Was wenig Zucker in den ersten 1.000 Lebenstagen bringen kann

Dass Zucker, in rauen Mengen genossen, ungesund ist, ist eine bekannte, wenngleich bittersüße Wahrheit. Eine neue Studie kommt nun zu dem Schluss, dass sich insbesondere der frühe Zuckerkonsum im Leben eines Menschen beträchtlich auf die Gesundheit auswirken kann.

Wenig Zucker schützt vor chronischen Krankheiten

Konkret soll eine geringe Zuckeraufnahme in den ersten 1000 Lebenstagen vor chronischen Krankheiten im späteren Leben schützen, wird in der im Fachjournal Science veröffentlichten Untersuchung postuliert. So könne das Risiko für Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck gesenkt bzw. der Ausbruch der Krankheiten verzögert werden. 

Spannend ist das Design der Studie: Sie stützt sich auf Daten aus dem Ende der Zuckerrationierung Anfang der 1950er-Jahre im Vereinigten Königreich. Als der Zucker nach dem Zweiten Weltkrieg rationiert wurde, weil es dauerte, bis wieder alle Zuckerfabriken errichtet werden konnten, konsumierten die Menschen durchschnittlich bis zu 40 Gramm freien zugesetzten Zucker pro Tag. Das entspricht in etwa der heutigen WHO-Mengenempfehlung von höchstens 50 Gramm freiem Zucker täglich.

Nach Ende der Rationierung stieg der Zuckerkonsum der britischen Bevölkerung drastisch an.

Einfluss von Zucker ab Zeugung des Kindes

Die Forschenden untersuchten nun Gesundheitsdaten aus der UK Biobank – eine langfristige, studienbezogene Sammlung von biologischen Proben und gesundheitsbezogenen Daten von rund einer halben Million Menschen. Analysiert wurden Informationen von 60.183 Erwachsenen, die einige Jahre vor bis einige Jahre nach dem Ende der Rationierung gezeugt wurden (Oktober 1951 bis März 1956).

Für die Auswertung konzentrierte man sich auf den Einfluss von Zucker während der ersten 1000 Tage ab Zeugung des Kindes: sprich die Entwicklung des Fötus in der Schwangerschaft sowie die ersten zwei Lebensjahre. Durch die nahezu schlagartige Änderung im Zuckerkonsum der Bevölkerung konnten sie auch Personen untersuchen, deren Zeugung noch zu Zeiten der Zuckerrationierung stattfand, die aber als Kleinkinder bereits höhere Mengen an Zucker zu sich nahmen. 

Es zeigte sich, dass die Rationierung in den ersten 1000 Tagen das langfristige Diabetesrisiko um etwa 35 und das Bluthochdruckrisiko um etwa 20 Prozent senkte.

Wichtige Botschaft und methodische Mängel

Doch inwiefern lassen die Auswertungen dieses natürlichen Experiments auf Bevölkerungsebene Rückschlüsse auf den Effekt von Zuckerkonsum in der Schwangerschaft und bei Kleinkindern zu?

„Die Ergebnisse der Studie sind beeindruckend und auf der anderen Seite überrascht mich der Effekt nicht“, sagt Regina Ensenauer, Leiterin des Instituts für Kinderernährung am deutschen Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (Max Rubner-Institut), zum Science Media Center. Aus ihren eigenen Forschungen wisse sie, dass „sich eine Ernährung mit einem hohen Zuckeranteil direkt auf die Gesundheit der Nachkommen auswirkt“.

Zu beachten gelte auch der Einfluss einer grundsätzlich nährstoffarmen Ernährung, die oftmals mit einer zuckerreichen einhergehen kann. Es sei jedenfalls wichtig, „Ernährung zu einem wichtigen Thema machen: Durch Prävention kann hier viel – das heißt, auch schwere Erkrankungen – verhindert werden“.

Peter von Philipsborn, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, hält einen Teilaspekt der Studie für spannend: „Bemerkenswert ist, dass Personen, die kurz nach dem Ende der Zuckerrationierung gezeugt wurden, auch im höheren Erwachsenenalter immer noch deutlich mehr Zucker verzehrten als Menschen, die kurz vor Ende der Zuckerrationierung geboren wurden.“ Dies deute darauf hin, dass die Vorliebe für Süßes schon im Mutterleib und der frühen Kindheit geprägt werde, „und dann ein Leben lang Bestand hat“.

Mögliche Defizite der Studie führt Stefan Kabisch, Experte für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin an der Berliner Charité, ins Treffen: „Zeitgleich mit dem Ende der Zuckerrationierung veränderte sich das Ernährungsmuster der Bevölkerung (…) auch in anderen Aspekten, zum Beispiel bei der Fettzufuhr und dem Fleischkonsum.“ Auch andere Lebensstilfaktoren hätten sich verändert – etwa Bewegungsmuster, Luftqualität, Nikotinkonsum oder psychische Belastung im Nachkriegsleben. „Diese zusätzlichen Lebensstilfaktoren wurden in der Studie nicht alle mitgemessen, sodass man die Ergebnisse nicht dafür korrigieren kann. Eine Unsicherheit bezüglich der Effektgröße bleibt.“

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