Gerontopsychiaterin: „Das Alter ist keine Krankheit“

Asita Sepandj: Die Aussicht auf ein längeres Leben ist primär etwas sehr Erfreuliches. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass nicht alle Menschen gesund alt werden. Zwar gibt es enorme medizinische Fortschritte. Trotzdem verbringen viele das Alter, oder zumindest einige Jahre davon, mit Einschränkungen. Das Alter selbst ist keine Krankheit, aber das Risiko für bestimmte Erkrankungen steigt mit der Zeit.

Welche Erkrankungen sind das vor allem?

In der Gerontopsychiatrie, also der Psychiatrie des Alterns und des Alters, sind die häufigsten psychiatrischen Erkrankungen Demenz, Depression und Delir (akuter Verwirrtheitszustand, Anm.). Besonders bei Demenzen ist mit dem demografischen Wandel, der alternden Bevölkerung ein hoher Anstieg zu erwarten – eine unserer größten künftigen Versorgungsherausforderungen. Aktuell gehen wir davon aus, dass es ca. 150.000 demenzkranke Menschen in Österreich gibt. Diese Zahl wird sich bis 2050 verdoppeln. Bis dahin muss gesellschaftlich und politisch einiges passieren.

Was wünschen Sie sich konkret?

Ich würde mir wünschen, dass mit alten Menschen respektvoll umgegangen wird. Dass das Älterwerden nicht mehr pauschal abgewertet und in ein unschönes Eck gestellt wird. Das Problem ist, dass viele kaum etwas übers Älterwerden wissen, was Vorurteilen und Altersdiskriminierung Vorschub leistet. Das führt dazu, dass ältere Menschen sich eher zurückziehen, weil sie sich für ihr Alter schämen. Das kann gesunde Menschen betreffen, noch stärker aber beispielsweise demenzkranke Personen. Für sie wünsche ich mir ausreichend Versorgungsangebote – insbesondere niederschwelliger Natur. Und zwar unabhängig davon, in welcher Region des Landes wir leben.

Was braucht es, um mit einer gewissen psychischen Stabilität alt zu werden?

Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns frühzeitig, bevor wir in diesen Lebensabschnitt eintreten, damit auseinandersetzen. Dass wir uns Gedanken darüber machen, was auf uns zukommen könnte. Vielleicht noch im mittleren Leben vernachlässigte Interessen wieder aufnehmen, neue Hobbys entdecken, unsere Beziehungen pflegen.

Oft ist heute vom „Dritten Alter“ die Rede – der Zeit zwischen Pensionsstart und dem Beginn altersbedingter Einschränkungen. Gibt es ein Bewusstsein, dass diese Phase eine Chance sein kann, das Leben nochmal richtig anzupacken?

Ich glaube, dass das sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Es gibt natürlich Menschen, die schon Vorhaben für diese Zeit haben und denen diese Aussicht mental Auftrieb gibt. In meiner täglichen Praxis erlebe ich auch, dass Menschen im Alter als Angehörige plötzlich mit einem kranken Partner oder einer kranken Partnerin konfrontiert sind und diese Pläne weichen müssen. Dann braucht es eine Neuorientierung.

Wie wichtig sind in solchen Situationen früher erlernte Bewältigungsstrategien als Ressource?

Jede erfolgreiche Krisenbewältigung ist hilfreich und stärkt unsere Resilienz, unsere Anpassungsfähigkeit an neue Herausforderungen. Eine Kraftquelle in diesen Bewältigungsprozessen sind soziale Beziehungen.

Resilienz verbinden viele mit angeborenen Stärken oder frühen Lebensphasen. Sind wir auch im Alter noch in der Lage, neue Sichtweisen auf uns selbst zu entwickeln?

Resilienz kann bis ins hohe Alter gestärkt werden. Mit dem Alter sind Lernfähigkeit und Veränderungsmöglichkeiten nicht beendet. Insofern kann und soll Platz für eine Auseinandersetzung mit sich selbst sein.

Aus Untersuchungen weiß man, dass ältere Menschen auch gut darin sind, Ziele zu regulieren und anzupassen. Also zu wissen, dass eine aufregende Fernreise nach Südamerika vielleicht nicht mehr realistisch, eine Fahrt ins Südburgenland aber auch erfüllend sein kann. Liegt darin auch ein Schlüssel zum Glück?

Ganz bestimmt. Wir haben alle Träume und Sehnsüchte. Je realistischer wir damit umgehen, desto größer die Zufriedenheit. Wenn wir immer im Gefühl verharren, etwas zu versäumen, können wir schöne Momente unmöglich genießen.

Wo hat man mentale Fitness selbst in der Hand?

Wir wissen, dass sich das Demenzrisiko durch bessere und längere Bildung verringert. Dadurch bildet sich eine kognitive Reserve, die – selbst wenn eine Demenz auftritt – kognitive Defizite kompensieren kann, sodass Symptome verspätet auftreten. Im mittleren Alter ist es wichtig, eine etwaige Schwerhörigkeit zu korrigieren. Viele scheuen das Tragen eines Hörgeräts. Fakt ist, dass durch eine geringere auditive Anregung Netzwerke im Hirn verkümmern können. Weitere Risikofaktoren sind Rauchen, unbehandelter Bluthochdruck und Diabetes, übermäßiger Alkoholkonsum, unbehandelte Depressionen, soziale Isolation, Bewegungsmangel und Luftverschmutzung. Und dann rate ich, das Gehirn im Alter gezielt zu fordern – und neugierig zu bleiben.

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