Die Wahlanalyse: Warum Harris gegen Trump verloren hat

Hätten sich Kamala Harris und Donald Trump den intensiven Wahlkampf in den vergangenen Tagen und Wochen sparen können? Das könnte man fast meinen, wenn man sich die Zahlen des Fernsehsenders CNN anschaut. Acht von zehn Wählern hatten sich nämlich demnach schon vor September entschieden, wie sie abstimmen. Also noch vor dem großen und einzigen TV-Duell der beiden Präsidentschaftskandidaten, bei dem Harris Beobachtern zufolge punkten konnte.

Doch das wäre falsch gedacht. Es war klar, dass es in diesem von Demoskopen prognostizierten Kopf-an-Kopf-Rennen um jede einzelne Stimme geht. Vor allem in den Swing States, also in jenen Bundesstaaten, die stark umkämpft waren, weil sie weder klar zu den Republikanern noch zu den Demokraten neigen.

Für Harris, die wenige Monate vor der Wahl den altersschwachen Präsidenten Joe Biden als Kandidatin ersetzte, ging es darum, diejenigen Wählergruppen zu überzeugen, die Barack Obama in den Jahren 2008 und 2012 zum Sieg verhalfen. Das waren unter anderem Schwarze, Latinos, junge Wähler und weiße Frauen mit hohem Bildungsabschluss. Doch Harris konnte nur bei Letzteren zulegen, bei den anderen drei Gruppen schwächelte sie, wie die ersten Nachwahlbefragungen zeigen. (Diese „exit polls“ haben zwar auch Fehlermargen, geben aber einen ersten Eindruck, was Dienstagnacht in Amerika passiert ist.)

Zugleich liefen weiße Wähler ohne College-Abschluss wieder in Scharen zu Trump über. Diese Wählergruppe hatte schon 2016 die Demokratin Hillary Clinton den allseits erwarteten Sieg gekostet. Joe Biden hingegen hatte 2020 auf genug von ihnen für einen Sieg zählen können.

Harris hat also bei zu vielen entscheidenden Wählergruppen zu schwach abgeschnitten. Deshalb konnte sie vermutlich keinen Swing State gewinnen.

Latinos werden wichtiger – und laufen den Demokraten davon

In den Vereinigten Staaten, das hatte sich über Wochen hinweg abgezeichnet, hat sich eine Wechselstimmung breitgemacht. Viele Bürger haderten mit der Inflation und sahen ihr Land auf einem falschen Kurs. Offen war allenfalls, ob eher die 60 Jahre alte Vizepräsidentin Harris oder der 78 Jahre alte Trump, der schon von 2017 bis 2021 Präsident war, den Wandel am besten verkörpert.

Die Antwort auf diese Frage fällt klar aus: 41 Prozent geben in einer Nachwahlbefragung an, der Republikaner bringe den nötigen Wandel. Nur 14 Prozent hätten diesen Harris zugetraut.

Dabei war der Wahlkampf für Harris gut losgegangen. In den Umfragen stand sie auf Anhieb deutlich besser da als zuvor Biden. Doch offenbar gelang es ihr nicht, beim wichtigsten Wahlkampfthema, der Wirtschaftspolitik, zu punkten. Im Gegenteil: Dem früheren Geschäftsmann und Millionär Trump schreiben die Wähler eine höhere Kompetenz in diesem Bereich zu. Mit ihm verbinden viele Amerikaner eine bessere Konjunktur, die sich in seiner ersten Amtszeit erst mit der Pandemie verschlechterte. Die Corona-Politik hatte Trump vor vier Jahren den Sieg gekostet, aber Corona war gestern und die Inflation wirkt bis heute nach. Es galt in dieser Präsidentenwahl wieder das, was einst Bill Clintons Berater formulierte: „It’s the economy, stupid!“

So ist auch zu erklären, warum sehr viele Latinos ins Republikaner-Lager abgewandert sind, eine Wählergruppe, die historisch gesehen eigentlich meist deutlich dem Demokraten-Lager zugeneigt war und deren Bedeutung in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen hat. Waren im Jahr 2000 erst gut 14 Millionen Latinos wahlberechtigt, sind es nun gut 36 Millionen gewesen. Latinos sind unter den Ethnien mittlerweile die zweitgrößte Wählergruppe, noch vor den Schwarzen.

Können sich manche Wähler keine Frau als Präsidentin vorstellen?

Da viele Latinos dem Arbeitermilieu zuzurechnen sind und die Inflation der vergangenen Jahre besonders spüren, haben viele von ihnen nun Trump gewählt. Wenngleich auch einige mit der Faust in der Tasche. Immerhin hatte Trump behauptet, Migranten würden Haustiere essen, und er hatte zuletzt vorgeschlagen, Migranten sollten in Käfigen kämpfen. Zudem stammen viele Latinos aus Kuba und Venezuela, haben also schlechte Erfahrungen mit dem Sozialismus gemacht und neigen daher nun dem anderen Extrem zu.

Es gab zwar immer noch gut jeder zweite Latino Harris seine Stimme. Obama, Clinton und Biden waren in der Gruppe aber auf 65 bis 71 Prozent gekommen. Erstaunlich ist vor allem die Verschiebung bei den männlichen Latinos, bei dieser Gruppe hat Harris satte 15 Punkte schlechter abgeschnitten als vergangenes Mal Biden.

Das Abstimmungsverhalten von Männern war schon im Wahlkampf ein Thema. Einige von ihnen, so hieß es, könnten sich offenbar immer noch nicht vorstellen, eine Frau an der Spitze des Staates zu haben. Harris wäre die erste Präsidentin in der Geschichte der Vereinigten Staaten gewesen. So hatte der ehemalige Präsident Obama schwarze Wähler beschimpft. „Sie kommen mit allen möglichen Gründen und Ausreden an, und damit habe ich ein Problem“, sagte er vor einigen Wochen. Er habe die Vermutung, „und ich spreche hier direkt zu den Männern, … dass Ihnen die Vorstellung, eine Frau als Präsidentin zu haben, einfach nicht gefällt“. Nun waren es aber gar nicht die schwarzen Männer, die Harris ihre Stimme versagten, sondern die männlichen Latinos (und durchaus auch die Latinas).

Insgesamt hat sich der Gender-Gap zwischen den Wählern im Vergleich zu den vergangenen Jahren gar nicht so sehr geändert. Harris holte bei den Frauen 54 Prozent, bei den Männern nur 44 Prozent. Das unterscheidet sich nicht groß von den Werten, die Biden, Clinton und Obama einfuhren. Vergeblich hatte Harris gehofft, bei den Frauen noch mehr zu punkten, wenngleich sie ihr Geschlecht im Wahlkampf nicht so sehr in den Fokus rückte, wie es Hillary Clinton 2016 getan hatte.

Dass die Demokraten ausgerechnet gegen Trump mit einer schwarzen Kandidatin bei den Frauen nicht besser dastehen und bei den Schwarzen so schlecht abgeschnitten haben wie seit Mitte der neunziger Jahre nicht, wird der Partei zu denken geben. Je nach Umfrageinstitut verlor Harris im Vergleich zu Biden bei den schwarzen Wählern ein bis acht Prozentpunkte. Immerhin gaben mehr Wähler der Demokratin ihre Stimme aus Überzeugung denn aus Ablehnung des anderen Kandidaten. Das gilt für die Trump-Wähler allerdings umso mehr.

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