Das war‘s mit der selbst ernannten „Fortschrittskoalition“: Der Kanzler bricht mit seinem Finanzminister. Lindner wirft seinerseits Scholz kalkulierten Koalitionsbruch vor. Der Trick, der diese Regierung überhaupt erst ermöglichte, führt nun ihr Ende herbei: verfassungsrechtlich zweifelhafte Schulden.
Nach drei Jahren endet die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP mit einer politischen Schlammschlacht. Nachdem sich der Koalitionsausschuss am Mittwochabend nicht auf eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik hatte verständigen können, warf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seinem Finanzminister vor, „zu oft mein Vertrauen gebrochen“ zu haben.
FDP-Chef Christian Lindner gehe es nicht ums Land, so Scholz, sondern nur um die eigene Klientel. Er habe sich „in die Büsche geschlagen“ – das sei verantwortungslos. Es gebe „keine Vertrauensbasis mehr“, schloss Scholz, er habe den Finanzminister entlassen und werde Anfang Januar im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, um Neuwahlen im März zu ermöglichen.
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Lindner seinerseits nahm die offenbar länger vorbereitete, weil mit einer Leistungsbilanz der Regierung und Wahlkampfelementen gespickte Rede des Kanzlers zum Anlass, Scholz den „kalkulierten Bruch der Koalition“ vorzuwerfen. Es sei dem Kanzler nicht mehr um eine Einigung gegangen. Die FDP-Vorschläge für eine Wirtschaftswende seien von SPD und Grünen „nicht einmal als Beratungsvorlage akzeptiert“ worden.
Stattdessen habe Scholz „ultimativ von mir verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen“. Das aber könne er nicht mit seinem Amtseid vereinbaren, deshalb habe er die Zusammenarbeit aufgekündigt. Die FDP habe drei Jahre lang staatspolitische Verantwortung und Kompromissbereitschaft „bis an den Rand des Vertretbaren“ gezeigt.
Allerdings hatte Lindner nach eigener Darstellung vorgeschlagen, mit seiner FDP bis zu Neuwahlen an Bord zu bleiben, um die „Handlungsfähigkeit“ des Landes zu gewährleisten. Das habe der Kanzler zurückgewiesen.
Aber auch der Bald-Ex-Finanzminister beließ es nicht bei der Lagebeschreibung, sondern ging Scholz hart an. Der Kanzler habe lange verkannt und verharmlost, dass es Deutschland wirtschaftlich schlecht gehe. Nun habe er Vorschläge gemacht, die „matt, unambitioniert“ seien und keinen Beitrag leisteten, die grundlegende Wachstumsschwäche des Landes zu überwinden. „Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, dem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen“, so Lindner.
Tatsächlich hatte Scholz im Wesentlichen den Vorschlag unterbreitet, neue Schulden zu machen. Energiekosten sollen gedeckelt, die Autoindustrie subventioniert und die weitere Unterstützung der Ukraine nach der US-Wahl durch Erklärung einer außergewöhnlichen Notlage zur Aussetzung der Schuldenbremse gewährleistet werden.
Argumentation des Kanzlers rechtlich fragwürdig
Scholz agiert also so, wie er immer agiert: Politische Herausforderungen sollen mit geliehenem Geld bewältigt werden. Schon in seiner Zeit als Finanzminister erfand er die „Bazooka“, mit der er einen „Wumms“ abfeuerte, um die Förderprogramme während der Corona-Zeit zu bezahlen. Es folgte ein „Doppelwumms“ für Energiesubventionen. Und nach der Eskalation des Ukraine-Kriegs rief der Kanzler eine „Zeitenwende“ aus, die im Wesentlichen aus einem schuldenfinanzierten Sondervermögen für die Bundeswehr bestand.
Ohne die Idee von Scholz, neben dem regulären Haushalt Sondertöpfe zu schaffen, um grüne Klimapolitik, sozialdemokratische Sozialpolitik und liberale Finanzpolitik miteinander in Deckung zu bringen, hätte es diese Bundesregierung nie geben können. Der Nukleus der selbst ernannten „Fortschrittskoalition“ war ein Finanztrick zur Schaffung weiterer Schattenhaushalte – den das Bundesverfassungsgericht im November 2023 für verfassungswidrig erklärte und damit den Anfang von Ende der Regierung einläutete.
Denn seit dem Urteil und dem damit ausgelösten Sparzwang waren SPD, Grüne und FDP in einem Dauerclinch verhakt, den der Kanzler nicht mehr zu befrieden vermochte. Lindner war seitdem nicht mehr gewillt, erneut verfassungsrechtliche Risiken einzugehen. Und in der Tat ist die Argumentation des Kanzlers rechtlich zumindest fragwürdig. Er meint, der russische Angriffskrieg und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten – mit mutmaßlich zurückgehender Hilfe für die Ukraine aus Amerika – begründeten eine außergewöhnliche Notlage vergleichbar einer Naturkatastrophe.
Der Krieg dauert nunmehr fast drei Jahre. Und auch auf die Wahl Trumps hätte man sich mit einer entschlosseneren Umsetzung der Zeitenwende längst vorbereiten können. Entsprechende Warnungen sind Legion. Doch Scholz hoffte erst auf eine Wiederwahl von Joe Biden, dann auf einen Erfolg von Kamala Harris.
Es zeugt deshalb von einer gewissen Chuzpe, wenn jetzt nicht nur Scholz, sondern auch die Grünen der FDP vorwerfen, die Stabilität Deutschlands und Europas in schweren Zeiten zu gefährden. Auch ihre Partei habe mit Blick auf die Folgen des Ukraine-Kriegs für eine Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse geworben, sagte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock. Das werden ihre Partei und die SPD, die bis zu Neuwahlen allein weiter regieren wollen, jetzt bei der Union versuchen.
Scholz kündigte an, das Gespräch mit CDU-Chef Friedrich Merz suchen zu wollen. Er wolle dem Oppositionsführer anbieten, „in Fragen, die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten“. Dabei soll es um die Stärkung der Wirtschaft, Verteidigung und die Ukraine gehen. CSU-Chef Markus Söder sieht darin allerdings eine „taktische Verzögerung“ und forderte umgehende Neuwahlen: „Die Vertrauensfrage muss sofort und nicht erst im nächsten Jahr gestellt werden.“
Lindner und seine FDP werden dabei ab sofort keine Rolle mehr spielen: Er habe den Bundespräsidenten gebeten, so der noch amtierende Kanzler, den Finanzminister zeitnah zu entlassen.
Politikredakteur Thorsten Jungholt ist zuständig für die Berichterstattung über Bundeswehr, Sicherheitspolitik, Justiz und die FDP.
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