Frankreich ohne Regierung – der schnelle Sturz des Michel Barnier

Frankreich hat zum zweiten Mal innerhalb weniger Monaten keine Regierung mehr. Die Mehrheit der französischen Abgeordneten hat sich am Mittwochabend dem Misstrauensvotum der Linkskoalition vom Nouveau Front Populaire (NFP) angeschlossen und die Regierung von Michel Barnier nach nur drei Monaten gestürzt. Dies war nur möglich dank der Stimmen der 140 Abgeordneten vom Rassemblement National (RN) und den Überläufern der Konservativen.

Zwei Stunden lang war im Pariser Palais Bourbon debattiert worden, die Stimmung war aufgeheizt. „Ich habe keine Angst“, versicherte Barnier am Ende, appellierte aber an die Vernunft und das Verantwortungsgefühl der Abgeordneten. Noch am Vorabend hatte sich der ehemalige Brexit-Unterhändler in einem langen TV-Interview vorsichtig optimistisch gezeigt, dass die Abgeordneten Frankreich nicht ins Chaos stürzen werden. Auch Präsident Emmanuel hatte sich während seines dreitägigen Staatsbesuchs in Saudi-Arabien zu Wort gemeldet und gesagt, dass er sich einen Sturz der Regierung nicht vorstellen könne. Der RN würde einen „unerträglichem Zynismus“ an den Tag legen, wenn er sich dem Misstrauensvotum der Linkskoalition anschließe, die ihn im Antragstext beleidige. Den französischen Sozialisten (PS) und Ex-Präsident François Hollande warf er vor, „komplett den politischen Kompass“ verloren zu haben.

Vernunft und Verantwortungsgefühl sind offensichtlich in der französischen Politik keine Werte mehr, auf die man sich verlassen könnte. Barnier muss nach drei Monaten gehen und wird damit als derjenige Premierminister in die Geschichte eingehen, der sein Amt am kürzesten innehatte.

Überraschend kam sein Sturz nicht. Barniers Regierung war von vornherein eine auf Abruf, die von der Gunst Marine Le Pens abhing. Überraschend ist nur die Schnelligkeit, mit der Barnier nach nicht einmal drei Monaten im Amt abgesägt wurde.

Mit dem Sturz des Premierministers taumelt Frankreich in die nächste Phase einer seit Monaten dauernden politischen Krise. Nach den Überraschungswahlen im Juli hatte die zweitgrößte und hoch verschuldete Volkswirtschaft der Europäischen Union zweieinhalb Monate lang nur eine geschäftsführende Regierung. Ein zweites Mal kann sich Macron ein so zögerliches Vorgehen und langwierige Verhandlungen nicht mehr erlauben.

Barnier hatte im Vorfeld der Abstimmung davor gewarnt, dass die politische Krise eine Wirtschafts- und Finanzkrise hinter sich herziehen könne. Jordan Bardella, Parteichef des RN, wischte dieses Szenario in einem Radiointerview am Mittwochmorgen als „Angstmache“ vom Tisch. Der Rechtsnationalist bezeichnet den Haushaltsentwurf von Barnier als einen „Strafhaushalt“.

Angesichts der 3328 Milliarden Euro Schulden Frankreichs, hatte Barnier versucht, mit einem Mix aus Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen 60 Milliarden Euro im nächsten Jahr einzusparen. Der Haushaltsentwurf war von einem Vermittlungsausschuss der Nationalversammlung und des Parlaments ausgehandelt worden. In den vergangenen Tagen hatte der Regierungschef Le Pen mehrere Zugeständnisse gemacht und beispielsweise auf die Kürzungen bei der Erstattung von Medikamentenkosten sowie auf die Erhöhung der Stromsteuern verzichtet, Maßnahmen, die auf zehn Milliarden Euro beziffert wurden.

Barnier hatte gehofft, dass Sozialisten das Misstrauensvotum nicht mittragen

Doch mit jeder Forderung, die Barnier erfüllte, erklärte Le Pen die nächste zur „roten Linie“. Zum Schluss forderte sie, auf die Verschiebung des Inflationsausgleichs bei den Renten um sechs Monate zu verzichten. Im Interview auf den Widerspruch angesprochen, dass der RN die Regierung trotz aller Zugeständnisse abstraft und sein Wort nicht hält, verzettelte sich Parteichef Bardella und wiederholte Falschaussagen.

Barnier hatte darauf gehofft, dass die Sozialisten, die Teil der Linkskoalition sind, das Misstrauensvotum von Links- und Rechtspopulisten nicht mittragen. Doch der Fraktionsvorsitzende der PS, Boris Vallaud, nahm ihm diese Illusion während der Debatte. „Die Macht ist nicht mehr im Elysée-Palast, die Macht ist nicht mehr in Matignon (dem Sitz des Regierungschefs), die Macht ist hier, im Parlament“, sagte Vallaud.

Hatten anfangs nur Links- und Rechtspopulisten den Rücktritt Macrons gefordert, formulieren das inzwischen auch Vertreter der bürgerlichen Partei Les Républicains (LR). Doch der Präsident weist Rücktrittsforderungen von sich. Das sei „Politikfiction“, so Macron. Aus dem Elysée-Palast hieß es, dass er allein für politische Stabilität stehe. Um einen Anschein von Stabilität zu erzeugen, muss er schnell einen neuen Regierungschef finden, dem es gelingt, einen Haushalt mit Mehrheit durch das Parlament zu bringen.

In den französischen Medien wird seit einigen Tagen orakelt, wer das sein könnte. Im Gespräch sind Verteidigungsminister Sébastien Lecornu, ein langjähriger Vertrauter Macrons, Innenminister Bruno Retailleau, der in vielen Fragen mit Le Pen auf einer Linie ist, der liberale François Bayrou, aber auch der Sozialist und Ex-Minister Bernard Cazeneuve. An der Grundkonstellation wird auch eine neue Regierung nichts ändern. Auch sie wird wieder vom Gutwillen der Rechtspopulisten abhängen. Erst Parlamentswahlen könnten für das Ende der politischen Blockade sorgen. Die sind aber erst ein Jahr nach der Auflösung der Nationalversammlung, frühestens im Juli 2025, wieder möglich.

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