Bruch der Ampelkoalition: Ende mit einem lauten Knall

Stand: 07.11.2024 05:29 Uhr

Die Ampel ist am Ende. Die heftigen Vorwürfe, die sich Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner machen, zeigen: Das Verhältnis muss zuletzt ziemlich zerrüttet gewesen sein. Der Wahlkampf ist bereits gestartet.

Die Wahl von Donald Trump hätte schon gereicht, um diesen 6. November zu einem denkwürdigen Tag zu machen. Doch dann folgt am Abend in Berlin noch das Ende der Ampelkoalition. Und das mit einem Paukenschlag: Bundeskanzler Olaf Scholz tritt vor die Presse und äußert sich mit einer Leidenschaft, die oft an ihm vermisst wurde. Seinem bisherigen Koalitionspartner Christian Lindner wirft er Vertrauensbruch vor. Lindner habe keinerlei Bereitschaft gezeigt, Vorschläge zum Wohle des Landes umzusetzen. „Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten.“

Erste Risse beim Thema Schuldenbremse

Das sagt ein Kanzler, der sich in den fast drei Jahren der Ampelkoalition inhaltlich oft näher bei Lindner positioniert hat als bei den Grünen und den eigenen Genossen, gerade in wirtschaftlichen Fragen. Die Forderung nach einem Industriestrompreis beispielsweise lehnte er im Einklang mit Lindner ab. Auch beim Haushalt äußerte sich Scholz in den ersten beiden Ampel-Jahren – zumindest öffentlich – nicht negativ über seinen Nachfolger im Amt des Finanzministers.

Das änderte sich erst in diesem Sommer. Als es um die Frage ging, wie milliardenschwere Haushaltslöcher gestopft werden können, gerieten Scholz und Lindner öffentlich aneinander. Schon dabei ging es um die Frage, inwieweit der Haushalt über höhere Schulden ausgeglichen werden kann – ein Thema, das am Ende auch beim Ampel-Aus eine wichtige Rolle spielt.

„Das musste man als Provokation sehen“

Konkreter Auslöser für das Aus in dieser Woche ist aber das jüngste Wirtschaftspapier von FDP-Finanzminister Lindner, in dem dieser Forderungen aufgestellt hatte, die bei SPD und Grünen als Kampfansage aufgefasst wurden. Ein Verschieben der Klimaziele, Einschränkungen bei Sozialausgaben – „das musste man als Provokation sehen“, sagt dazu am Abend Wirtschaftsminister Robert Habeck. Das Ampel-Aus hält der Grünenpolitiker dennoch für falsch: Es sei tragisch, zumal an einem Tag, an dem Deutschland eigentlich Handlungsstärke beweisen müsste.

Lindners Forderungen gingen tatsächlich weit über die noch im Juli vereinbarte Wachstumsinitiative der Ampel hinaus. Sein Vorgehen erinnerte an das Lambsdorff-Papier aus dem Jahr 1982, das den Anlass für das Ende der damaligen sozial-liberalen Koalition unter Helmut Schmidt bot.

Lindner setzt zum Gegenschlag an

Doch Lindner macht am späten Abend auch deutlich: Den Schwarzen Peter für das Ampel-Aus akzeptiert er nicht, er gibt ihn postwendend an Scholz zurück. Dem Kanzler wirft er einen kalkulierten Bruch der Koalition vor. Scholz habe von ihm ultimativ verlangt, die Schuldenbremse auszusetzen – damit aber hätte er seinen Amtseid als Finanzminister verletzt.

Zugleich setzt Lindner zum Gegenschlag in Sachen Wirtschaft an: „Olaf Scholz hat lange die Notwendigkeit verkannt, dass unser Land einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötigt. Er hat die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost.“ Die Gegenvorschläge des Kanzlers zu seinem Papier seien matt, Scholz habe nicht die Kraft, Deutschland einen neuen Aufbruch zu ermöglichen.

Hier zeigt sich, wie zuvor beim Statement von Scholz, wie viel Unmut sich in den vergangenen Wochen und Monaten innerhalb der Ampel angestaut haben muss. Scholz spricht bei Lindner von parteipolitisch motiviertem Egoismus und von öffentlich inszeniertem Streit.

Appelle an die Union

Zugleich wird deutlich, dass die bisherigen Partner bereits die anvisierten Neuwahlen im Blick haben. Denn Scholz will sich Mitte Januar einer Vertrauensfrage stellen, die – im Fall des wahrscheinlichen Scheiterns – Ende März 2025 zur Neuwahl des Bundestags führen könnte. Bis dahin will er allein mit den Grünen regieren, aber auch das Gespräch mit den Unionsparteien CDU und CSU suchen, um für wichtige Gesetzesvorhaben parlamentarische Mehrheiten zu bekommen.

An die staatspolitische Verantwortung der Union appelliert auch Wirtschaftsminister Habeck. Wie Scholz gibt der Grünen-Politiker der FDP die Hauptschuld für das Ampel-Aus: Er habe schon den Eindruck, dass Lindner und die FDP einen Weg raus aus der Koalition gesucht hätten, so Habeck in den tagesthemen. Zugleich warnt er vor einer längeren Phase der Unsicherheit, in der wichtige Entscheidungen nicht getroffen werden könnten. So sei damit zu rechnen, dass der Bundeshaushalt für 2025 erst Mitte kommenden Jahres verabschiedet werden kann.

Die Spitzenkandidaten stehen schon fest

Das wiederum ist ein Argument für die Opposition: Der CSU-Vorsitzende Markus Söder fordert Neuwahlen bereits im Januar, BSW-Chefin Sahra Wagenknecht spricht von politischer Insolvenzverschleppung.

Unabhängig davon, wann tatsächlich neu gewählt wird: Für die Parteien stehen in den kommenden Wochen wichtige Entscheidungen an. Bei der SPD dürfte nach dem heutigen Tag kein Zweifel mehr daran bestehen, dass sie mit Scholz in den Wahlkampf zieht – so viel Führungsstärke war selten. Die Grünen wiederum dürften spätestens bei ihrem Bundesparteitag in gut einer Woche Habeck offiziell zum Kanzlerkandidaten ausrufen. Führende Liberale schließlich lassen keinen Zweifel daran, dass Lindner auch nach diesem Abend die unangefochtene Nummer eins der Partei ist und dass man mit ihm in den nächsten Wahlkampf ziehen wird.

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