EnBW-Chef im Interview: „Die Energiewende braucht eine Korrektur“

Was muss denn konkret in jeder der Säulen passieren?

Der Klimaschutz bleibt ohne Frage unverändert wichtig, aber wir müssen auch den beiden anderen Anforderungen gleichgewichtig Rechnung tragen. Die Versorgungssicherheit haben wir bisher durchweg gut gewährleisten können, da sehe ich wenig Risiko. Trotzdem der Hinweis, wir haben noch mehr als 35 Gigawatt installierte Leistung in Kohle. Um den Kohleausstieg zu organisieren, müssen wir dringend die Kraftwerkstrategie umsetzen, konkret das Kraftwerkssicherungsgesetz endlich beschließen. Das wird aber wohl in dieser Legislaturperiode mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr passieren.

Bleibt die Bezahlbarkeit.

Genau, wenn wir die Akzeptanz der Energiewende bei den Bürgern und Verbrauchern nicht langfristig aufs Spiel setzen wollen, müssen wir die Energiekosten senken.

Was schlagen Sie vor?

Wir können nicht immer die teuerste Lösung wählen. Nehmen wir die geplanten Erdkabel für die Übertragungsnetze von Nord nach Süd. Würden wir stattdessen Freileitungen errichten, würden wir nach unserer Berechnung etwa 20 Milliarden Euro sparen. Wir zahlen also 20 Milliarden Euro mehr ohne einen zusätzlichen Nutzen.

Das sind die besagten Kosten für die Akzeptanz der Energiewende.

Ja, für die lokale Akzeptanz. Aber es besteht die Gefahr, dass wir damit die bundesweite Akzeptanz verlieren, weil das Ganze zu teuer wird.

Was läuft denn noch falsch?

Der Ausbau der Erneuerbaren sollte grundsätzlich besser mit dem Ausbau der Netze verzahnt werden, beispielsweise bei Photovoltaikanlagen. Wer heute eine geeignete Fläche findet, kann dort eine Anlage bauen und vom Netzbetreiber verlangen, dass er den Netzanschluss dorthin verlegt. Besser wäre dort zu bauen, wo ein Netzanschluss bereits vorhanden oder in der Nähe ist. Denn erstens wertet das die Fläche für den Projektentwickler auf und zweitens spart das im Interesse der Stromkunden die Kosten für den Netzanschluss.

Georg Stamatelopoulos
Georg Stamatelopoulosdpa

Nennen Sie noch ein Beispiel.

Jedes neue Gaskraftwerk soll laut Entwurf des Kraftwerksicherungsgesetzes einen Phasenschieber bekommen. Ich will nicht mit technischen Details langweilen, aber solche Phasenschieber, die die Frequenz im Netz stabilisieren, braucht man sehr selten. In unserem Netzgebiet ist das zum Beispiel an keiner Stelle bisher nötig gewesen, trotzdem müssen wir sie einbauen. Wenn alle neuen Kraftwerke verpflichtet werden, einen Phasenschieber zu beinhalten, dann machen wir alle pauschal teurer.

Wo liegt die Verantwortung für solche Vorgaben?

Ich kann nicht sagen, wer die pauschale Notwendigkeit dafür gesehen hat. Der Gesetzesentwurf wird vom Bundeswirtschaftsministerium verantwortet.

Haben Sie die Kritik dort nicht angebracht?

Doch, aber bisher ohne Reaktion.

Wenn es zu einem Regierungswechsel kommt, könnte auch der Kohleausstieg wieder in Frage gestellt werden. Wie stehen Sie dazu?

Ein fester Termin ist nicht unbedingt notwendig. In Großbritannien ist man auch ohne vordefinierten Termin schon raus aus der Kohleverstromung. Die Kohlekraftwerke werden vom Umbau des Systems automatisch in die Unwirtschaftlichkeit gedrängt, weil sie immer weniger zum Einsatz kommen und so immer unwirtschaftlicher werden. Dazu kommt noch, dass der steigende CO2-Preis den Kohlestrom immer teurer macht. Ich verstehe, dass die Politik Ausstiegsjahre definiert, um Zeichen zu setzen, aber der Ausstieg kommt so oder so. Ein Jahr früher oder später ist nicht kriegsentscheidend.

Die Idee war doch, mit dem Ausstiegsszenario Druck aufzubauen, so dass die Erneuerbaren schneller ausgebaut werden.

Das hätte es aber nicht gebraucht. Das Interesse am Ausbau der Erneuerbaren und das Kapital dafür waren bei den Unternehmen nie das Problem. Das Problem waren die langwierigen Genehmigungsverfahren. Die hat die Regierung inzwischen aber deutlich beschleunigt. Seitdem läuft auch der Ausbau viel schneller.

Jetzt werden trotzdem Stimmen für eine Renaissance der Atomkraft lauter. Was halten Sie davon?

Ob der Ausstieg in der Vergangenheit richtig war, ist eine Frage für Politiker oder Historiker. Aus der Beantwortung dieser Frage ergeben sich keine Handlungsoptionen. Was die Zukunft betriff, so ist die Kernenergie in der aus der Vergangenheit bekannten Form nüchtern betrachtet keine wirtschaftliche Alternative.

Schauen Sie sich die drei aktuellen Neubauprojekte in Westeuropa Hinkley Point in Großbritannien, Flamanville in Frankreich und Olkiluoto in Finnland doch mal an. Allein Hinkley Point soll Stand heute rund 50 Milliarden Euro kosten für eine Leistung von rund 3300 Megawatt. Bei Flamanville wurde zuletzt Ende 2023 von mehr als 20 Milliarden Euro gesprochen. Auf dieser Basis können sie keine der Anlagen am Markt wirtschaftlich betreiben.

Was wäre mit der Wiederinbetriebnahme eines alten Atomkraftwerks?

Unsere Anlagen befinden sich im Rückbau. Und der ist de facto sowohl technisch als auch rechtlich unumkehrbar. Selbst in unserem jüngsten Kraftwerk Neckarwestheim II ist der Primärkreislauf, das Herz der Anlage, nicht mehr intakt.

Kommen wir zur Elektromobilität. Der schleppende Absatz von E-Autos hängt offenbar auch mit der schlechten Ladeinfrastruktur zusammen. Warum kommen Sie damit nicht nach?

Die Infrastruktur ist da. Alleine die EnBW wird bis Jahresende 6000 Schnellladepunkte gebaut haben, damit sind wir Marktführer in Deutschland. Wir liefern also. Jetzt müssen nur noch die Autofahrer überzeugt werden, E-Autos zu kaufen.

Viele sehen das anders, die Infrastruktur gilt immer noch als großes Hindernis.

Dieses Henne- und Ei-Problem ist schon lange keines mehr. Das Problem ist, dass zu wenig E-Autos gekauft werden. Bundesweit – nicht nur bei der EnBW – haben wir eine durchschnittliche Auslastung der Ladesäulen von gerade mal 15 Prozent. Wir installieren Infrastruktur, die aktuell zu 85 Prozent nicht ausgelastet ist.

Haben Sie Ihre Ausbaupläne angepasst?

Ja. Wir bauen die Ladestruktur jetzt vorsichtiger aus. Im ersten Schritt sichern wir die Standorte, damit es zu keiner Verzögerung kommt. Im zweiten Schritt entscheiden wir dann bedarfsorientiert über die Zahl der Ladesäulen an diesem Standort und bauen eventuell weniger als ursprünglich geplant.

Dabei sollen doch jetzt auch Lastwagen elektrisch fahren. Daimler Truck hat gerade angekündigt, die Produktion des E-Actros hochzufahren. Wie sieht es mit dieser Infrastruktur aus und den Hausaufgaben der Versorger?

Bei Lastwagen stehen wir erst am Anfang der Entwicklung. Dass dort die Elektromobilität das Rennen machen soll, ist noch relativ neu. Wir haben aber mit Daimler Truck eine Absichtserklärung unterschrieben und werden den Ausbau jetzt gemeinsam prüfen.

Ist die Infrastruktur denn so anders als beim Auto?

Ja, nach unseren Berechnungen brauchen sie hier eine Leistung von bis zu 35 Megawatt an einzelnen Standorten. Das erfordert dann ein eigenes Umspannwerk. Das ist entsprechend teurer und aufwendiger. Deswegen wollen wir erst genau verstehen, was Hersteller und deren Kunden tatsächlich wollen, wie viele Laster in den Depots geladen werden, wie viele auf Rastanlagen. Wie gesagt, wir stehen dem Thema offen gegenüber. Aber ich kann ihnen heute noch nicht sagen, was hier der richtige Weg sein wird.

Die Leute kaufen weniger E-Autos als erwartet, Teile der energieintensiven Industrie schließen ihre Produktion. Wie sehen Ihre langfristigen Bedarfserwartungen für Deutschland denn aus?

Deutschland hat heute einen Stromverbrauch von etwa 500 Terawattstunden pro Jahr. Wir erwarten, dass er bis 2045 auf 900 Terawattstunden steigt. Diese Prognose basiert auf der Annahme, dass wir Wärme künftig weitgehend elektrisch herstellen, die Mehrheit der Autos elektrisch fahren und die energieintensive Industrie in Deutschland bleibt.

Die Realität ist aber ein andere. Der Stromverbrauch ist sogar gesunken.

Ja, das gilt für die vergangenen Jahre des Ukrainekriegs und der damit einhergegangenen Energiekrise. Und wir müssen zweifellos die Entwicklung auf all diesen Teilsektoren genau im Auge behalten.

„Der Ausbau der Erneuerbaren sollte grundsätzlich besser mit dem Ausbau der Netze verzahnt werden“, sagt Energiemanager Georg Stamatelopoulos.
„Der Ausbau der Erneuerbaren sollte grundsätzlich besser mit dem Ausbau der Netze verzahnt werden“, sagt Energiemanager Georg Stamatelopoulos.dpa

Mit welchem Strompreis rechnen Sie langfristig?

Die Entstehungskosten sinken, die Netzkosten steigen – das gleicht sich in etwa aus. Wir gehen deshalb davon aus, dass der Strompreis ohne weitere Gegenmaßnahmen langfristig ungefähr auf dem heutigen Niveau bleibt, vorausgesetzt wir behalten die Netzkosten im Griff.

Das dürfte die Industrie nicht gerne hören. Viele Unternehmen klagen jetzt schon über zu hohe Strompreise. Der geforderte Industriestrompreis lag viel niedriger.

Das Strompreisniveau ist heute ähnlich hoch wie vor der Krise. Ich verstehe die Sorgen der Industrie angesichts des riesigen Investitionsprogramms für die Netze. Aber erlauben Sie mir den Hinweis: Wenn die Industrie mit dem Preisniveau heute ein Problem hat, vor fünf Jahren aber nicht, liegt es vielleicht nicht nur an den Energiepreisen.

Zu den Energiepreisen gehört nicht nur Strom, auch Wärme. Der Mannheimer Versorger MVV hat angekündigt, in zehn Jahren das Gasnetz in der Stadt still zu legen. Planen Sie sowas auch?

Derartige Pläne haben wir derzeit nicht. Allerdings ist die Wärmewende anders als die Stromwende sehr lokal. Jede Stadt muss ihre Wärmeplanung machen. Stuttgart etwa will die Fernwärme deutlich ausbauen und Wärmepumpen forcieren. Wir empfehlen unseren Kunden daher, nicht zu schnell und unter Druck Entscheidungen zu treffen und genau zu schauen, was in ihrer Region geplant ist. Wir werden als EnBW unser Versorgungsversprechen einhalten und unseren Kunden rechtzeitig Alternativen bieten, falls wir Gas abschalten müssen.

Also denken Sie auch darüber nach?

Konkret nicht, aber irgendwann müssen wir von fossilen Energien unabhängig werden. Ich kann nur sagen, dort wo wir beteiligt sind, wird das mit genügend großem Vorlauf passieren.

Sie haben die beiden Großaktionäre – das Land Baden-Württemberg und den Landkreisverbund OEW – um eine Kapitalerhöhung gebeten. Wofür brauchen Sie frisches Geld?

Die EnBW will mit dem Markt wachsen und bis 2030 die Rekordsumme von mindestens 40 Milliarden Euro investieren – davon gehen 60 Prozent in den Netzausbau, 30 Prozent in Erzeugungstechnologien und zehn Prozent in Vertriebslösungen. Und wir sehen jetzt schon einen möglichen Mehrbedarf. Zudem haben wir die Entscheidung bei einigen Investitionen gar nicht selbst in der Hand.

Was meinen Sie?

Wenn Kunden eine PV-Anlage, eine Wärmepumpe oder eine Wallbox installieren und das Netz nicht ausreicht, müssen wir die Zuleitung sofort verstärken – auch wenn wir den Ausbau viel später geplant hätten. Oder nehmen Sie die Übertragungsnetze: In diesem Jahr hat die Bundesnetzagentur erstmals mehr Projekte gefordert, als die vier Übertragungsnetzbetreiber beantragt haben. Damit wir diese und viele andere Projekte stemmen können, ist die Stärkung unserer Eigenkapitalbasis eine sinnvolle Option.

Im Gegensatz zu Wettbewerbern ist die EnBW immer noch ein integrierter Konzern. Sie produzieren, verteilen, speichern und verkaufen Energie. Das kostet viel Geld. Ist das noch ein Vorteil?

Ja, das ist ein großer Vorteil, weil wir mit und entlang der Energiewende wachsen können und die Wechselwirkungen des gesamten Energiesystems verstehen. Diese spiegeln sich ja unternehmensintern in der Zusammenarbeit unserer Geschäftsbereiche wider. Dadurch sind unsere Vorschläge zum Beispiel an die Politik abgewogen und darauf ausgerichtet, dass das Gesamtsystem optimal funktioniert – und nicht eine Wertschöpfungsstufe allein die Vorteile abschöpft.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir würden keine Regelung befürworten, die für den Erzeugungsbereich gut wäre, während das Netzgeschäft belastet wird. Wir installieren zum Beispiel bei jedem Solarpark eine Batterie, weil wir dann mit geringeren Netzanschlussleistungen auskommen und der Ausbau des Netzes weniger kostet. Das senkt insgesamt die Kosten für die Energiewende.

Damit die Energiesicherheit auch in den industriellen Zentren in Baden-Württemberg und Bayern gesichert ist, ist es entscheidend, wo die Gaskraftwerke gebaut werden, die anspringen sollen, wenn nachts kein Wind weht. Wo werden die Standorte sein?

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Kraftwerke im sogenannten netztechnischen Süden gebaut werden. Allerdings entspricht der netztechnische Süden nicht dem geografischen Süden, er umfasst neben Bayern und Baden-Württemberg auch Hessen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Nordrhein-Westfalen.

Ist das ein Problem?

Wenn alle Kraftwerke im Norden von Nordrhein-Westfalen gebaut werden würden, wäre das Problem nicht gelöst. Aber ich gehe davon aus, dass wir einen ausreichenden Anteil der Kraftwerke im echten, also im geografischen Süden bauen.

Diese Gaskraftwerke sollen nur laufen, wenn der Wind nachts nicht weht, Wind- und Solarkraftwerke also nicht ausreichend Energie liefern. Wie kann sich das rechnen?

Aus diesem Grund brauchen wir einen Kapazitätsmarkt, der die Betreiber für das Bereitstellen von Leistung bezahlt, ähnlich wie bei der Feuerwehr. Wenn ein Betreiber nur dann Einnahmen hat, wenn die Anlage läuft und er Strom verkauft, dann wird er sie nicht bauen. Das Gesamtsystem ist aber nur stabil, wenn immer Leistung zur Verfügung steht, die jederzeit abgerufen werden kann, wenn Wind- und Solarkraft zu wenig Energie liefern.

Kraftwerksbetreiber und Politik streiten, wie ein solcher Kapazitätsmarkt organisiert werden kann. Was ist Ihre Meinung?

Es gibt zwei Vorbilder: einen zentralen Markt wie in Großbritannien und Belgien und einen regionalen wie in Frankreich. Leider sieht der Gesetzentwurf für Deutschland eine Kombination aus beiden Modellen vor. Das hat einen praktischen Nachteil: Die Kapazitätsmärkte müssen von der EU genehmigt werden, für das deutsche Modell gibt es in Brüssel aber keine Blaupause und keine praktischen Erfahrungen. Das wäre anders, wenn man sich nur für eines der beiden schon genehmigten Systeme entscheiden würde.

Für welches System plädieren Sie?

Wir sind eindeutig für einen zentralen Kapazitätsmarkt, weil hier die Systemverantwortung klar geregelt ist. Der Staat sagt, welche Kapazität er braucht, und dann bekommt er sie. Zudem schließt der zentrale Markt die Möglichkeit nicht aus, auch Wasserkraftwerke und Pumpspeicherwerke einzubinden. Beim regionalen Markt ist die Gefahr von Überlappungen zu groß, so dass am Ende mehr Leistung vorgehalten wird als nötig, was die Energiewende wiederum verteuern würde.

Brauchen Sie als Betreiber nicht beide Informationen, bevor sie investieren: den Ort, wo das Kraftwerk ausgeschrieben wird, und die Funktionsweise des Kapazitätsmarktes?

Eigentlich schon. Das Bundeswirtschaftsministerium wollte aber zuerst über die Kraftwerksstrategie entscheiden und den Kapazitätsmarkt dann später definieren. Die beiden Gesetzesentwürfe gehören für mich aber in der Tat zusammen. Als Betreiber könnte ich bei den Auktionen niedrigere Angebote machen, wenn ich das Wesen und Funktionieren des Kapazitätsmarkts kenne. Das ist leider ein weiteres Beispiel, wie die Energiewende unnötig teuer gemacht wird.

Wenn Nachteile anscheinend so offensichtlich sind, warum werden die Entscheidungen so getroffen?

Ich weiß es nicht. Die Konzepte und Vorgaben sind, so wie sie sind.

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