Axel Spilcker ist ein erfahrener Investigativ-Reporter, der schon seit vielen Jahren bei großen Kriminalfällen mit seinen faktenstarken Artikeln für den „Kölner Stadtanzeiger“ und „Focus Online“ auffällt. Auch im aktuellen Kölner Rauschgiftkrieg zwischen lokalen Banden und der niederländischen „Mocro Mafia“ stammen die informativsten Beiträge aus seiner Feder. Ein Schwerpunkt Spilckers, der 2021 gemeinsam mit einem Kollegen den Wächterpreis der Deutschen Tagespresse bekam, ist die Berichterstattung über kriminelle Clans an Rhein und Ruhr.
Dass die jedes greifbare Mittel nutzen, um nicht nur Konkurrenten, sondern auch missliebige Journalisten einzuschüchtern, weiß der 61 Jahre alte Reporter aus eigener Erfahrung. Vor einigen Jahren zeigte ihn ein Mitglied des Al-Z.-Clans wegen angeblicher Verleumdung an. „Einfach, um über die Akte an meine Wohnadresse zu kommen“, sagt Spilcker im Gespräch mit der F.A.Z. Damals wurde das Verfahren umgehend eingestellt.
Anders hielt es die Dortmunder Staatsanwaltschaft mit einer nicht minder fadenscheinigen Verleumdungsanzeige aus einem anderen Clan gegen Spilcker. Geschlagene eineinhalb Jahre lang war in Dortmund ein kafkaeskes Verfahren anhängig; mehr als ein Jahr lang davon, ohne dass Spilcker darüber in Kenntnis gesetzt wurde. Ein Mann hatte wegen eines Clan-Artikels aus der Feder Spilckers auf „Focus Online“ Anzeige erstattet. Er gab vor, sich verleumdet und „gezielt diffamiert“ zu fühlen.
Das war schon deshalb merkwürdig, weil der Anzeigeerstatter in dem Text gar nicht vorkommt. Die zentrale Rolle spielte darin vielmehr dessen Vater. Die Dortmunder Ankläger hätten also erkennen können: Die Akte kann gleich wieder geschlossen, das Verfahren wegen des Fehlens eines Anfangsverdachts umgehend eingestellt werden. Stattdessen gab die Behörde die Sache in den großen, langen Geschäftsgang, der durch die halbe Republik führte und sinnlos dringend anderweitig benötige Ressourcen von Strafverfolgern band.
Das hat einschüchternden Charakter
„Zwischenzeitlich hatte ich schon den Verdacht, dass sich die Dortmunder Justiz vor den Karren fragwürdiger Kreise aus dem Clanmilieu hat spannen lassen“, sagt Spilcker. Am Dienstag bekam er endlich die Einstellungsmitteilung von seinem Strafverteidiger weitergeleitet: Nach „Sichtung des Verfahrens“ teilt die Staatsanwaltschaft nun das von Beginn an Offensichtliche mit: Schon aus der Strafanzeige ergeben sich keine „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten“.
Spilcker sagt, er sei erleichtert und erschüttert zugleich. Aus Gesprächen mit Kollegen wisse er, dass es immer wieder vorkomme, dass teilweise hochkriminelle Leute mal eben eine Anzeige gegen Journalisten erstatten. Tatsächlich beobachten Verlagsjustiziare, dass die Bereitschaft, wegen eines Pressetextes Strafanzeige zu stellen, in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Anders als bei Presserechtsverfahren gibt es bei einer Anzeige kaum ein Kostenrisiko. Manchmal scheinen Anzeigeerstatter darauf aus zu sein, auf diesem Weg die Adresse eines Journalisten herauszufinden, manchmal scheinen sie gezielt auf Zermürbung zu setzen – sie wissen ja, dass die Mühlen der Justiz oft langsam mahlen. In einem anderen der F.A.Z. bekannten Fall einer offensichtlich unbegründeten Strafanzeige gegen einen Journalisten, die sich Behörden zwischen Nordrhein-Westfalen und Hessen hin und her schoben, dauerte es sogar zwei Jahre bis zur Einstellung. Das hat einschüchternden Charakter, auch wenn es so nicht vom Staat gemeint ist. Von Leuten wie kriminellen Clan-Mitgliedern aber schon.
Ausgangspunkt des Falls von Axel Spilcker war ein Artikel mit der Überschrift „‚Ficke den deutschen Staat täglich‘: So zockte ‚Papa Kralles‘ Clan Millionen ab“, in dem der Investigativ-Journalist Anfang 2023 über die üblen Machenschaften eines kurdisch-libanesischen Clans berichtete, der über Call-Center im türkischen Izmir einen zweistelligen Millionenbetrag von vertrauensseligen Rentnern in Deutschland ergaunert haben soll. Die Anrufer (auch „Keiler“ oder „Anreißer“ genannt) gaben sich als Kriminalbeamte aus, erzählten den Senioren von angeblich unmittelbar drohenden Einbrüchen oder korrupten Bankmitarbeitern und brachten ihre Opfer dazu, vorbeigeschickten „Abholern“ Schmuck, Goldbarren oder Bargeld auszuhändigen. In kurzer Frist erbeutete die Bande enorme Summen von verunsicherten Senioren.
Ohne, dass Bargeld über die Landesgrenzen fließt
Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Bochum arbeitete der hochkriminelle Clan mit einem ausdifferenzierten, arbeitsteiligen System, in dem neben den „Keilern“ und den „Abholern“ auch Geldwäscher eine wichtige Rolle spielten. Sie leiten die Beute per Hawala-Banking weiter an die Drahtzieher in der Türkei – und das faktisch ohne Spuren zu hinterlassen. Beim Hawala-Banking handelt es sich um ein uraltes orientalisches, aber hierzulande illegales Transfersystem: Ein Kunde zahlt Geld an einer Annahmestelle in seinem Land ein; gegen eine Provision bekommen Geschäftspartner oder Kunden in einem anderen Land die Summe ausgezahlt, ohne dass Bargeld über die Landesgrenzen gebracht werden muss.
Als einer der Geldwäscher soll laut Staatsanwaltschaft Bochum Hussein Sobhi O. – alias Abu Amer – über seinen Goldhandel im nördlichen Ruhrgebiet geholfen haben. Kurz vor einer Razzia setzte sich O. in die Türkei ab. Während die deutsche Strafjustiz seither mit internationalem Haftbefehl nach ihm sucht und andere Clanmitglieder wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs verurteilt wurden, wandte sich Abu Amer aus seinem „Exil“ an die deutsche Zivilgerichtsbarkeit.
Weil er selbst „verhindert“ ist, stattete er seinen Sohn mit einer Vollmacht aus, um vor dem Landgericht Essen gegen Artikel presserechtlich vorzugehen. Der Erfolg war überschaubar: „Focus Online“ musste lediglich das Foto von Hussein Sobhi O. löschen. Die Darstellung von O. im Zusammenhang mit der Überschrift „‚Ficke den deutschen Staat täglich‘: So zockte ‚Papa Kralles‘ Clan Millionen ab“ suggeriere bei den Lesern, das Zitat stamme von ihm und er sei mit „Papa Kralle“ gemeint. Tatsächlich stammt – wie aus dem Artikel auch hervorgeht – das Zitat von Halit D. (Spitzname „Papa Kralle“), einem aus dem Sauerland in die Türkei abgeschobenen und dort wegen des Call-Center-Betrugs mittlerweile zu langer Haft verurteilten Mann.
Die Staatsanwaltschaft versucht, die Sache loszuwerden
An allem anderen hatte das Gericht nicht das Geringste auszusetzen. Ausdrücklich bescheinigte es Spilcker, dass sein Text von der Meinungs- und Pressefreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz gedeckt ist. Was Spilcker darin geschildert hat, ist nach Feststellung der Essener Kammer entweder wahr, oder es handelt sich um zulässige Verdachtsgerichtserstattung. Schreibe ein Journalist über eine Straftat sei zudem zu berücksichtigen, „dass eine solche Tat zum Zeitgeschehen gehört, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist“. Die Verletzung der Rechtsordnung begründe grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Hinzu komme: „Aufgrund des bereits eingetreten Schadens und der hohen Anzahl an – potentiellen – Opfern heben sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Bochum von dem Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden gewerbsmäßigen Betrügereien ab.“
Kurz bevor das Landgericht Essen dieses Urteil sprach, ging der Sohn von Hussein Sobhi O. alias Abu Amer zur Polizei und erstattete in der Sache Anzeige. Auf der Polizeiwache in Castrop-Rauxel gab der Sohn des bis heute flüchtigen Manns zu Protokoll, er trage den seltenen Vornamen Amer. Durch die Nennung des Aliasnamens seines Vaters in dem Artikel fühle er sich „gezielt diffamiert“ und verleumdet, weil sein Name mit dem Artikel und den damit verbundenen Vorwürfen in Verbindung gebracht werde. Das war ein erkennbar absurdes Konstrukt. Denn einerseits geht aus Spilckers Text klar hervor, dass es sich bei „Abu Amer“ um Hussein Sobhi O. handeln soll. Andererseits machte der Anzeigeerstatter Amer O. auf der Polizeiwache selbst deutlich, dass der definitiv nicht gemeint gewesen sein konnte, indem er den protokollierenden Beamten erläuterte, „Abu Amer“ heiße „Vater von Amer“.
Doch statt in dem damals noch gegen unbekannt geführten Verfahren zügig selbst zu entscheiden, versuchte die Staatsanwaltschaft Dortmund über Monate hinweg vergeblich, die Sache loszuwerden: Im August 2023 weigerte sich die Staatsanwaltschaft I München, den Fall zu übernehmen, Mitte Februar 2024 dann die Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Erst Ende März begannen die Dortmunder Ermittler, sich wenigstens etwas intensiver mit der Causa zu befassen. Es dauerte bis Ende Mai, dann erst realisierten sie, dass Spilckers Name bei der Abfrage im behördlichen Meldeportal falsch eingetippt worden war. Und noch einmal zwei Monate vergingen, bis sie die private Wohnadresse des Journalisten in Köln herausgefunden hatten und ihm die dortige Polizei unter dem Betreff „Schriftliche Äußerung als Beschuldigte(r)“ zusandte. Ob überhaupt ein Anfangsverdacht besteht, wurde nie geprüft.
Noch einmal gut ein Vierteljahr verging, bis Spilcker mit Hilfe seines Anwalts nach wiederholt angemahnter Akteneinsicht endlich erfuhr, um was es eigentlich ging. Auf mittlerweile 38 Seiten war die Ermittlungsakte angewachsen. „Viel bürokratischer Lärm um nichts“, sagt Spilcker. „Ein erschütterndes Dokument der bürokratischen Selbstbeschäftigung, allerdings mit erheblichem Gefahrenpotential für mich persönlich.“ Spilcker spielt darauf an, dass sich in der Akte eine hochpersönliche Information befindet: seine Wohnadresse. Umso wichtiger ist für den Journalisten, dass es in der nun ergangenen Einstellungsverfügung heißt, da mangels Anfangsverdacht keine Rechtsgrundlage für die Erhebung der vollständigen Personaldaten bestanden habe, seien die Aktenteile mit seinem Geburtsdatum und seiner Privatanschrift „durch entsprechend geschwärzte Ablichtungen ersetzt worden“.
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