„Das eine ist eine Veranstaltung der Regierung“, stichelt Esken gegen die FDP

Nach den beiden Wirtschaftsgipfeln von Christian Lindner und Olaf Scholz ging es bei Maybrit Illner um die Frage, wie sehr die zerstrittene Ampel-Regierung der deutschen Wirtschaft schadet. Am deutlichsten wurde ein Mann, der fernab von Berlin politische Verantwortung trägt.

Der deutschen Wirtschaft fehlt es an Dynamik. „Wir sind in einer Stagnationsphase seit dem zweiten Quartal 2022“, kommentierte Ökonom Lars Feld gegenüber dem ZDF den leichten Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im dritten Quartal dieses Jahres. Doch für einen großen, gemeinsamen Aufschlag scheint den drei zentralen Köpfe der Ampel-Regierung die Kraft oder der Wille zu fehlen. Robert Habeck schlug vergangene Woche einen staatlichen Investitions- und Infrastrukturfonds vor, Olaf Scholz und Christian Lindner veranstalteten am Dienstag zwei konkurrierende Wirtschaftsgipfel.

Statt einer gemeinsamen Strategie des Dreierbündnisses scheinen im Moment vorgezogene Neuwahlen wahrscheinlicher zu sein, für die es laut Medienberichten hinter vorgehaltener Hand bereits einen konkreten Termin geben könnte. „Wende oder Ende – gefährdet die Ampel den Wohlstand?“, fragte dazu Maybrit Illner die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, den FDP-Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr, den schleswig-holsteinischen CDU-Politiker Claus Ruhe Madsen, die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, sowie Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.

Die Situation sei „extrem herausfordernd“, erklärte Christian Dürr, doch die deutsche Wachstumsschwäche sei bereits ein älteres Problem. Seit 2014 falle der Staat etwa in der Wettbewerbsfähigkeit zurück, seit 2017 stecke er in einer Industrie-Rezession und seit 2018 gehe die Auto-Produktion zurück. Die strukturellen Probleme seien jahrelang durch die günstige Energie und die gleichfalls günstige Zinssituation überdeckt worden, schilderte der FDP-Politiker. Mit dem russischen Angriffskrieg habe sich diese Situation geändert. Deutschland stehe deshalb nun vor einer wirtschaftlichen Richtungsentscheidung.

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Die separaten Gipfeltreffen nahm Dürr locker hin. Es sei „absolut legitim“, dass sich der Bundeskanzler mit der Industrie zusammengesetzt hätte. Seine Partei vertrete die Auffassung, dass es um alle Unternehmen gehe. Saskia Esken empfand es als „seltsam“, dass beide Treffen am selben Tag haben stattfinden müssen. Allerdings seien sie auch unterschiedlich zu bewerten. „Das eine ist eine Veranstaltung der Regierung. Das ist kein SPD-Gipfel im Kanzleramt“, erklärte die Vorsitzende der Kanzlerpartei. Dass sie damit indirekt den Gipfel Lindners zum FDP-Treffen oder gar Privatvergnügen abwertete, blieb in der Runde unkommentiert.

Esken legte Wert darauf, dass die Gespräche in eine Wachstumsinitiative münden. Generell sah sie die Arbeit der Bundesregierung aber positiv. Sie seien mit einem „ambitionierten Programm“ gestartet und hätten angesichts der Zeitenwende und ihrer Folgen doch „wesentlich mehr“ auf den Weg gebracht, als dieses nur abzuarbeiten. Diskutiert werde dagegen so, als wäre die Regierung in den vergangen drei Jahren untätig gewesen und würde sich erst jetzt der Wirtschaft widmen. Im Juli sei etwa eine Wachstumsinitiative mit 49 Maßnahmen beschlossen worden, mit der sie die gesamte Wirtschaft adressieren.

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Als Teilnehmerin des Scholz-Gipfels forderte Christiane Benner Planungssicherheit für die Menschen und Unternehmen. Die Industrie mache 20 % der hiesigen Wertschöpfung aus. Ihr könne auch der Umbau zur Klimaneutralität gelingen. Für den wirtschaftlichen Erfolg sei es aber nötig, die hohen Energie- und Bürokratiekosten anzugehen sowie die Grundstoffindustrie, Maschinenbau, Forschung und Entwicklung im Land zu halten. Jörg Dittrich, Mitwirkender des Lindner-Gipfels, bestätigte die Gewerkschaftsfunktionärin. So schwächen die Energiekosten sowie eine aus Europa heranrollende Bürokratie-Welle den Standort.

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Zur Regierungsverantwortung gehöre auch eine Regierungsverpflichtung, postulierte Dittrich. Es herrsche die Erwartung eines abgestimmten, einheitlichen Konzepts. „Da helfen uns weitere Gesprächsrunden nicht mehr“, betonte der Handwerksfunktionär. Dem schloss sich ausgerechnet Christian Dürr an. Eine gemeinsame Richtungsentscheidung sei nun das „Gebot der Stunde“, unterstrich der FDP-Abgeordnete. Den „staatlichen Weg“ halte er für falsch. Sein Vorschlag sehe hingegen vor, sich „gemeinsam auf ein marktwirtschaftliches Reformkonzept zu verständigen, was in diesem Land wieder für Wachstum“ sorge.

„Aber wer soll Ihnen das denn abnehmen?“, entgegnete Claus Ruhe Madsen. Öffentlich fänden jede Woche Brainstormings von Ministerien oder der Bundesregierung statt. Von den Ergebnissen wolle später niemand mehr etwas wissen. „Die Garantie besteht eigentlich darin, dass es nicht umgesetzt wird“, kritisierte der Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins. Aufgrund der entstehenden Verunsicherung mangele es nun an Investitionen. Dabei gehe es Deutschland eigentlich „hervorragend, wenn wir mal ehrlich wären“. Das hiesige „Mindset“ sei jedoch sehr negativ à la „Wir werden alle sterben. Hauptsache, es geht schnell.“

Und wie steht es um die Restlebenszeit der Ampel-Regierung? Entweder schmiede die Koalition „mit aller Kraft, was notwendig ist, und setzen das sofort um“, erklärte Madsen, oder sie müsse „mal im Leben etwas konsequent sein“ und sich eingestehen, nicht mehr zusammenzufinden. Im Kabinett von Schleswig-Holstein seien die Debatten mitunter auch schwierig, aber die gesamte Regierung vertrete im Nachhinein eine gemeinsame Meinung. „Die Bevölkerung muss wissen, das haben sie darin beschlossen und daran halten sie fest“, forderte der CDU-Politiker. „Deutschland hat es nicht verdient, in Sippenhaft zu sein.“

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