Nancy Faeser will nicht anecken. Schon für eine Spitzenkandidatin im Landtagswahlkampf ist das eine fragwürdige Strategie. Um zu gewinnen, reicht es nicht aus, niemanden zu vergrätzen. In ihrem Amt geht es um viel mehr. Die SPD-Politikerin führt das Bundesinnenministerium. Sie ist zuständig für die innere Sicherheit und damit für einen Pfeiler von Staat und Gesellschaft.
Der Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist unabdingbar, um über die Gestaltung der Zukunft nachzudenken. Auf ihrem Tisch liegen die großen Streitthemen der Republik wie Migration, Überwachung, Kampf gegen Extremismus. Zu Beginn ihrer Amtszeit verkündete Faeser, dass nun „eine Frau mit einer klaren Haltung“ an der Spitze des Hauses stehe. Doch Kennzeichen ihrer Politik ist Konturlosigkeit.
Ein jüngeres Beispiel sind die Vorschläge zur Verbesserung der Rückführung ausreisepflichtiger Asylbewerber. Sie wurden von Faesers Haus markig intoniert. Auch Clan-Mitglieder sollten künftig leichter abgeschoben werden können, so hieß es aus dem Haus. Das Problem solcher „Knallhart“-Inszenierungen ist, dass sie inhaltlich nicht halten, was sie versprechen, und mindestens so viel Empörung wie Zustimmung hervorrufen.
Keine offene Flanken bieten
Nicht nur manche Kommentatoren, auch Faesers Koalitionspartner von FDP und Grünen verstanden es so, dass Angehörige von Familienclans ohne Weiteres des Landes verwiesen werden könnten. Nein, nein, so ließ Faeser ausrichten, das sei ein Missverständnis. Und überhaupt: Das Papier sei ja nur ein Diskussionsentwurf, die Idee stamme gar nicht aus dem Ministerium, sondern aus den Ländern. Das Ergebnis des Manövers war das Etikett „scheinhart“.
Der Kanzler hat Faeser beauftragt, der Union das Spiel nicht zu leicht zu machen. Sie soll auf dem Feld der Sicherheitspolitik keine offene Flanke bieten. Verbal prescht sie vor, manchmal stolpert sie dabei. So sprach die Juristin von „Straftätern“, obwohl sie Beschuldigte meinte. Aber in der Sache hat sie nicht viel erreicht – Durchbruch kann sie vor allem bei den sogenannten Fortschrittsprojekten vermelden wie der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und der Fachkräfteeinwanderung. Dagegen ist der Dauerkonflikt mit FDP-Justizminister Buschmann über die Vorratsdatenspeicherung ungelöst. Das Ergebnis von zwei Flüchtlingsgipfeln war die Einrichtung von Arbeitsgruppen und ansonsten reichlich Frust in Ländern und Kommunen, die an der Belastungsgrenze sind und auf finanzielle Unterstützung gehofft hatten.
Wo ist die Kamera?
Ein Erfolg ist Faeser nicht abzusprechen: Sie hat es in den gut anderthalb Jahren in der Bundesregierung geschafft, sich bundesweit bekannt zu machen. Dass Olaf Scholz Faeser von der Oppositionsbank in Wiesbaden in sein Kabinett holte, war eine Überraschung. Außerhalb Hessens wusste kaum jemand, wer sie ist. Das ist nun anders.
Faeser ist planvoll vorgegangen. Mit Journalisten spricht sie fast nur, wenn dabei eine Kamera läuft. Hintergrundgespräche, für die ihr Vorgänger Seehofer regelmäßig ganze Nachmittage freiräumte, hält sie offenbar für Zeitverschwendung. Stattdessen hisst sie die Regenbogenflagge vor dem Ministerium und lässt sich mit der One-Love-Binde im Fußballstadion von Qatar fotografieren. In den sozialen Netzwerken bekommt sie dafür Zehntausende Klicks und Likes.
Im Bundesinnenministerium ist die Stimmung dagegen mies. In der SPD kursiert eine schlichte Erklärung: Das Haus ticke schwarz, sei sechzehn Jahre von Unionspolitikern geführt worden und fremdele daher mit der Sozialdemokratin. Richtig ist, dass die innere Sicherheit für die Union ein Kernthema ist, für die Ampelparteien ist sie irgendwo zwischen notwendigem Übel und strategischem Nutzen angesiedelt. Das zeigt sich auch daran, dass in der SPD Innenpolitiker rar geworden sind. Grüne und FDP sind mittlerweile besser aufgestellt.
Doch mit der pauschalen Unterstellung parteipolitischer Prägung tut man den Beamten unrecht. Sie sind vor allem eins: loyale Fachleute. Die Selbstinszenierung der Chefin finden viele anstrengend, aber sie zuckten so lange die Achseln, wie es nicht auf ihre Kosten ging. Aber dann entschied Faeser, den Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) abzuberufen, getrieben durch einen reichweitenstarken Fernsehclown, der eine abgestandene Geschichte aufgewärmt hatte.
Von Beginn an begleitet Faeser das Gerücht, das Ministeramt sei nur ein Sprungbrett in die Staatskanzlei in Wiesbaden. Es gab nie ein Dementi, sodass jeder Termin in Hessen als Beleg für ihre landespolitische Ambition galt. Seit Februar ist es klar, dass sie Ministerpräsidentin werden will. Doch sie sicherte sich die Rückfahrt nach Berlin: Wenn es nicht klappt, bleibt sie Innenministerin. Und so hat die Wahlkämpferin Faeser dasselbe Problem wie die Ministerin: Man weiß nicht so richtig, was sie eigentlich will.
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