten des globalen Englisch. Die meisten Soldaten wirken wie Europäer oder Amerikaner, bei einigen deutet das Aussehen auf Afrika oder Asien. Manche tragen Spuren schwerer Kämpfe, einem Soldaten fehlen Nase und Lippen. Viele tragen Tattoos, einer hat sich ein Motiv aus Stanley Kubricks Gewalt-Kultfilm „Clockwork Orange“ stechen lassen.
An Elia sind keine Tattoos zu sehen. Zu Hause, erzählt er, habe er mit Gewalt und Militär nie viel zu tun gehabt. Er mochte zwar das Abenteuer, er ging zum Bergsteigen in die Alpen, aber Kampf oder Waffen waren nicht seine Sache.
Trotzdem zieht er jetzt in den Krieg. Warum? – Erst einmal, sagt er, suchte er nach etwas, was eben nicht „nur Abenteuer“ ist, sondern auch „Sinn“ hat. Und dann war da seine Freundin. Die war mit Mutter und Geschwistern aus der Ukraine geflohen, als Russlands Großinvasion begann, der Vater ging zur Armee. Dann fiel er bei Bachmut, und Elia sah, was Krieg und Tod für eine Familie bedeuten. Damals wuchs in ihm der Gedanke, dass er etwas tun müsse – „nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Deutschland und die Europäische Union“. Schließlich würde Russland nach einem Sieg in der Ukraine ja nicht einfach aufhören.
Gleich nach seinem achtzehnten Geburtstag meldete Elia sich deshalb zur Legion. Seine Freundin wusste davon, den Eltern sagte er erst Bescheid, als er schon unterwegs war. Jetzt bereitet er sich auf den ersten Einsatz vor und sagt, die Ausbildung sei „hart im positiven Sinn“. Hat er Angst? – „Ich glaube, ich verdränge das ein wenig.“
Jeder kann kommen, der keine Vorstrafen hat
Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die Gründung der „Internationalen Legion“ am dritten Tag nach Russlands Überfall auf die Ukraine verkündet. Ihre Größe ist geheim, die Schätzungen reichen von 2000 (Studie der International Crisis Group) bis zu 4000 (Royal United Services Institute) Soldaten. Im Verhältnis zur Stärke der ukrainischen Armee – dem Fachblatt „Military Balance“ zufolge bis zu 800.000 aktive Soldaten – nicht sehr viel.
Auf der Internetseite der Legion ist zu lesen, dass sie nicht die einzige ukrainische Einheit ist, in der Ausländer dienen können. Wer möchte, kann sich auch bei jedem anderen Teil des Heeres bewerben, nur muss er dann Ukrainisch können. Für die Übrigen gibt es multinationale Einheiten des Heeres und die „Internationale Legion“ des Militärgeheimdienstes HUR. Deren Teams sind meist multiethnisch, die Umgangssprache ist Englisch.
Zugleich gibt es aber auch „ethnische“ Einheiten für Russen, Belarussen, Georgier oder Tschetschenen. Jeder kann kommen, der zwischen 18 und 60 Jahre alt ist, keine Vorstrafen hat und einen Test besteht. Wer genommen wird, bekommt einen Vertrag über drei bis fünf Jahre, den er nach den ersten sechs Monaten jederzeit kündigen kann. Dann ist er regulärer Soldat der Ukraine mit allen Pflichten und Rechten – mit einer Ausnahme: Ausländer können nicht Offiziere werden.
Für Söldner ein idiotischer Plan
Wir haben an mehreren Orten mit Männern dieser Einheiten gesprochen. Einer von ihnen, ein Vertreter des Geheimdienstzweiges der Legion namens Wlad, gab uns einen Einblick in das Selbstverständnis seiner Soldaten. Ihm zufolge sind sie immer dort im Einsatz gewesen, wo es am gefährlichsten war – von Irpin über Bachmut bis Tschassiw Jar. Deshalb und weil viele vorher bei Eliteeinheiten aus aller Welt gedient hätten, betrachte die Legion sich als globalen „Magneten“ für soldatisches Wissen. „Es gibt keine berühmte Spezialtruppe auf der Welt, von der nicht jemand bei uns ist“, sagt Wlad. Und weil so viel Erfahrung in der Legion versammelt sei, seien auch ihre Verluste relativ gering.
Wir haben Wlads Worte nicht überprüfen können, aber es gibt Untersuchungen, welche die hohe Professionalität der Truppe bestätigen. In einer Publikation des britischen Royal United Services Institute heißt es, von 26 interviewten Kämpfern hätten 21 schon vor ihrer Ankunft „beträchtliche militärische Erfahrung“ gehabt. Die Autoren haben die Soldaten auch nach ihren Motiven gefragt – vor allem auch vor dem Hintergrund, dass Russlands Propaganda die internationalen Soldaten der Ukraine regelmäßig als geldgierige Söldner beschreibt. Im Gegensatz dazu hörten die Autoren von den Soldaten durchgängig, sie seien vor allem gekommen, um „das Richtige zu tun“ oder um „Zivilisten zu schützen“. Nichts weise auf finanzielle Motive hin.
Wlad meint dazu, für klassische „Söldner“ sei die Legion ohnehin der falsche Ort. Dafür zahle sie zu schlecht, denn die Kämpfer bekämen nicht mehr Sold als jeder andere ukrainische Soldat auch. Laut Website liegt das Gehalt bei 550 Dollar im Monat, mit Zuschlägen für Kampfeinsätze bis zu 4800 Dollar. „Keiner kommt wegen des Geldes“, sagt Wlad, und wenn doch, dann sei das schlicht ein „idiotischer Business-Plan“.
Zwei Kämpfer aus Tschetschenien
An einem anderen Ort in der Ukraine sitzen Hadschi-Murad Zumso und ein Soldat mit dem Kampfnamen „Benord“ an hölzernen Tischen. Beide tragen Bärte und Pistolen, und beide sind Tschetschenen. „Benord“ hat viele Jahre in Norwegen gelebt, als seinen bürgerlichen Namen gibt er Mikael Andersen an. Zumso wird von allen nur als Hadschi-Murad angesprochen.
Die beiden verbindet ein prägendes Erlebnis: Als Jungen mussten sie miterleben, wie 1995 die russische Armee die Unabhängigkeitsbestrebungen der muslimischen Kaukasusregion Tschetschenien niederschlug und die Hauptstadt Grosny in Asche bombte. Am Ende waren damals etwa 25.000 Menschen tot. „Benord“ vergleicht das Massaker mit der Zerstörung Dresdens im Jahr 1944.
„Benord“ kommt aus einer Familie von Zahnärzten, Hadschi-Murads Onkel war ein Stellvertreter Dschochar Dudajews, des damaligen Präsidenten der selbst ausgerufenen „Tschetschenischen Republik Itschkeria“. Wenn Dudajew zum Tee kam, kletterte Hadschi-Murad auf seinen Schoß.
Nach dem Fall von Grosny ging der Widerstand in den Untergrund. Einige Einheiten führten Guerillaangriffe und blutige Geiselnahmen durch, und als der russische Präsident Boris Jelzin einen Geheimdienstmann namens Wladimir Putin zum Ministerpräsidenten machte, holte Moskau noch einmal aus. Der Zweite Tschetschenienkrieg begann 1999 und forderte zwischen 50.000 und 80.000 Menschenleben.
Hadschi-Murad wird ungehalten, wenn man ihn auf die Geiselnahmen von damals anspricht. Warum, fragt er dann, spreche man immer nur davon und nicht von den ungezählten Kindern, „welche die Russen in unserer Heimat getötet haben“? Er selbst hat sich jedenfalls mit siebzehn dem Untergrund angeschlossen. „Benord“ folgte etwas später. Als dann auch der Zweite Tschetschenienkrieg verloren war, gingen sie beide ins Ausland.
Nach dem russischen Einmarsch im ukrainischen Industriegebiet Donbass und der Annexion der Krim im Jahr 2014 schloss Hadschi-Murad sich dann einer tschetschenischen Freiwilligenmiliz an, die damals half, die Ukraine zu verteidigen. Für ihn eine Selbstverständlichkeit, denn viele der russischen Kämpfer auf der anderen Seite hatten vorher in Tschetschenien gewütet. Für Hadschi-Murad waren sie böse alte Bekannte.
„Meine Frau ist Soldatin wie ich“
Als Putin dann 2022 seinen Großangriff auf die Ukraine startete, reiste das Oberhaupt der tschetschenischen Exilregierung, Achmed Sakajew, von London nach Kiew, um dort unter dem Dach des ukrainischen Militärs ein tschetschenisches „Selbständiges Bataillon für Spezialeinsätze“ zu schaffen. Hadschi-Murad trat an die Spitze, „Benord“ kam dazu. Im norwegischen Exil hatte er sich eigentlich eine neue Existenz aufgebaut. Moskau hatte zwar seine Auslieferung beantragt, aber die Justiz lehnte ab, und so gründete er mit zwei Lastwagen ein kleines Transportunternehmen, heiratete und bekam zwei Kinder.
Als dann am 24. Februar 2022 die Invasion begann, beschloss „Benord“, wieder in den Kampf zu gehen, und eine Woche später war er in Kiew. Seiner Frau sagte er, es gehe nach Spanien. Sie hat es nicht hingenommen, und heute sind sie geschieden.
Er und Hadschi-Murad zögern keine Sekunde, wenn man sie fragt, wofür sie hier kämpfen: für die Ukraine, sagen sie, und zugleich für Tschetschenien. Und dann natürlich, fügt „Benord“ hinzu, „für Europa und die Demokratie“.
Und wie halten sie es mit dem militanten Islam, wie er unter manchen Tschetschenen verbreitet ist? „Benord“ sagt, er praktiziere den muslimischen Glauben, aber er respektiere auch jede andere Religion. Hadschi-Murad ruft zwar im Gespräch immer wieder Gott an, aber auch bei ihm weist nichts darauf hin, dass er einem aggressiven Dschihadismus anhängen könnte.
Die Londoner Exilregierung jedenfalls, der beide verbunden sind, hat allen Versuchen, in der Heimat ein „Emirat“ aufzurichten, immer wieder scharf widersprochen. „Benord“ sagt, ihm sei es gleich, ob eine Frau ein Kopftuch trage oder nicht. Und bei unserem Gespräch mit Hadschi-Murad ist im Hintergrund eine Kämpferin in Uniform zu sehen, sehr ernst und mit unbedecktem Haar. Von muslimischer Kleiderordnung keine Spur. „Das ist meine Frau,“ sagt Hadschi-Murad. „Sie ist Soldatin wie ich.“
Russen gegen Putin
Auch aus Russland selbst kommen Soldaten, und wir treffen einige von ihnen eines sonnigen Tages beim Waffenreinigen am Rande einer Schießbahn. Auf dem Tisch liegen die Läufe, Griffe und Verschlüsse ihrer Gewehre, und wegen der Hitze tragen sie T-Shirts und Gummischlappen.
Einer der Männer ist Alexej Baranowskij, der in der Öffentlichkeit als Sprecher der „Legion Freiheit Russlands“ auftritt. Jetzt legt er sein Gewehr beiseite und erzählt: Vor Putins Großinvasion gehörte er in Russland zum zivilen Widerstand. Er ging auf Demonstrationen, und weil er Anwalt ist, verteidigte er vor Gericht andere Oppositionelle. Als dann vor dem Überfall Putins Rhetorik gegen die Ukraine immer schärfer wurde, verstand er, dass es Zeit war, zu gehen. Er nahm den letzten Flug in die Ukraine, und in Kiew meldete er sich zu einer der Freiwilligeneinheiten, die damals überall aus dem Boden schossen. Die ukrainischen Kameraden runzelten zwar die Stirn, als sie seinen russischen Pass sahen, aber weil er als Anwalt auch Ukrainer verteidigt hatte, nahmen sie ihn schließlich auf.
In der ukrainischen Armee gibt es heute drei Einheiten mit vorwiegend russischen Kämpfern. Wlad, unser Kontaktmann bei den Streitkräften, hat uns bestätigt, dass alle drei dem Militärgeheimdienst HUR unterstehen. Untereinander koordinieren sie sich durch einen „Zivilen Rat“ in Warschau. Ihre Stärke ist unklar. Die International Crisis Group schätzte sie 2023 auf 200 Soldaten, andere Schätzungen sind höher. Zum ersten Mal sind die drei Gruppen bekannt geworden, als Anfang 2024, noch vor dem großen Vorstoß in das Gebiet Kursk, zum ersten Mal bewaffnete ukrainische Formationen kleinere Kommandoaktionen auf russischem Territorium wagten. Die russischen Einheiten beanspruchten die Angriffe für sich.
Die drei Einheiten sind sehr unterschiedlich. Die älteste von ihnen, das „Russische Freiwilligenkorps“, vertritt einen Nationalismus ethnischer Prägung, der sich aber zugleich antiimperialistisch gibt. Es fordert, die multiethnische Russische Föderation durch einen kleineren, „nationalen russischen Staat“ abzulösen, der das Selbstbestimmungsrecht der nichtrussischen Völker anerkennt. Die prägende Figur des „Russischen Freiwilligenkorps“ ist der Rechtsextremist Denis Kapustin, der lange in Deutschland gelebt hat und dem die deutschen Behörden 2019 die Aufenthaltsgenehmigung entzogen haben.
Rechts, Mitte, links
Wegen der rechtsradikalen Färbung des „Freiwilligenkorps“ hat der „Zivile Rat“ in Warschau die Verbindungen eine Zeit lang unterbrochen und die Gründung anderer Formationen betrieben. Nach den Erkenntnissen der International Crisis Group entstand auf diesem Wege dann eine Formation namens „Sibirisches Bataillon“, das ausdrücklich auch Kämpfern aus den nichtrussischen Völkern der Russischen Föderation offensteht. Nach Angaben der International Crisis Group bekennt es sich zu den Werten der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Die „Legion Freiheit Russlands“ schließlich, deren Kämpfer wir beim Waffenreinigen sprachen, wird von Ilja Ponomarjow geprägt, dem einzigen Abgeordneten der russischen Staatsduma, der 2014 gegen die Annexion der Krim zu stimmen wagte. Ponomarjow ging 2016 ins ukrainische Exil und beschreibt sich als Chef einer „Nationalen Republikanischen Armee“ im russischen Untergrund, deren Existenz nicht belegt ist, die aber nach seinen Angaben 2022 Daria Dugina ermordet hat – eine antiukrainische Agitatorin, die auf den Sanktionslisten Amerikas und Britanniens stand.
Ponomarjow und die „Legion Freiheit Russlands“ versuchen offenbar, ein möglichst breites Spektrum abzudecken. Er selbst hat sich einmal als einen „linkslibertären Anarchisten“ beschrieben, andere Führungsfiguren gehören dagegen zu einer nationalistisch-monarchistischen Strömung. Alexej Baranowskij, den wir auf der Schießbahn treffen, beschreibt sich im Gespräch als „teils konservativ, teils liberal, teils libertär“. Als er noch Oppositionelle vor Gericht verteidigte, gehörte ein in Russland verhafteter Aktivist des ukrainischen „rechten Sektors“ zu seinen Mandanten.
Das Vorbild Deutschland
Ähnlich wie Hadschi-Murads Tschetschenen sehen auch die Soldaten der „Legion Freiheit Russlands“ sich nicht nur als Soldaten der Ukraine, sondern auch als Kämpfer für ihr eigenes Land. „Der nächste Schritt wird die Befreiung Russlands sein“, sagt Baranowskij. „Der Sieg der Ukraine wird den Fall des Regimes beschleunigen.“ Den Weg zum Neuanfang nach dem erhofften Sturz Putins hat er in der Onlinezeitung „Kyiv Post“ mit der Entnazifizierung Westdeutschlands beschrieben.
Wenn Putin stürze, müsse wie nach dem Ende Hitlers zunächst eine „Säuberung auf allen Ebenen“ kommen. Eine Übergangsregierung würde Kriegsverbrecher dann der ukrainischen Justiz oder einem internationalen Gericht ausliefern. Danach solle es „freie demokratische Wahlen“ geben, und zwar anders als seinerzeit in Deutschland nicht erst nach vier Jahren, sondern schon nach zweien.
Und noch ein anderer Unterschied ist wichtig: In diesem Plan würde Russland nicht durch fremde Besatzer von den Rückständen der Diktatur befreit, sondern durch seine eigene bewaffnete Opposition. „Das Russische Volk hat Putin leider selbst geschaffen“, hat Baranowskij der „Kyiv Post“ gesagt – „also müssen wir auch selbst mit ihm Schluss machen. Das wird kein anderer für uns übernehmen.“
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