Robert Habeck und die SPD handeln antizyklisch. Sie hatten die Plattform X verlassen, jetzt sind sie wieder da. „Back for good“ schrieb Habeck, der den von Elon Musk übernommenen Kanal vor fünf Jahren hinter sich gelassen hatte, nun aber offenbar glaubt, als Kanzlerkandidat der Grünen auf diesen nicht verzichten zu können. „Orte wie diesen den Schreihälsen und Populisten zu überlassen, ist leicht“, schrieb Habeck mit anschwellendem Pathos.
„Aber es sich leicht zu machen, kann nicht die Lösung sein. Nicht heute. Nicht in dieser Woche. Nicht in dieser Zeit. Deshalb bin ich wieder auf X.“ „Herausfordernde Zeiten verlangen nach besonnenen Antworten. Deswegen haben wir uns für die Rückkehr auf X entschlossen. Denn nur wer seine Stimme einbringt, kann sich auch Gehör verschaffen“, teilte die SPD mit: „Wir freuen uns auf eine spannende Zeit.“
Eine offene Plattform ist X nicht mehr
Spannend wird es bestimmt auf X, einigermaßen sonnig ist die Einschätzung allerdings schon. Denn eine offene Plattform, die der demokratischen Meinungsbildung dient, ist X nicht mehr. Elon Musk hat sie zu seinem persönlichen Propagandakanal gemacht, zur Echokammer von Autokraten, Rechtsextremisten, Antisemiten, Rassisten und Sexisten. X, das ist heute ein vergifteter Ort und – es ist das Megafon der künftigen amerikanischen Regierung, die dann über gleich zwei Digitalplattformen verfügt – über Donald Trumps „Truth Social“ und über den Meinungsmarktplatz seines Chefberaters Musk. Damit zieht der künftige US-Präsident in seinem Einfluss auf die digitale Medienwelt mit dem chinesischen Regime und dessen Einfluss auf Tiktok mindestens gleich.
Eine Reihe von Medienhäusern und Prominenten hat daraus den Schluss gezogen, X zu verlassen. Der amerikanische Schriftsteller Stephen King gab sich vor ein paar Tagen noch kämpferisch. Er dementierte, dass er von der Plattform verbannt worden sei, weil er Musk als „Trumps First Lady“ bezeichnet habe, das Zitat stamme nicht von ihm. Es könne aber sein, dass sein Hund Molly erwäge, „den Musk-Man zu beißen“. Dann aber zog King resigniert ab: „Ich verlasse Twitter. Ich habe versucht zu bleiben. Aber die Atmosphäre ist zu vergiftet. Folgt mir auf Threads, wenn ihr mögt.“
Mit den Ambitionen von Musk und Trump „verschmolzen“
Der britische „Guardian“ hat sich mit einer ähnlichen Einschätzung von Musks Plattform verabschiedet. Man sei „der Meinung, dass die Vorteile einer Präsenz auf X mittlerweile durch die Nachteile aufgewogen werden“. Dies gelte angesichts der „oft verstörenden Inhalte, die auf der Plattform beworben oder gefunden werden, darunter rechtsextreme Verschwörungstheorien und Rassismus.“ Der US-Präsidentschaftswahlkampf habe unterstrichen, „was wir schon lange denken: dass X eine toxische Medienplattform ist und dass ihr Eigentümer, Elon Musk, ihren Einfluss nutzen konnte, um den politischen Diskurs zu beeinflussen“.
Die spanische Zeitung „Vanguardia“ tat es dem „Guardian“ gleich, ebenso die schwedische „Dagens Nyheter“. Seit Elon Musk X gekauft habe, sei die Plattform mit seinen und den politischen Ambitionen von Donald Trump „verschmolzen“, sagte der Chefredakteur von „Dagens Nyheter“, Peter Wolodarski. Das Klima auf X sei „immer rauer und extremer“ geworden.
Das schwedische Boulevardblatt „Aftonbladet“ ist seit dem vergangenen Jahr nicht mehr auf X, der öffentliche Radiosender SR ist auch nicht mehr da. In Österreich haben sich Journalisten, darunter Prominente mit reichweitenstarken Accounts wie der ORF-Moderator Armin Wolf und der „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk, in einer konzertierten Aktion unter dem Rubrum „#eXit“ entschlossen, der Plattform den Rücken zu kehren und zu Bluesky zu wechseln.
Der Algorithmus macht es möglich
Die einen kommen, die anderen gehen, wiederum andere bleiben (so die F.A.Z.). Und in den USA ist zu beobachten, dass Unternehmen zunehmend Werbung auf X schalten. Deren Kalkül dürfte darauf lauten, sich mit dem digitalpolitischen Komplex, den Trump und Musk aufgebaut haben, gut zu stellen. Welches demokratiezerstörende Potential in diesem steckt, war schon während des Wahlkampfs zu beobachten. Denn da hatten die Einlassungen von Elon Musk eine noch größere Reichweite als ohnehin schon, weil – so die auf eine Datenanalyse gestützte Vermutung – der X-Algorithmus entsprechend programmiert wurde.
Die Australier Timothy Graham von der Queensland University of Technology in Brisbane und Mark Andrejevic von der Monash University in Melbourne haben Elon Musks X-Account im Vergleich mit denen anderer Prominenter mit sehr großer Reichweite untersucht, und im zweiten Schritt die Accounts von Politikern und Unterstützern der Republikaner und der Demokraten. Mitte Juli dieses Jahres, schreiben Graham und Andrejevic in ihrem Papier, habe es bei X eine „strukturelle Verschiebung“ gegeben. Es gebe auch einen Stichtag: den 13. Juli 2024, das war der Tag, an dem Elon Musk bekannt gab, dass er Donald Trump unterstützt. Danach, so die Forscher, sei die Sichtbarkeit von Musks Tweets um 138,7 Prozent gestiegen. Und auch die Accounts von Republikanern legten an Reichweite signifikant zu. Das lege die „Möglichkeit“ nahe, formulieren Graham und Andrejevic vorsichtig, dass wir es mit „einer algorithmischen Priorisierung“ zu tun haben. Schlagseite für die Republikaner habe X auf jeden Fall, den hatte die Plattform auch zuvor schon.
Einen Medienaufseher hat Trump auch
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die Medienautokratie, die Donald Trump mit der Hilfe von Elon Musk errichtet, fußt auch auf einem Marsch seiner Gefolgsleute durch die Institutionen. Da sind zum einen Moderatoren des rechtsschreierischen Senders Fox News, die Minister werden sollen – Pete Hegseth Verteidigungsminister, Sean Duffy Verkehrsminister. Und zum anderen bekommt die bislang unabhängige Medienaufsichtsbehörde Federal Communications Commission (FCC) mit Brendan Carr einen Trump-Hardliner vorgesetzt, der schon bevor er Amtschef ist (im Vorstand der FCC ist Carr seit 2017 Mitglied), klarmacht, womit bei ihm zu rechnen ist. „Big Tech“, schrieb Carr auf X, habe „Menschen zum Schweigen gebracht“, nur weil sie ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausüben wollten. „Das Zensurkartell“ müsse „demontiert und zerstört werden“.
Und die Chefs des „Zensurkartells“ schrieb Carr, wie die amerikanische Presse berichtet, auch gleich an. In einem Brief soll er Sundar Pichai von Alphabet, Tim Cook von Apple, Mark Zuckerberg von Meta und Satya Nadella von Microsoft vorwerfen, für die „Zensur“ verantwortlich zu sein. Die Amerikaner hätten „einen noch nie da gewesenen Anstieg der Zensur erlebt“, dabei hätten ihre Konzerne „eine wichtige Rolle gespielt“.
Nicht zum „Zensurkartell“ zählt Carr die Plattform X, was wenig wundert, soll ihn Elon Musk doch für die Spitze der FCC vorgeschlagen haben. Carrs Machtmittel wiederum dürften Musk von Nutzen sein. Die FCC vergibt Sendelizenzen und Subventionen, etwa für den Breitbandausbau, wofür sich Musk schon starkgemacht hat.
So wäscht eine Hand die andere. Sich von X zu verabschieden ist eine Option, mit der man sich nicht nur dem vergiftenden Einfluss der Plattform auf den demokratischen Exkurs entzieht, sondern auch signalisiert, dass man nicht Teil dieses Machtgefüges sein will. Wirkung erzielt das aber wohl nur, wenn es zu einer großen Abwendung von Musks Manipulationsmaschine kommt und Plattformen wie Bluesky oder Mastodon noch größeren Zulauf als in den vergangenen Wochen erhalten, in denen vor allem Bluesky zugelegt hat. „Leicht“ macht es sich, anders als Robert Habeck meint, wohl niemand mit dieser Entscheidung.
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