Die neue Bundesvorsitzende der Grünen, Franziska Brantner, hat es als Aufgabe ihrer Partei bezeichnet, Deutschland und das Leben darin besser zu machen – und dafür gefordert: „Wir brauchen Investitionen, Investitionen und nochmals mehr Investitionen.“ Sie sagte in ihrer Bewerbungsreden am Samstagmittag bei der Bundesdelegiertenkonferenz: „Den Gürtel enger schnallen bringt halt nichts, wenn die Hose schon fehlt.“ Sie sagte: „Deutschland kann mehr.“ Es dürfe keine weitere „Stillstands-Groko“ geben nach der nächsten Wahl. Dafür brauche es starke Grüne.
Brantner forderte ihre Partei auf, selbstbewusst in den Wahlkampf zu ziehen und wies die beständige Kritik an den Grünen zurück. „Ich habe es satt, dass alles, was anderen nicht in den Kram passt, uns als Ideologie angekreidet wird“, sagte sie. Brantner erhielt 78 Prozent der Delegiertenstimmen, sie hatte eine Gegenkandidatin.
Bei der Wahl traten sonst unbekannte Mitbewerber an
Die 45 Jahre alte Brantner kommt aus Baden-Württemberg und hatte zuletzt als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium unter Minister Robert Habeck gearbeitet, sie gehört dem Realo-Flügel an und gilt als enge Vertraute des angehenden Kanzlerkandidaten.
Bevor der bisherige Bundesvorstand nach den katastrophalen Ergebnissen bei der Europawahl und den Landtagswahlen im Osten seinen Rückzug erklärt hatte, war bereits durchgesickert, dass Brantner für Habeck als Wahlkampfmanagerin in die Parteizentrale wechseln solle. Nun führt sie die Zentrale künftig mit Felix Banaszak zusammen. Wahlkampfmanager wird der Parteilinke Andreas Audretsch.
Nach Brantner wurde auch der Duisburger Banaszak mit fast 93 Prozent der Stimmen gewählt. Der Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen begrüßte die Delegierten mit den Worten: „Herzlich willkommen in einer neuen Zeit!“ Er bezeichnete seine Kandidatur als „die vielleicht verrückteste Entscheidung meines Lebens“, wolle es aber unbedingt. In seiner Rede warb der Vertreter des linken Flügels vor allem für soziale Verbesserungen für Kinder, Flüchtlinge, Menschen mit geringeren Einkommen. Seine Rede handelte von „Angst“ als Lebensgefühl vieler: Angst vor Trump, Angst vor der Gasrechnung, Angst auf dem Nachhauseweg. Dagegen helfe Empathie. „Seien wir da und machen die Dinge möglich“.
Banaszak: Innerparteiliche Diskussionen sind Zeichen von Lebendigkeit
Die Gegenwart sei nicht ein Ort göttlicher Fügung, sondern menschlichen Handelns und deswegen könne man sie besser machen. Das wollten die Grünen. Es erfülle ihn mit Stolz, dass die Grünen, Robert Habeck und Annalena Baerbock im Spitzenteam, auch den Stahlarbeitern im Ruhrgebiet Ängste nehmen könnten. Er werde „um jede Stimme werben, in der Duisburger Eckkneipe“ und überall sonst. Banaszak lobte die innerparteiliche Diskussionen als Zeichen von Lebendigkeit.
Er könne sich „nichts Schöneres vorstellen, als mit den Grünen jetzt in den Wahlkampf zu gehen – ziehen wir die Mützen auf, nehmen wir die Thermoskanne mit, machen wir uns auf!“ Nach ihm traten noch einige weitere Grünen-Politiker auf, die ihrerseits kandidieren wollten, einer hatte sich Minuten vor dem Wahlgang erst beworben. Insgesamt traten sieben Männer für den Posten des Co-Sprechers an. Sie nutzten die Gelegenheit, ihre sehr persönlichen Vorstellungen von grüner Politik kurz auf großer Bühne präsentieren zu können. Für den Wahlausgang spielten diese Bewerbungen keine Rolle.
Ricarda Lang verabschiedete sich
Der Parteitag wollte nach den Vorstandswahlen zudem seine Sacharbeit fortsetzen und weitere Anträge zu Themen wie sozialer Gerechtigkeit und der Asyl- und Migrationspolitik erörtern, wobei es der Parteitagsregie zunächst erfolgreich gelang, Konflikte zu vertagen, hunderte Änderungsanträge zu wenigen zu bündeln. So wurden etwa zur Vermögenssteuer nur ungefähre Angaben gemacht, zu einer eventuellen allgemeinen Dienstpflicht nichts gesagt. Das galt auch für Israel und Gaza, ein Thema, das an Schulen und Universitäten für heftige, oft antisemitisch colorierte Debatten sorgt, beim Parteitag aber nicht ausdiskutiert wurde.
Am Vormittag verabschiedete sich zudem Ricarda Lang aus dem Bundesvorstand der Grünen. Dazu sprach zunächst die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer, die über junge Frauen in der Politik und auch bei den Grünen feststellte: „Dann ist Dir nichts garantiert, außer, dass Du es garantiert falsch machst.“ Gehasst werde man als junge Frauen so oder so, darüber solle man zwar einerseits ununterbrochen reden, „aber bitte niemanden damit belästigen“.
Lang, inzwischen 30 Jahre alt, war die jüngste Vorsitzende einer Regierungspartei in der Geschichte der Bundesrepublik. Und sie war wie kaum eine zweite Politikerin in Land persönlichen Anfeindungen ausgesetzt. Noch auf dem Parteitag war sie stets von starkem Personenschutz der Polizei begleitet. Die Beamten des Bundeskriminalamtes waren denn auch die ersten, denen sie in ihrer Abschiedsrede für Schutz und Geduld dankte.
Scholz und Merz sind „Männer von gestern und vorgestern“
Lang überbrachte dem Parteitag dann eine Art Ratgeber für bessere Politik. Es gehe nicht darum „Politik zu machen, damit wir uns besser fühlen, sondern um das Leben der Menschen besser zu machen“. Die Demokratie sei in einer tiefen Krise, ein Grund sei die „Hyperinfantilisierung der Politik“, die geglaubt habe, es gehe nur darum, das Richtige besser zu erklären und die Wähler dabei oft wie Kinder behandelt habe. „Immer größer, immer schwülstiger“, aber zugleich immer weiter von den Alltagsproblemen der Leute entfernt, hätten auch Grüne sich als Demokratieretter aufgespielt. Diese Art, die vor allem den antifaschistischen Europawahlkampf der Grünen geprägt hatte, brachte den Demokraten keinen Zulauf. Diese sollten sich, so Lang, auch nicht „als Staubsaugervertreter der Demokratie“ gebärden.
Das Kanzleramt – gemeint war Olaf Scholz (SPD), habe, so Lang, zuletzt eine „Politik der Konsequenzlosigkeit betrieben“ und den Leuten erzählt, es gebe eine „Zeitenwende“, aber alles bleibe beim Alten. Brantner bedankte sich in ihrer Rede mit Blick auf den Krieg in der Ukraine bei Außenministerin Annalena Baerbock, dass sie sich den „Irrungen und Wirrungen“ des Kanzleramts bei diesem Thema entgegenstelle.
Lang bezeichnete den Kanzler als „Mann von Gestern“, sein Konkurrent von der Union, Friedrich Merz, sei „von vorgestern“ und Robert Habeck sei der Kandidat für heute und morgen. Lang sagte: „Ich will nie wieder nach einem Wahltag hören, dass wir die Politik nur besser erklären müssen.“ Sie selbst, sagte Lang in einer von langem Applaus immer wieder unterbrochenen Rede, habe sich zeitweise in einen „Sprechroboter“ verwandelt, sie habe „nicht mehr gewusst, wer ich bin und die Grünen wussten nicht mehr, wer sie sind“. Man habe zu viel „in die eigenen Blase kommuniziert“ und nicht mit den Bürgern.
Es gelte, so Lang: „Wir können uns das mit der Mitte der Gesellschaft in die Haare schmieren, so lange wir als Elitenprojekt wahrgenommen werden.“ Ihr bisheriger Ko-Vorsitzender Omid Nouripour hatte sich bereits am Freitag verabschiedet.
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