Cum-ex-Skandal: Der Kronzeuge steht vor Gericht

Es ist eine Geschichte von Ehrgeiz und Aufstieg, von Gier und Arroganz, von Verrat und schließlich von der Suche nach Anerkennung. Es ist die Geschichte von Kai-Uwe Steck, die von den Anfängen seiner Karriere bis in die Gegenwart reicht. Der Mann, der gemeinsam mit seinem väterlichen Freund und Kanzleipartner Hanno Berger schwerreichen Investoren in Deutschland überhaupt erst die Tür zu den illegalen Aktienkreisgeschäften öffnete, hat den Staat nach seinen eigenen Angaben um 50 Millionen Euro an Cum-ex-Beute erleichtert.

Steck ist heute der schärfste Kritiker eines Systems, das ihn einst schnell nach ganz oben gebracht hatte. „Cum-ex hat mich korrumpiert, Cum-ex hat mich vergiftet“, gestand Steck, verfremdet mit Maske und Perücke, vor Jahren Journalisten von ARD und Correctiv in einem TV-Interview ein.

Hat Steck noch ein Ass im Ärmel?

Vor seinem eigenen Strafprozess wegen Steuerhinterziehung, der an diesem Donnerstag vor der 12. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn beginnt, hat sich der mittlerweile 53 Jahre alte Rechtsanwalt völlig zurückgezogen. Außerhalb von Gerichtssälen verliert Steck, bis heute Inhaber einer Anwaltskanzlei in Zürich und einer Beratungsfirma mit Sitz in Dubai, öffentlich kein Wort mehr zu Cum-ex. Umso größer ist jetzt die Spannung unter seinen ehemaligen Geschäftspartnern, Strafverteidigern von anderen Verdächtigen und von Prozessbeobachtern, wie er aus der Situation herauskommen will, in die er sich – als Kronzeuge der Anklage unter der langjährigen Chefermittlerin Anne Brorhilker – quasi selbst gebracht hat (Az. 62 KLs 1/24). Hat Steck doch noch ein Ass im Ärmel, das er noch nicht während seiner Aussagen als Zeuge in bisher elf Strafprozessen und einem Verfahren vor dem Finanzgericht Köln offenbart hat?

In den vergangenen Monaten hat die F.A.Z. viele Gespräche im Umfeld von Steck geführt, darunter auch mit weiteren Beschuldigten im Cum-ex-Komplex und Anwälten aus Großkanzleien, die sich in den Hochzeiten der Cum-ex-Deals zwischen den Jahren 2006 bis 2012 bewusst davon ferngehalten haben. Sie zeichnen das Bild eines hochintelligenten Mannes, der von einem unglaublichen Ehrgeiz getrieben wurde. Und der sich aufgrund seiner planerischen Fähigkeiten, gepaart mit seiner Eloquenz, auch immer gut die Worte so legen konnte, wie sie sein Gegenüber hören wollte, so sagen es manche.

Bilderbuchkarriere

Steck verkörpert die klassische Aufsteigergeschichte. Aus der Provinz in Friesland kommend, war ihm schnell klar, dass er es nur mit Fleiß und Disziplin noch oben schaffen würde. Zum Traumberuf „Fußballprofi bei Werder Bremen“, wie Steck es derzeit auf der Website seiner Consultingfirma Pontinova darstellt, reichte es dann nicht. Stattdessen richtete er seinen Fokus auf das internationale Wirtschaftsrecht aus, beendete sein Jurastudium und Referendariat mit exzellenten Noten. Die öffneten ihm die Tür zur amerikanischen Großkanzlei Shearman & Sterling, wo Steck 2001 als Associate begann.

Der frühere Steueranwalt Hanno Berger ist Strippenzieher hinter vielen Cum-ex-Geschäften in Deutschland
Der frühere Steueranwalt Hanno Berger ist Strippenzieher hinter vielen Cum-ex-Geschäften in Deutschlanddpa

Kurz darauf kreuzten sich dort die Wege mit seinem späteren „Ziehvater“ Hanno Berger, der in den frühen 2000er Jahren einer der umsatzstärksten Steueranwälte in Deutschland war. Er erkannte in dem norddeutschen Nachwuchsanwalt Talente, die beide gewinnbringend für Bergers Mandanten nutzten: Kenntnisse im Fonds- und Aufsichtsrecht und verhandlungssicheres Englisch. In der „lingua franca“ der globalen Wirtschaftswelt war Berger nicht sattelfest.

Sein junger Kompagnon stieg schnell auf und wurde fester Bestandteil der „Berger-Phalanx“. So bezeichnen Ermittler eine Gruppe von Wirtschaftsanwälten, die Berger um sich scharte. Es sei immer darum gegangen schlauer zu sein als die anderen, fasste Steck das Selbstverständnis der Gruppe in dem TV-Interview zusammen – „wir sind die Genies, und ihr seid alle doof.“ Dieser „think tank“ agierte zunehmend autark bei Shearman & Sterling und als Berger zu einer Konkurrentin wechselte, nahm er Steck mit. Der arbeitet in der neuen Kanzlei Dewey Ballantine künftig die meiste Zeit von London aus – wo das Dividendenstripping zwischen den Großbanken und Aktienhändlern schon lange praktiziert wurde.

100 Millionen Euro Cum-ex-Beute

Das geschäftliche Band mit Berger wurde enger, beide gründeten mit „Berger Steck & Kollegen“ eine Steuer- und Investment-Boutique, die im Frankfurter Bürohochhaus Skyper residierte. Ihre Honorare aus der Beratung aus Cum-ex-Geschäften führten sie in eine gemeinsame Vermögensverwaltung namens „Oak“ ab. Bis zum Zusammenbruch von „Berger Steck & Kollegen“ nach einer Razzia im Herbst 2012 sollen sie dort 100 Millionen Euro geparkt haben.

„Cum-ex war ein industrielles, etabliertes Phänomen“, erinnerte sich Steck Jahre später, anlässlich seiner ersten Zeugenaussage in Bonn im Oktober 2019. Nur wenige Meter weiter saßen damals zwei britische Börsenhändler auf der Anklagebank, die Steck von einer Kooperation mit den deutschen Behörden überzeugen konnte.

Profitierte von der Aussage des Kronzeugen: Anne Brorhilker, hier noch als Staatsanwältin. Mittlerweile ist sie Ko-Geschäftsführerin der Finanzwende.
Profitierte von der Aussage des Kronzeugen: Anne Brorhilker, hier noch als Staatsanwältin. Mittlerweile ist sie Ko-Geschäftsführerin der Finanzwende.dpa

Nun findet sich auch Steck in der Position des Angeklagten wieder. Denn: Die federführende Staatsanwaltschaft Köln hatte ihre Ermittlungen gegen ihn nicht eingestellt. Garantien gab es keine, auch wenn seine damaligen Strafverteidiger auf Zusagen der Ankläger drängten. Das legt zumindest ein interner Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft vom 15. Dezember 2016 nahe, den neben Steck auch Brorhilker unterschrieben hatte. Das Schriftstück liegt der F.A.Z. vor. Die Strafverfolger wollten sich nicht auf eine denkbare Einstellung ihrer Ermittlungen festlegen. Schon zu dem Zeitpunkt sprach man aber über die Möglichkeit einer Milderung im Fall eines wesentlichen Aufklärungsbeitrags. Der Verweis auf Paragraph 46 b Strafgesetzbuch ist auffällig.

Angesichts einer möglichen Haftstrafe von mehreren Jahren begriff Steck dies als seine Chance. Mindestens 20 Mal reiste er von November 2016 ab von seinem Wohnort in der Schweiz nach Düsseldorf. Dort öffnete er sich nach und nach den Beamten des Landeskriminalamtes und Brorhilker. Weil er anfangs fest mit seiner sofortigen Verhaftung rechnete, reiste er mit Zahnbürste und Reisepass an. Doch er durfte immer zu seiner Familie zurückkehren. Die Freiheit nutzte er, um in Großbritannien und Dubai weitere Cum-ex-Akteure zu überreden, ihr Schweigen gegenüber den Strafverfolgern zu brechen.

Trennung von Strafverteidigern

Im Herbst 2023, als Brorhilker noch Leiterin der Hauptabteilung H bei der Staatsanwaltschaft Köln war, soll jedoch Steck Hinweise auf eine bevorstehende Anklage gehabt haben. Er ließ sich nichts anmerken, folgte in drei Cum-ex-Verfahren der Ladung des Gerichts und sagte als Zeuge aus. Ab Sommer muss der Druck zu groß geworden sein. Steck trennte sich von seinen Verteidigern und vertraute sich Gerhart Strate an, einem der renommiertesten Strafrechtler der Republik. Doch auch er konnte innerhalb von zwei Monaten nicht verhindern, dass die Anklage weitgehend unverändert zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde.

Konkret muss sich sein Mandant wegen acht Fällen von Steuerhinterziehung in den Jahren von 2007 bis 2015 verantworten, in drei weiteren Fällen kam es nicht zu einer mehrfachen Rückerstattung der Kapitalertragssteuer. Als Spezialist für Kapitalanlagerecht soll Steck für die Fondsstrukturen zuständig gewesen sein. Den Ausfall an Steuern infolge der Cum-ex-Geschäfte beziffert die Anklage auf 428 Millionen Euro. Rund 14 Millionen Euro soll Steck davon als Gewinn eingestrichen haben – mit elf Millionen Euro soll jedoch ein Großteil wieder an das Bundeszentralamt für Steuern zurückerstattet worden sein.

Das Paradoxon: Große Teile der 514-seitigen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft sind aus zahlreichen Strafprozessen vor den Landgerichten Bonn, Wiesbaden und seit wenigen Tagen auch in München bekannt. Viele der Ermittlungen gegen andere Akteure der Cum-ex-Industrie, etwa gegen Händler der Hypovereinsbank in München, ranghohe Mitarbeiter der Hamburger Privatbank M.M. Warburg, ehemalige Vorstandsmitglieder der Varengold Bank , der Investmentgesellschaft Duet oder des Münchner Fondshauses Avana , gehen auf die Aussagen Stecks in seinen Vernehmungen zurück. Die Finanzbehörden konnten nach Angaben der Verteidigung bisher 853 Millionen Euro zurückholen.

Rolle des Whistleblowers schon besetzt

Im Cum-ex-Skandal verbindet die breite Öffentlichkeit die Rolle des Whistleblowers aber positiv mit dem Stuttgarter Rechtsanwalt Eckart Seith. Er wusste seit 2013 von den illegalen Machenschaften rund um die Schweizer Bank Sarasin . Seith teilte die Informationen mit den deutschen Finanzbehörden und trug dazu bei, dass rund 460 Millionen Euro an Erstattungen nicht ausgezahlt wurden. In den Augen der Schweizer Staatsanwaltschaft ist er ein „Wirtschaftsspion“. In Deutschland hingegen organisierte die Bürgerbewegung Finanz­wende Kampagnen für ihn und schlug ihn sogar für das Bundesverdienstkreuz vor.

Im Fall von Steck hält sich die Organisation, deren Ko-Geschäftsführerin wiederum seit wenigen Monaten Brorhilker ist, deutlich zurück. „Die Zulassung der Anklage gegen Kai-Uwe Steck ist ein positives Signal, weil es zeigt, dass die Ermittlungen im Cum-ex-Komplex weiter vorangehen“, teilte Gerhard Schick, Ko-Geschäftsführer von Finanzwende, der F.A.Z. Ende September schriftlich mit.

Zwar würdigte der frühere Grünenpolitiker, dass Steck „viel zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen“ beigetragen habe, um sich dann abstrakt zur Rolle großer Wirtschaftskanzleien im Cum-ex-Skandal zu äußern. Aus diesem Lager kann Steck mit keinem Zuspruch rechnen. Der Aufklärer ist auf sich allein gestellt.

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