Welche Folgen hat der Haftbefehl für Netanyahu?

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Stand: 21.11.2024 19:30 Uhr

Gegen Israels Premier und seinen Ex-Verteidigungsminister wurden Haftbefehle erlassen. Welche Konsequenzen hat die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs? Und wie positioniert sich Deutschland?

Von Egzona Hyseni und Kolja Schwartz, ARD-Rechtsredaktion

Um welche Vorwürfe geht es in den Haftbefehlen?

Im Mai 2024 hatte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, einen Antrag auf Haftbefehle gegen Israels Premierminister Benjamin Netanyahu und Yoav Gallant, den damaligen Verteidigungsminister Israels, gestellt. Khan führte das Aushungern von Zivilisten, Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Ausrottung und Mord, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen auf. Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 seien diese Taten seit dem 8. Oktober 2023 im Gazastreifen geschehen.

Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien Teil eines systematischen Angriffs im Rahmen der staatlichen Politik Israels und würden bis heute andauern. Israel habe der Zivilbevölkerung in allen Teilen des Gazastreifens absichtlich und systematisch die Dinge genommen, die für das Überleben unentbehrlich sind – zum Beispiel durch die Unterbrechung von Wasser- und Stromleitungen, durch die Schließung der Grenzübergänge und die Behinderung humanitärer Hilfe.

Der Chefankläger führte damals weiter aus, Israel habe Hunger als Methode der Kriegsführung eingesetzt und wolle die Zivilbevölkerung des Gazastreifens kollektiv bestrafen.

Heute hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) dem Antrag entsprochen und die Haftbefehle erlassen. Das Gericht sieht hinreichende Gründe für die Annahme, dass Netanyahu und Gallant Verantwortung für diese Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit tragen.

Ist der IStGH überhaupt zuständig?

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist dann für die Strafverfolgung zuständig, wenn das Völkerrecht in den Staaten verletzt wird, die den IStGH anerkannt haben. Das sind bisher 124 Staaten, darunter auch Deutschland. Nicht anerkannt haben den IStGH zum Beispiel die USA, China, Israel, Syrien und Russland.

Die Palästinensergebiete sind seit 2015 Vertragsstaat des Gerichtshofs. 2021 hat der IStGH entschieden, dass er auch für die seit 1967 besetzten Gebiete wie das Westjordanland und den Gazastreifen zuständig ist. Wenn also das Völkerrecht in diesen Gebieten verletzt wird, ist der Gerichtshof in Den Haag zuständig, egal von wem die Taten ausgehen.

Wie realistisch ist es, dass Netanyahu sich jetzt vor dem IStGH verantworten muss?

Solange Benjamin Netanyahu in Israel bleibt, hat der Haftbefehl nur eine symbolische Wirkung. Der IStGH kann ihn dort nicht festnehmen lassen, denn er hat keine eigene Polizei, die er nach Israel schicken könnte.

Allerdings schränkt der Haftbefehl die Bewegungsfreiheit Netanyahus stark ein. Denn wenn er in Staaten reisen würde, die Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs sind, droht ihm dort eine Verhaftung. Der Gerichtshof ist also darauf angewiesen, dass Netanyahu und Gallant reisen und dass die Mitgliedsstaaten sie dann festnehmen. 

Muss die deutsche Polizei Netanyahu festnehmen, wenn er deutschen Boden betritt?

Die meisten Völkerrechtsexperten sind sich einig: Als Vertragsstaat wäre Deutschland dazu verpflichtet, Netanyahu festzunehmen. Denn: Nach dem Römischen Statut gilt die persönliche Immunität, die Staatsoberhäupter eigentlich genießen, generell nicht vor einem internationalen Straftribunal. Dies sei mittlerweile sogar zu Völkergewohnheitsrecht geworden.

Manch einer argumentiert zwar, dass dies nicht für Staaten gelte, die sich wie Israel dem Römischen Statut nicht unterworfen hätten. Der IStGH hat in anderen Verfahren aber bereits klargestellt, dass es nicht darauf ankommt, ob der Heimatstaat des Beschuldigten an das Römische Statut gebunden ist oder nicht. Nach alldem wäre Deutschland also an die Rechtsauffassung des IStGH gebunden und müsste die Beschuldigten Netanyahu und Gallant wohl festnehmen und überstellen, wenn sie deutschen Boden betreten.

Im Mai hatte Steffen Hebestreit, der Sprecher der Bundesregierung, zudem gesagt, Deutschland sei ein Unterstützer des IStGH. Auf die Nachfrage, ob dazu auch gehöre, sich an Entscheidungen des Gerichts zu halten, hieß es von Hebestreit: „Wir halten uns an Recht und Gesetz.“

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