Das große Protokoll – „Ultimativ und heute“: Wie der Ampel-K.o. zwischen Scholz und Lindner wirklich ablief

Das große Protokoll: „Ultimativ und heute“: Wie der Ampel-K.o. zwischen Scholz und Lindner wirklich ablief

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Die Ampel ist Geschichte. Am Mittwochabend platzte das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP. Vorausgegangen waren drei Jahre der Zwietracht. Der finale Showdown dauerte nur wenige Stunden. Das passierte hinter den Kulissen – und vor den TV-Kameras.

Es ist 20.33 Uhr am Mittwochabend, da fallen die entscheidenden Worte. Drei Worte. „Scholz entlässt Lindner.“ Es ist der Moment, in dem „Welt“-Journalist Robin Alexander Deutschland mitteilt: Die Ampel ist geplatzt. Eine dreijährige Hängepartie – sie endet an einem kalten, tristen Novemberabend im Berliner Regierungsviertel.

Wenig später tritt erst Kanzler Scholz vor die Kamera. Dann der Grüne Robert Habeck. Und schließlich FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner. Es ist das Ende des Ampel-Showdowns. Doch was ist in den Stunden zuvor passiert. Eine Rekonstruktion.

„Ultimativ und heute“: Scholz setzt Lindner hart unter Druck

12.15 Uhr: Der Showdown beginnt. Scholz, Lindner und Habeck treffen sich zum Dreiergipfel im Kanzleramt. Drei Männer, drei Ideologien. Eigentlich soll es um den 18-seitigen Wirtschaftsplan der FDP gehen. Doch den, so sagt Lindner später, sieht Scholz nicht mal als Beratungsgrundlage.

Stattdessen fordert der Kanzler von Lindner, die wirtschaftliche Notlage auszurufen und die Schuldenbremse auszusetzen. Der Kanzler will laut „Bild“-Zeitung 15 Milliarden Euro mehr Schulden. Alleine 12 Milliarden sollen sein großes Haushaltsloch stopfen.

Lindner lehnt zunächst ab. Er hat verfassungsrechtliche Zweifel. Er will nicht nochmal ein Fiasko erleben wie mit dem 60-Milliarden-Euro-Corona-Fonds, den das Bundesverfassungsgericht einkassierte. Der Beginn allen Ampel-Übels. Lindner will erstmal prüfen.

Scholz will keine Prüfung. Er will Taten. „Ultimativ und noch heute.“ Lindner sträubt sich weiter.

12.30 Uhr: Während Scholz im Kanzleramt gipfelt, sitzt sein Sprecher Steffen Hebestreit in der Bundespressekonferenz. Im Auftrag des Kanzlers sagt er, „dass diese Regierung konstruktiv bis zum regulären Bundestagswahl-Termin zusammenarbeiten wird“. Es sind noch acht Stunden bis zum großen Knall.

„Egomane“, „Schmusekätzchen“: Lindner kriegt es von allen Seiten ab

13.00 Uhr: Lindner steht an diesem Tag unter starkem Beschuss. Linken-Chefin Ines Schwerdtner nennt ihn einen „Egomanen“. SPD-Chefin Esken wirft ihm „Querschüsse“ vor. CSU-Boss Söder hat für ihn das Wort „Schmusekätzchen“ übrig. Und sogar aus den eigenen Reihen (NRW-FDP-Mann Gerhard Papke) wird Lindner angegangen, er würde „eine seiner vielen Inszenierungen“ aufführen.

14.45 Uhr: Der erste Dreiergipfel ist vorbei. Während Lindner schon früher zum FDP-Wirtschaftsgipfel düste, schlendert nun auch Wirtschaftsminister Habeck aus dem Kanzleramt. Sein Noch-Parteichef Omid Nouripour macht zur gleichen Zeit auf einer Pressekonferenz klar, dass die Grünen den Ampel-Bruch „nicht wollen“. Es sind noch sechs Stunden bis zum Bumm.

15.40 Uhr: Nach dem FDP-Wirtschaftsgipfel rauscht Lindner ab („Auf Wiedersehen“). Sein Fraktionschef Christian Dürr hingegen tritt vor die Presse. Er spricht über das Wirtschaftspapier. Ein „ehrliches Angebot“ sei das. „Es ist sozusagen zwölf Uhr“, sagt Dürr. Dabei ist es bereits 15.40 Uhr.

Robert Habeck: „Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland“

16.45 Uhr: Jetzt darf jeder Mal. Robert Habeck gibt ein Pressestatement ab. „Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland“ sagt er. Er spricht von „schwerem Fahrwasser“ und von der „Pflicht, uns auf die anstehenden Aufgaben zu konzentrieren“. Habeck bietet Lindner auch 10 Milliarden aus dem Transformations- und Klimafonds an, um das Haushaltsloch zu stopfen. Das ist ein Batzen.

 

Der finale Showdown: Als Lindners Vorschlag durchsickert, ist für Scholz das Maß voll

18 Uhr: Der Koalitionsausschuss im Kanzleramt startet. Scholz‘ Minister sind da, genauso wie die Generalsekretäre und Fraktionsbosse der Ampelparteien. Scholz hat vorher mit seiner Parteispitze alle möglichen Szenarien durchgesprochen. Nun zofft er sich mit Lindner weiter über die Schuldenbremse. Der „Tagesspiegel“ berichtet, es sei „laut“ geworden zwischen den Streithähnen. Beide Seiten sagen später, sie seien sich bei der Wirtschaftspolitik weit entgegengekommen. Doch für keinen weit genug. Die Fronten bleiben verhärtet.

Kurz nach 19 Uhr: Wie die „Bild“-Zeitung berichtet, ist jetzt der Moment gekommen. Finanzminister Lindner schlägt Kanzler Scholz Neuwahlen Anfang 2025 vor. Lindners Begründung: Es gibt keine ausreichenden Gemeinsamkeiten in der Wirtschaftspolitik mehr. Aber: Die FDP wolle bis zu den Neuwahlen in der Regierung bleiben und auch dem Nachtragshaushalt für 2024 zustimmen.

Die Sitzung wird daraufhin unterbrochen. Wie reagiert der Kanzler?

20.06 Uhr: Der Neuwahl-Vorschlag von Lindner sickert zur „Bild“-Zeitung durch. Eilmeldungen durchströmen das Land. Scholz ist erbost ob dieses Informationslecks, ob dieses Vertrauensbruchs. Er ruft Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an und bittet diesen um die Entlassung Lindners. Laut „Bild“ ist die Begründung das kaputte Vertrauensverhältnis. Spätestens jetzt ist das Ampel-Aus unabwendbar.

20.15 Uhr: Diese verdammten Informationslecks. Es ist ein Gipfeltreffen mit Standleitung in die Medienhäuser. „TableMedia“ berichtet, dass Scholz den Neuwahl-Vorschlag abgelehnt hat. Wieder Eilmeldungen.

Kurz vor 20.30 Uhr: Die Sitzung im Koalitionsausschuss geht weiter. Kurz. Denn Scholz informiert nun über Lindners Entlassung. Der Ex-Finanzminister schmeißt seinen Nachfolger raus.

Alle wichtigen Informationen dringen weiterhin nach draußen

20.33 Uhr: „Welt“-Journalist Robin Alexander setzt den Tweet ab. Scholz! Entlässt! Lindner!

20.38 Uhr: Die FDP-Gesandten verlassen das Kanzleramt.

21.10 Uhr: Noch bevor Scholz vor die Kameras tritt, sickern schon wieder wichtige Details durch. Unter anderem postet der „TableMedia“-Chefredakteur Michael Bröcker den Scholz-Fahrplan auf X (ehemals Twitter).

Das Wichtigste: Vertrauensfrage im Bundestag am 15. Januar. Mögliche Neuwahlen am 9. März. Später wird dieser Fahrplan bestätigt.

Scholz tritt vor die Kameras – und bewirft Lindner mit jeder Menge Schlamm

21.22 Uhr: Etwa eine Stunde nach Lindners Entlassung tritt Scholz vor die Mikrofone und Kameras. Es wird kein typisch bräsiger Scholz-Auftritt. Es wird eine Abrechnung, der Auftakt einer Schlammschlacht. Scholz stürzt sich auf Lindner, über den er einst noch sagte, „auf ihn kann man sich verlassen“. Jetzt klingt Scholz so: „Kleinkariert“ sei Lindner. Und „verantwortungslos“. Der FDP-Chef mache nur Politik für die eigene Klientel und das kurzfristige Überleben seiner Partei.

Scholz poltert weiter: „Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Das alles könne er als Kanzler „nicht dulden“. Das ist kein Arbeitszeugnis, das man schreibt, wenn man sich einvernehmlich trennt.

Standing Ovations für Lindner

21.30 Uhr: Scholz spricht. Die FDP-Fraktion trifft sich. Wie deren Boss Christian Dürr später erzählt, bekommt der Parteichef und Nicht-mehr-so-ganz-Finanzminister hier volle Rückendeckung. Einstimmig sei Lindner unterstützt worden. Für seine Entscheidung, die Schuldenbremse nicht aufzuweichen, habe es Standing Ovations gegeben.

Märtyrer Lindner. Von den eigenen Leuten wird er gefeiert. Von „Prinzipientreue“ und „Mut“ spricht Dürr. Und macht Lindner kurzerhand zum FDP-Spitzenkandidaten für die Neuwahlen.

Habecks kurzer Auftritt: Lindners Rauswurf folgerichtig wie unnötig

21.54 Uhr: Nachdem Scholz 15 Minuten lang schmutzige Wäsche gewaschen hat, gibt sich Robert Habeck in seinem Statement eher staatsmännisch. Es fühle sich „heute Abend falsch und nicht richtig an“, sagt Habeck. Obwohl Lösungsmöglichkeiten auf dem Tisch lagen (siehe 16.45 Uhr), habe man die Haushaltslücke nicht schließen können. 

„Die FDP war nicht bereit, diese Wege zu gehen“, sagt Habeck. Die Entlassung von Lindner sei letztlich so folgerichtig wie unnötig gewesen. 

Lindner wirft Scholz „kalkulierten Koalitionsbruch“ vor

22.01 Uhr: Jetzt ist Lindner dran. Längst tobt auf den Fluren im Bundestag der Kampf um die Deutungshoheit. Die einen sagen, Lindner habe es darauf angelegt, die Koalition zu sprengen. Lindner erzählt eine ganz andere Geschichte. Das Statement von Scholz 40 Minuten zuvor sei „vorbereitet“ gewesen, sagt Lindner. Für ihn ein Beweis, dass der Kanzler einen „kalkulierten Bruch“ herbeigeführt habe.

Seinen Vorschlag von Neuwahlen habe der Kanzler „brüsk zurückgewiesen“, so Lindner – der die Neuwahlen ja überhaupt nur vorschlug, weil Scholz ihm die Pistole auf die Brust setzte, die Schuldenbremse auszusetzen. „Dies konnte ich nicht mit meinem Amt vereinbaren“, sagt Lindner. Der nennt den Kanzler „matt“ und „unambitioniert“. Scholz „verharmlose“ die wirtschaftlichen Sorgen der Bürger.

Lindner sagt immer wieder, wie kompromissbereit die FDP ja gewesen sein in all den Jahren, bis an den Rande des Erträglichen. Doch das sei jetzt nicht mehr zumutbar gewesen. Scholz habe gewollt, dass „ich meinen Amtseid breche“, so Lindner. Ende des Statements. „Ampeltöter“ („Stern.de“) Lindner sieht müde aus. Fast so, als hätte er geweint.

Kräftiger Applaus von den Genossen für den Boss

22.30 Uhr: Scholz trifft sich mit der SPD-Bundestagsfraktion. Hier spielen sich ähnliche Szenen ab wie bei der FDP. Kanzler Scholz wird mit kräftigem Applaus empfangen. Währenddessen stehen Abgeordnete von SPD und Grünen auf den Fluren des Bundestags und diskutierten darüber, wie drängende Vorhaben vor einer vorgezogenen Neuwahl noch verabschiedet werden könnten.

Dürr macht den Deckel drauf

23.20 Uhr: Das letzte große Statement dieses Tages gehört FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Er spricht aus, was ohnehin alle erwarteten: Die FDP zieht alle vier Minister aus der Regierung ab. Finanzminister Lindner: weg. Justizminister Buschmann: weg. Verkehrsminister Wissing: weg. Bildungsministerin Stark-Watzinger: weg.

Wie die „Bild“-Zeitung schreibt, sollen die vier Ministerposten nicht nachbesetzt werden. Andere Kabinettsmitglieder sollen die Aufgaben übernehmen. Besonders brisant: Wenn die Ordnung eingehalten wird, übernimmt Widersacher Habeck nun Lindners Job. Und in vier Monaten sind sie womöglich alle ihre Jobs los.

pnh

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