Und dann hat Scholz noch gesagt: „So. Doof.“

Doch mit der Entscheidung, auf einen Notlagenbeschluss zur Schuldenbremse zu bestehen und in der Konsequenz Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu entlassen, hat er eine spürbare Erleichterung und Kampfeswillen bei den Sozialdemokraten entfacht. Olaf, der Bewegende.

„Es war eine ziemlich gelöste und kämpferische Stimmung“, berichtet die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge. „Es fühlte sich an wie ein Befreiungsschlag.“ Und dann ein Satz, den man lange nicht gehört hatte: „Wir sind alle sehr zufrieden mit dem Kanzler.“

Der Wahlkampf aber wird eine große Herausforderung für die Sozialdemokraten. Sie stehen in den Umfragen, die vor dem Knall erhoben wurden, bei 15 bis 16 Prozent. Viele der Abgeordneten, die am Mittwochabend dem Bundeskanzler minutenlang applaudierten, könnten in Konsequenz seines Vorgehens aus dem Bundestag fliegen.

Das deutet darauf hin, dass die Partei trotz aller Aufbruchsfreude in einer extrem schwierigen Lage ist. SPD und Grüne bilden nun eine Minderheitsregierung. Die beiden übrig gebliebenen Partner mögen sich in vielen inhaltlichen Fragen einig sein, aber sie haben keine Mehrheit mehr im Bundestag, um daraus etwas zu machen. Wäre es da nicht vielleicht sinnvoller gewesen, auf das Angebot von Lindner einzugehen und in einem vergleichsweise geordneten Verfahren Neuwahlen anzusetzen? Mit den FDP-Ministern im Amt, mit einer Mehrheit für den Haushalt?

Nein, findet man im Umfeld des Kanzlers. Denn man unterstellt der FDP, dass sie sich in der Zeit bis zu den vorgezogenen Wahlen destruktiv verhalten hätte. Und diese Macht wollte man der FDP, mit der das Verhältnis spätestens seit dem Mittwochabend als absolut zerrüttet zu beschreiben ist, nicht mehr geben.

Die Grünen waren nur noch Zuschauer

Die Grünen waren da nur noch Zuschauer des letzten Duells zwischen Scholz und Lindner. Und gerieten dabei an den Rand des Geschehens. Scholz machte zunächst sein Angebot, eine Sammlung verschiedener wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Verbunden mit der Forderung eines Überschreitungsbeschlusses für die Schuldenbremse. 12,5 Milliarden Euro, die ausschließlich für die Unterstützung der Ukraine genutzt werden – von militärischer Hilfe bis hin zur Integration von Flüchtlingen in Deutschland –, sollten so aus dem regulären Haushalt ausgelagert werden.

Dann sprachen für die Grünen nicht wie üblich zunächst die Parteivorsitzenden, sondern Wirtschaftsminister Robert Habeck. Lindner lehnte den Scholz-Vorschlag schließlich ab. Die Grünen waren noch am Tag danach vor allem darüber verwundert, dass Lindner selbst die Erklärung einer Ukraine-Notlage und einen Ausnahmebeschluss für weitere Hilfe nicht akzeptieren wollte, die doch nach der US-Wahl und in Anbetracht der Lage an der Front ganz unverkennbar sei. Parteipolitik first – das sei bei den Grünen der Eindruck von Lindner gewesen.

„Dann lieber Christian, möchte ich nicht mehr, dass du meinem Kabinett angehörst“

Die FDP erbat dann eine Pause, in deren Verlauf die „Bild“-Zeitung von Lindners Vorschlag erfuhr, gemeinsam Neuwahlen anzustreben. Das betrachtete die SPD als Affront. Während FDP und SPD sich zu Besprechungen zurückzogen, blieb die siebenköpfige Grünen-Delegation im Raum.

Als alle wieder am Tisch saßen und Lindner seine Ablehnung bekräftigte, habe Scholz ihm gesagt: „Dann lieber Christian, möchte ich nicht mehr, dass du meinem Kabinett angehörst. Und ich werde morgen früh den Bundespräsidenten bitten, dich zu entlassen.“ Das Ende. Ein Augenblick der Stille, den Teilnehmer als „Nirwana-Situation“ beschreiben.

Scholz habe dann noch gesagt: „So. Doof.“ Und dann sei man aufgestanden und habe sich verabschiedet. Manche mit Handschlag, andere mit Umarmung. Drei Jahre Ampelkoalition waren beendet.

Die FDP-Politiker Lindner, Djir-Sarai und Dürr nach dem Rauswurf Lindners am Mittwoch
Die FDP-Politiker Lindner, Djir-Sarai und Dürr nach dem Rauswurf Lindners am MittwochAFP

Zu diesem Zeitpunkt waren längst drei Reden im Kanzleramt vorbereitet gewesen. Es war klar, eine würde Scholz am Mittwoch halten. Die Szenarien: Einigung, keine Einigung, oder die FDP verlässt die Regierung. Man war also auf Seite des Bundeskanzlers gut vorbereitet. Man ahnte, dass spätestens am Freitag, wenn der Kanzler in Budapest ist, die FDP hinwerfen wollte.

Auch die Grünen hatten davon Wind bekommen. Und doch kam das Ende für sie überraschend. Obgleich sich seit Tagen die Anzeichen verdichtet hatten, dass zumindest Teile der FDP raus aus der Ampel wollten. In einer morgendlichen Runde hatte die Parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic den Ton gegen Lindner verschärft und ihn persönlich angegriffen. Mihalic, die den schwierigen Alltag der Zusammenarbeit zu managen hatte, warf Lindner dabei Unfähigkeit als Finanzminister vor.

Sie sagte, der FDP-Chef sei für die „Lindner-Lücke“ im Etat verantwortlich. Ihm fehle es an Expertise. Lindner sei „ein Finanzminister, der nicht weiß, wie es geht“. Zudem stellte die Grüne infrage, ob die Finanzierungslücke im Haushalt tatsächlich so groß sei, wie Lindner sie beschrieb. Oder ob es sich um eine „politische Lücke“ handele, aufgeblasen, um das Problem künstlich zu vergrößern.

Ging da noch was?

Allerdings hatten Mihalic und andere Grüne auch gesagt, eine Einigung sei noch möglich. Die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, Anja Hajduk, hatte Vorschläge ausgearbeitet, wie man sich selbst ohne Notlagenbeschluss zur Ukraine noch einigen könnte. Das sahen auch Haushälter der Grünen im Bundestag so. Ging da noch was?

Als am Mittwochmorgen klar wurde, dass Donald Trump wieder amerikanischer Präsident wird, wuchs bis in die Parteispitze der Grünen hinein die Überzeugung: Jetzt kann die FDP, kann Lindner doch nicht die Koalition verlassen. Die geopolitische Lage verbietet das. So viel staatspolitische Verantwortung habe Lindner auf jeden Fall, hieß es.

Die Angst vor dem Bruch hatte man in der SPD verloren

Die Angst vor dem Bruch hatte man da in der SPD und im Kanzleramt längst verloren. Man fühlte sich gut vorbereitet, was auch immer Lindner tun würde. Die SPD hat in Matthias Miersch einen neuen Wahlkampfmanager. Sie hat Papiere beschlossen, die als Eckpunkte für ein Wahlprogramm durchgehen. Und bis zum Wahltermin und der Bildung einer neuen Regierung droht auch keine Handlungsunfähigkeit.

Der ganz überwiegende Teil der Ausgaben des Staates, etwa Sozialleistungen, ist gesetzlich festgelegt und muss nicht mit einer parlamentarischen Mehrheit beschlossen werden. Außerdem glaubt man in der SPD weiterhin, dass einzelne Vereinbarungen mit Oppositionsführer Friedrich Merz und der Union möglich sind. Dabei hatte Merz am Donnerstagmorgen gesagt, dass er dafür nur eine Möglichkeit sehe, wenn Scholz schon in der nächsten Woche die Vertrauensfrage stellte und nicht erst im Januar, wie angekündigt. Darüber haben Scholz und Merz am Donnerstagmittag bilateral beraten.

Eine Diskussion in der Partei über die Kanzlerkandidatur muss Scholz wenigstens nicht fürchten. Sein Verteidigungsminister Boris Pistorius ist zwar weiter der mit Abstand beliebteste Politiker in Deutschland und wird in der Öffentlichkeit oft als Ersatz für Scholz ins Spiel gebracht. Parteiintern kann Pistorius mit seinem Einsatz für den Verteidigungsetat und Ukrainehilfen aber gerade bei der Parteilinken nicht punkten, die gegenüber Scholz zurückhaltend ist – zumindest bislang.

Auch Stephan Weil steht hinter Scholz

Und auch der SPD-Landesverband Niedersachsen, aus dem Pistorius kommt, steht hinter Scholz. Der Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzende Stephan Weil lobte Scholz am Donnerstagvormittag überschwänglich, zollte ihm „sehr, sehr großen Respekt“ und beantwortete die Frage, ob der Kanzler auch Kanzlerkandidat wird, mit einem unmissverständlichen „Ja“.

Das ist wichtig, weil das Verhältnis zwischen Scholz und seinem parteiintern mächtigsten Landesfürsten zuvor gespannt war, denn der Kanzler ließ Weils industriepolitische Wünsche lange hartnäckig abperlen. Die Verärgerung darüber war Weil anzumerken. Inzwischen hat Scholz aber eingelenkt: Die beiden SPD-Kernpunkte in dem von Scholz am Mittwochabend Lindner präsentierten Vier-Punkte-Plan, nämlich eine Deckelung der Netzentgelte und ein Hilfspaket für die Automobilbranche, entsprechen ­exakt den Wünschen aus Hannover.

Weil schätzt zwar die Arbeit seines langjährigen Innenministers Pistorius. Die Zuneigung ist aber nicht so stark, dass er ihn als Kanzlerkandidat sehen möchte. Dabei mag auch eine Rolle spielen, dass Pistorius seine Kandidatur für den SPD-Bundesvorsitz 2019 zu einem Zeitpunkt erklärte, als Weil ebenfalls mit diesem Gedanken spielte.

„Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“

Scholz dürfte der Pistorius-Debatte weiter Wind aus den Segeln genommen haben, indem er den Koalitionsbruch außerdem explizit mit der Unterstützung für die Ukraine und einem Überschreitungsbeschluss dafür verbunden hat. Damit verliert Pistorius sein Alleinstellungsmerkmal, könnte man vermuten. Gleichwohl hat Scholz in Sachen Sympathie bei den Bürgern noch eine Menge aufzuholen.

Damit, den Eindruck musste man bekommen, begann er noch am Mittwochabend. Er wurde persönlich. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, sagte er in seinem Statement über den gerade geschassten Lindner. Habeck und die grüne Delegation mieden dagegen Ehrabschneidereien. Sie folgten aber inhaltlich der Deutung von Scholz und wollen bis zur Neuwahl in der Koalition bleiben, aus Verantwortung für das Land und für Europa, wie Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock am Abend sagten.

Baerbock war gerade erst aus Kiew zurückgekehrt, ihr musste das deutsche Nabelschauen besonders nirwanesisch vorkommen. Weil Ricarda Lang und Omid Nouripour als Nochvorsitzende nichts sagen wollten, redeten nur Habeck und sie. Beide bedauerten den Bruch der Koalition, er sei unnötig gewesen. Habeck sagte vor dem Kanzleramt, „dass sich das heute Abend falsch und nicht richtig anfühlt“. Obwohl Lösungsmöglichkeiten auf dem Tisch lagen, habe man die Haushaltslücke nicht schließen können. „Die FDP war nicht bereit, diese Wege zu gehen“, sagte Habeck. Die Entlassung von Lindner sei letztlich „so folgerichtig wie unnötig gewesen“.

Robert Habeck in Berlin am Donnerstag
Robert Habeck in Berlin am DonnerstagReuters

Dann ging man gemeinsam zu Fuß den kurzen Weg zum Reichstagsgebäude: Habeck, Baerbock, Lang, Nouripour, die beiden Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge sowie einige Mitarbeiter. Nach kurzer Besprechung dort hielten dann auch die Grünen spät am Abend noch eine Fraktionssitzung ab. Als die Spitzengrünen den Raum betraten, gab es Beifall, nicht euphorisch feiernd wie bei der SPD, aber doch anerkennend für den Weg, den sie gegangen waren.

Mit Genugtuung wurde bei den Grünen vermerkt, dass am Morgen Verkehrsminister Volker Wissing seinen Austritt aus der FDP erklärte. Man habe, hieß es in der Parteiführung, schon länger wahrgenommen, wie unwohl sich Wissing mit dem Lindner-Kurs gefühlt habe. Politisch gehörte der Verkehrsminister zu den Lieblingsgegnern der Grünen – als Autobahn-Minister und Verfechter von E-Fuels etwa. Doch im persönlichen Umgang: Eins A. Von Lindner mochte das auch am Tag danach niemand bei den Grünen behaupten.

Die Grünen blicken nun nach vorne: Jetzt gilt es erst mal rasch die eigene Organisation zu ordnen. Am Tag, als die Ampel platzte, gab es nämlich bei ihnen: keine richtigen Vorsitzenden, keinen Spitzenkandidaten, keinen Politischen Geschäftsführer (Generalsekretär), kein Wahlprogramm. Auch die Kandidatenaufstellung für die Wahlkreise hat erst begonnen. Auch insofern kommt ihnen der Scholz-Vorschlag, erst Ende März, Anfang April zu wählen, durchaus nicht ungelegen. Außerdem behält man bis dahin und darüber hinaus alle Zugriffe auf die Ressourcen der Ministerien.

Grüne Jugend mit Kampfansage an Habeck

Schlag auf Schlag soll es nun aber gehen: Die Kandidatur Habecks für das Kanzleramt stehe unmittelbar bevor, hieß es, der Grünen-Vorstand wird nächste Woche beim Parteitag gewählt. Fieberhaft wurde in der Grünen-Parteizentrale bereits am Donnerstag daran gearbeitet, auf dem Parteitag programmatische Weichen für den Wahlkampf zu stellen.

Das bekamen auch die neuen Vorsitzenden der Grünen Jugend mit und postierten sich gleich am Platz vor dem Neuen Tor, um den herauseilenden Journalisten zu erläutern, wie sie Habeck auf einen ökolinken Kurs bringen wollen. „Robert Habeck ist ja nicht Kandidat von irgendwem, sondern der grünen Partei. Und da muss er sich an das grüne Wahlprogramm und das grüne Grundsatzprogramm halten“, sagte Jette Nietzard.

Auf dem Parteitag werde man Anträge stellen und „andere gute Menschen“ würden auch Anträge stellen, um das sehr, sehr deutlich zu machen. Das durfte man durchaus als Kampfansage an den noch nicht designierten Kanzlerkandidaten der Grünen verstehen. In aktuellen Umfragen stehen die Grünen bei zehn bis elf Prozent.

Erste Konturen der Minderheitsregierung zeichnen sich ab

Trotz aller Unaufgeräumtheit zeichneten sich am Donnerstag erste Konturen der Minderheitsregierung ab. Jörg Kukies wurde zum neuen Finanzminister ernannt. Bevor er Staatssekretär im Kanzleramt war, arbeitete er als Manager bei Goldman Sachs. Ob die SPD dann wirklich voller Inbrunst Wahlkampf gegen den Blackrock-Manager Friedrich Merz wird machen können? In der SPD freut man sich aber erst mal: Dieser Finanzminister wird keine Schwierigkeiten machen.

Anders dürfte das beim Oppositionsführer Merz sein. Die SPD rechnet nicht damit, dass man ein großes Paket wird noch schnüren können. Aber vielleicht bei der Unterstützung der Automobilwirtschaft und der Begrenzung der Energiepreise? Da würden schließlich alle fordern, dass sich etwas tue. In dem am Mittwochabend von Scholz vorgelegten Papier stünden außerdem Dinge, die weniger den Grünen, aber FDP und Union gefallen könnten – etwa die Ausweitung der Gasförderung und eine Investitionsprämie.

Hier also Gesten der Annäherung, dort eisige Worte. Trotz aller Turbulenzen hielt sich Scholz am Donnerstagvormittag nämlich an seinen Terminplan und hielt eine Rede auf dem Forum der Telekom-Betriebsräte in Berlin. Scholz hatte schon am Abend zuvor mehrere Minuten darauf verwandt, Lindner die Ernsthaftigkeit, Seriosität und charakterliche Eignung zum Regieren abzusprechen.

Damit machte er am Donnerstag weiter. Er warf ihm indirekt vor, gesellschaftliche Brandstiftung zu betreiben. Bezogen auf die Finanzierung der Ukrainehilfen aus dem laufenden Haushalt sagte er: „Wenn man jetzt zu der Überzeugung kommt, das müssen wir einfach mal so ausschwitzen, dann zündet man das Land an.“

Scholz wirkte aufgeräumt, mit sich im Reinen. Er habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, den Finanzminister zu entlassen, sagte er auf der Bühne. In einer Demokratie sei es wichtig, dass es unterschiedliche Ansichten gebe und man Lösungen finde. „Aber es muss eben auch so sein, dass die Grundlagen stimmen für das, was wir tun. Und deshalb finde ich diese Entscheidung richtig.“

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