Wahl in Georgien: Die Regierung lässt die Kritik an der Wahl einfach abperlen

Georgiens Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili zeigt sich erfreut über den neuen Fortschrittsbericht der EU über sein Land: Der Bericht zeige, dass Georgien „auf dem Weg der EU-Integration voranschreitet“, sagte er am Donnerstag. Er behauptete, bei den „fundamentalen Fragen“ gehöre Georgien zu den führenden Ländern unter allen Beitrittskandidaten der Gemeinschaft.

Das ist das genaue Gegenteil dessen, was der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, als der Bericht am Mittwoch in Brüssel vorgestellt wurde: Die georgische Regierung habe das Land im zurückliegenden Jahr „von der EU weg bewegt“, so Borrell. Die Parlamentswahl am Wochenende habe die Tendenz der vergangenen Monate bekräftigt, dass die Regierung in Tiflis sich von den „Werten und Prinzipien“ der EU entferne. Der EU-Botschafter in Georgien äußerte sich noch deutlicher: Das Land habe in den vergangenen Monaten in den Fragen von Justiz und Grundrechten einen Rückschritt erlebt, „der beispiellos ist für ein Land, das der EU beitreten will“.

Papuaschwilis eigenwillige Interpretation des EU-Fortschrittsberichts steht nicht allein. Offenbar versucht die Regierungspartei Georgischer Traum, die scharfe Kritik einfach abperlen zu lassen, die national und international wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten und mutmaßlichen in großem Stil begangenen Manipulationen an der Parlamentswahl am Samstag geäußert wurde. Schon Anfang der Woche hatte die zentrale Wahlkommission eine Erklärung veröffentlicht, in der es hieß, die internationalen Wahlbeobachter der OSZE hätten die Wahl „positiv“ und die Arbeit der Wahlkommission als „auf höchstem Niveau“ bezeichnet. Tatsächlich ist der vorläufige Bericht der OSZE-Wahlbeobachter ungewöhnlich kritisch ausgefallen.

Am Donnerstag bezeichnete der Generalsekretär des Georgischen Traums, der Tiflisser Bürgermeister Kacha Kaladse, den Bericht der OSZE-Wahlbeobachter als „phantastisch“: „Sie haben direkt gesagt, dass die Menschen die Möglichkeit hatten, eine Wahl zu treffen.“ Und der Fraktionsvorsitzende der Partei Mamuka Mdinaradse wertete die Erklärung des amerikanischen Präsidenten Joe Biden zur Parlamentswahl als „kritische Anerkennung“. Biden zeigte sich in seiner Erklärung „tief alarmiert durch die demokratischen Rückschritte“ in Georgien und bezeichnete die Wahl als „durch zahlreiche belegte Missbräuche administrativer Ressourcen sowie Einschüchterung und Zwang von Wählern beschädigt“.

Die Präsidentin erscheint nicht vor der Staatsanwaltschaft

Laut dem offiziellen Ergebnis hat der Georgische Traum 53,9 Prozent der Stimmen erhalten, während die vier wichtigsten Oppositionskräfte zusammen nur auf knapp 38 Prozent kommen. Präsidentin Salome Surabischwili und die Opposition sprechen von systematischen Manipulationen und haben erklärt, dass sie dieses Ergebnis nicht anerkennen. Die georgische Wahlbeobachtergruppe „Meine Stimme“, die in hat auf der Grundlage der seit dem Wochenende zusammengetragenen Informationen über Verstöße und Unregelmäßigkeiten inzwischen die Annullierung des Ergebnisses in 246 der insgesamt 3111 Wahlbezirke beantragt. Die wichtigsten Gründe dafür sind systematische Verletzungen des Wahlgeheimnisses, Einschüchterung von Wählern und mehrfache Stimmabgaben. Georgische Wahlbeobachter legen jeden Tag weitere Belege für bis dahin nicht erfasste Vorfälle vor.

Der Georgische Traum versucht, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl mit Schritten zu kontern, die oberflächlich als Entgegenkommen verstanden werden können. So teilte die Wahlkommission am Mittwoch mit, die angesichts der Kritik an der Wahl angeordnete Neuauszählung in 366 zufällig ausgewählten Bezirken habe nur minimale Korrekturen am Ergebnis erbracht. Daran hatten allerdings auch die Wahlbeobachter nicht gezweifelt, da sie nicht in erster Linie die Auszählung der in Wahlmaschinen erfassten Stimmen kritisieren, sondern die Methoden, mit denen die Stimmen für den Georgischen Traum zustande gekommen sind.

Zu Verstößen gegen das Wahlgesetz ermittelt auf Antrag der Georgischen Wahlkommission inzwischen auch die Staatsanwaltschaft. Die Wahlkommission begründete ihre Anzeige bei der Staatsanwaltschaft mit den „unbegründeten Anschuldigungen“, die gegen sie erhoben würden und ihren Ruf schädigten. Im Rahmen dieser Ermittlungen hatte die Staatsanwaltschaft für Donnerstag Staatspräsidentin Salome Surabischwili zu einer Vernehmung vorgeladen.

Diese ist dazu nicht erschienen, wie sie bereits am Mittwochabend angekündigt hatte. Sie äußerte den Verdacht, bei ihrer Vorladung zur Staatsanwaltschaft gehe es darum, ein politisches Verfahren gegen sie zu eröffnen. Das Vorgehen der Justiz weise eine „seltsame Übereinstimmung“ mit den „Anweisungen“ des früheren russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew auf. Nachdem Surabischwili am Sonntag mitgeteilt hatte, dass sie das Wahlergebnis nicht anerkennen werde, hatte der stellvertretende Vorsitzende des russischen nationalen Sicherheitsrates sie auf der Plattform X als „Marionettenpräsidentin“ bezeichnet, die „zu einem Putsch aufruft“. Er fügt hinzu: „Das übliche Verfahren in einem solchen Fall ist Entfernung aus dem Amt und Verhaftung.“

Die Mutmaßung, die Aktivitäten der Staatsanwaltschaft zur Wahl könnten sich schließlich gegen die Kritiker der Regierung richten, ist nicht aus der Luft gegriffen. Ermittelt wird wegen „Einmischung in die Arbeit von Wahlkommissionen“; viele der dokumentierten Unregelmäßigkeiten wurden jedoch von Mitgliedern von Wahlkommissionen auf lokaler Ebene begangen.

Die Staatsanwaltschaft kündigte zudem die Befragung aller an, die Informationen über die mutmaßlichen Vergehen hätten; der Kontext der Erklärung legt nahe, dass damit vor allem Oppositionspolitiker und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen gemeint sind, die Vorwürfe gegen die Wahlbehörden erheben. In diese Richtung weist auch eine Erklärung der Zentralen Wahlkommission, die am Mittwoch von „Beleidigungen“ und „Druck“ auf Mitarbeiter der Wahlbehörden berichtete und ankündigte, diese Taten würden streng verfolgt.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*