Die Karlsruher Richter erklärten im Herbst 2023 die Umschichtung von Corona-Mitteln in den sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF) für verfassungswidrig. Die Umwidmung der Mittel sollte im Sinne der FDP die Einhaltung der Schuldenbremse garantieren und SPD und Grünen zugleich die Umsetzung eigener politischer Projekte ermöglichen. Nach dem Urteil musste die Koalition mit wesentlich weniger finanziellen Mitteln arbeiten. Die Zielkonflikte, die die FDP von den beiden Partnern trennten, wurden stärker sichtbar.
Sie führten schließlich zu ständigem Streit, der in der vergangenen Woche zu eskalieren begann, als das Grundsatzpapier von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zur Wirtschaftswende bekannt wurde. Lindner wollte die wirtschaftliche Schieflage des Landes mit weniger Steuern und Regulierungen sowie einer Lockerung der Klimapolitik in den Griff bekommen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hingegen wollte mit Investitionszuschüssen die staatlichen Ausgaben erhöhen. Die SPD forderte zuletzt eine Reform der Schuldenbremse.
Ukrainekrieg belastet Ampelkoalition
Die wirschaftliche Lage im Land entwickelte sich anders, als der Kanzler sich das vorgestellt hatte. Im März 2023 sagte er: „Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können, wie zuletzt in den 1950er- und 1960er-Jahren“. Auch im Koalitionsvertrag spielt das Ziel Wirtschaftswachstum eine große Rolle. Stattdessen droht nun im zweiten Jahr in Folge eine Rezession – dies gab es zuletzt vor rund 20 Jahren. Auch ein drittes Schrumpfungsjahr gilt als möglich.
Die wirtschaftliche Schwäche ist indes nicht ausschließlich auf die Politik der Ampel zurückzuführen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat im Frühjahr 2022 aufgrund der lange vor Antritt der Koalition bestehenden Abhängigkeit von russischem Strom und Gas zu rasant steigenden Preisen geführt. Dass die Energie- und Gasversorgung im folgenden Winter überhaupt funktioniert hat, ist öffentlich als Erfolg des Wirtschaftsministeriums gewertet worden. Notwendig war dafür eine bei den Grünen höchst kritisch gesehene Verlängerung der deutschen Kernkraftwerke.
Es war auch das Wirtschaftsministerium, das ein Heizungsgesetz auf den Weg gebracht hat, das zu einem zähen öffentlichen Streit der drei Parteien führte und im Land für breiten Widerstand gesorgt hat. Der massenhafte forcierte Umstieg auf klimafreundliches Heizen wurde zwar letztlich mit einigen Entschärfungen beschlossen, hat das schlechte Image der Ampel als ideologisch getriebene Regierung allerdings manifestiert.
Bei dem Ausbau der Erneuerbaren Energien hat die Ampel die Geschwindigkeit teilweise, etwa bei der Solarenergie, erhöhen können. Die für 2030 ausgerufenen Ziele dürften insgesamt aber kaum mehr zu erreichen sein, an zu vielen Stellen hakt es – etwa beim Ausbau der Windenergie. Die Novellierung des Klimaschutzgesetzes im Sommer 2024 soll künftige Emissionen beschränken. Der Streit um die im Verkehrssektor verfehlten Klimaziele zeigte allerdings auch, wie schwierig das Durchsetzen von Klimazielen gegen entgegenstehende politische Interessen auch innerhalb der Ampel war.
Welche Versprechen hat die Ampel eingelöst?
Die Initiative „Frag den Staat“ hat die Versprechen der Koalition laufend mit den gefassten Beschlüssen abgeglichen. Der Stand Anfang November: Von 271 Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag sind demnach 65 umgesetzt worden, 30 teilweise, 92 zumindest begonnen und 84 nicht begonnen oder verschoben. Mit einer Umsetzungsquote von 41 Prozent schneidet das Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) vergleichsweise gut ab.
Mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro wurde ein zentrales Wahlversprechen der SPD früh eingelöst, Maßnahmen wie die Erhöhung des Ausbildungsfreibetrags auf 1200 Euro und die Erhöhung der Kinderkranktage reihen sich hier ein. Der versprochene und auch umgesetzte Umstieg von Hartz IV auf Bürgergeld erwies sich als wenig populär. Was ohne die Ampel-Mehrheit im Bundestag aus der teuren Rentenreform wird, die das Niveau der Rentenbezüge bis 2039 stabilisieren soll, ist nun unklar. Die Kindergrundsicherung ist als grünes Prestigeprojekt in der Familienpolitik, wenn auch in abgewandelter Form, noch beschlossen worden.
In der Migrationspolitik hat die Ampel auf dem Papier eine Modernisierung des Einwanderungsrechts erreicht, die Wirkung ist allerdings ungewiss: Um den Fachkräftemangel zu mildern, wären pro Jahr Hundertausende qualifizierte Einwanderer vonnöten. In Wirklichkeit fielen im Jahr 2023 rund 72.000 Einwanderer unter die Kategorie „Erwerbsmigration“, einige tausend mehr als vor der Pandemie. Inwieweit die Reform einen positiven Trend bewirkt, werden erst die Daten der kommenden Jahre zeigen können.
Biegsame Migrationspolitik
Von der Anwerbung von Fachkräften hat sich der Fokus der Migrationsdebatte –insbesondere nach dem tödlichen Messerangriff in Solingen im August 2024 – zunehmend auf das Thema irreguläre Migration verschoben. Hier erwies sich die Ampel sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene als relativ biegsam, sie gab den gesellschaftlichen Stimmungen kommunikativ und gesetzlich nach. Die Parteien selbst verschoben zunehmend den Fokus auf mehr und schnellere Abschiebungen und verließen teils die eher liberale Linie, die sie sich in dieser Hinsicht vor drei Jahren vorgenommen hatte, was vor allem bei den Grünen Kritik aus dem linken Parteiflügel und prominente Parteiaustritte zur Folge hatte.
Ähnliches gilt für das Sicherheitspaket, das mit weitreichenden Verschärfungen auf den Weg gebracht wurde – auch wenn man sich nicht auf jede Forderung der Union, mit der Scholz zwischenzeitlich eine Einigung anstrebte, einließ. Bei der Erweiterung von Ermittlungsbefugnissen für die Behörden trat die FDP tendenziell auf die Bremse, machte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) aber einige Zugeständnisse.
Auf das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen zur Stärkung der Bundeswehr nach Beginn des russischen Angriffskriegs einigte man sich schnell mit der Union. Auch, wenn das Investitionsvorhaben durch den Spardruck teils verwässert wurde und die Union lange Zeit die Forderung nach mehr Unterstützung für die Ukraine ins Zentrum ihrer Oppositionspolitik stellte, war Deutschland in der Zeit der Ampel stets ein wichtiger Partner für das überfallene Land in Osteuropa. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO wurde infolge der von Scholz aufgerufenen „Zeitenwende“ wieder erfüllt. Insgesamt waren die außenpolitischen Konfliktlinien überschaubar, die jüngsten Einwände der Grünen bei Waffenlieferungen an Israel waren auf Koalitionsebene kein weitreichendes Problem.
Überhaupt zeigte sich die Ampel oft harmonisch, wenn es nicht ums Geld ging. Die großen gesellschaftspolitischen Liberalisierungsprojekte, die man sich vorgenommen hatte, waren relativ schnell abgehakt: Auf die Abschaffung des Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch, der „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ unter Strafe stellte, folgten das Selbstbestimmungsgesetz, das transidenten Menschen deutlich mehr Rechte einräumte und die Teillegalisierung von Cannabis.
In Bezug auf die Infrastruktur blieb der selbst erhobene Fortschrittsanspruch der Ampel weitgehend auf der Strecke, was sich besonders plakativ am schlechten Zustand der Bahn ausdrückt. In der Digitalisierung ist man einige Schritte weitergekommen, etwa beim Breitbandausbau.
Andere Vorhaben wie die Öffnung des Zugangs zu Forschungsdaten sind nicht geglückt, die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingeführte digitale Patientenakte könnte zumindest für die medizinische Forschung Hoffnung machen. Regierungsinhalte allerdings waren seit dem Streit um das Heizungsgesetz öffentlich weniger präsent als die immer häufiger zur Schau gestellte Uneinigkeit, die ihren Höhepunkt in der schrittweisen Auflösung der Koalition im Herbst 2024 fand.
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