Kommentar: Die schmutzige Scheidung einer gescheiterten Koalition

Wenn Koalitionen zerbrechen und damit auch Karrieren, singen die Gescheiterten nie Loblieder übereinander. Die Höhe des Haufens schmutziger Wäsche, die der Wutkanzler Scholz am Mittwochabend vor aller Augen wusch, hat manchen dennoch überrascht. Die Abrechnung mit dem FDP-Vorsitzenden Lindner und dessen Replik dokumentierten freilich nur, was ohnehin längst bekannt war: die tiefe, vom Politischen bis ins Persönliche reichende Zerrüttung einer von zwei linken Parteien dominierten Koalition, in der die FDP von Anfang an fehl am Platze war.

Zu den Vorwürfen, die Scholz Lindner neben Vertrauensbruch, Kleinkariertheit, Anstandslosigkeit und Egoismus machte, gehörte auch noch das Schimpfwort „Ideologie“. Tatsächlich hatte die FDP beim Eintritt in die selbsternannte Fortschrittskoalition nicht ihre politischen Grundüberzeugungen an der Garderobe des Kanzleramtes abgegeben. Das taten aber auch SPD und Grüne nicht, wie der Streit der drei Parteien auf den meisten Politikfeldern zeigte. Einigkeit bei der Cannabis-Legalisierung reicht aber in Zeiten nicht, in denen vor der Haustür ein Eroberungs- und Vernichtungskrieg tobt und eine von der Politik immer stärker gefesselte deutsche Wirtschaft immer mehr an Leistungs- und Lebenskraft verliert.

Die Koalition hielt so lange zusammen, wie jede der drei Parteien die jeweiligen Herzensanliegen verfolgen konnte: die SPD beim Sozialen, die Grünen beim Klimaschutz und die FDP bei der Bewahrung der Freiheit der Bürger, auch vor einem umfassenden Fürsorge-, Regulierungs- und Bevormundungsstaat, wie ihn die Koalitionspartner wollen.

Die Gräben zwischen ihnen haben die Ampelparteien lange mit Geld zugeschüttet, auch mit Geld, dass sie nicht in der Staatskasse hatten. Der Koalitionsbefriedung auf Pump hat das Bundesverfassungsgericht einen Riegel vorgeschoben. Danach brachte die Ampel zum Schaden des Landes nicht mehr viel zustande. Es wuchs nie zusammen, was nie zusammengehörte. Die Quittung für das Scheitern dieser Mesalliance bekamen die Koalition und ihre Parteien mit miserablen Wahl- und Umfrageergebnissen, am deutlichsten die FDP.

Union hat keinen Grund, der bankrotten Restampel zu helfen

Dass diese, in ihrer Existenz bedroht, die Flucht nach vorne antreten würde, war abzusehen. Das Wirtschaftswende-Papier war insofern tatsächlich ein Scheidungsantrag, mit dem Lindner auch schon den Wahlkampf eröffnete. Ob der FDP die Rückkehr zur Devise, lieber nicht zu regieren, als schlecht zu regieren, mehr nützt als schadet, wird man sehen. Dass Wissing den Rückzug aus der Regierung nicht mitmachen will und aus der Partei austritt, spielt beim Blamegame eher dem Kanzler in die Karten als Lindner. Scholz will es in jedem Fall noch einmal wissen. Er krönte sich mit der Entlassung des Finanzministers selbst zum Kanzlerkandidaten seiner Partei, bevor jemand in den eigenen Reihen auf den Gedanken kommt, die lange vermisste Führung bei einem anderen zu bestellen.

Bis zur Neuwahl hat Scholz keine Mehrheit mehr im Bundestag. Dass er durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgewählt wird, muss er jedoch nicht befürchten. Die Stimmen der Unionsparteien und der FDP reichen nicht, um den Oppositionsführer Merz zum Kanzler zu wählen. CDU und CSU haben aber auch keinen Grund, der bankrotten Restampel aus der Insolvenz herauszuhelfen, die Scholz in Form der Vertrauensfrage erst im Januar erklären will, obwohl seine Regierung schon jetzt zahlungsunfähig ist. Über Monate hinweg eine „lame duck“ im Kanzleramt sitzen zu haben kann sich Deutschland in diesen Zeiten nicht leisten. Scholz, der Lindner auch den Vorwurf des parteitaktischen Agierens machte, sollte nicht selbst auf Zeit spielen, um die Ausgangslage seiner Partei in der vorgezogenen Wahl noch zu verbessern.

Trotz aller Meinungsunterschiede können SPD und Union in den nächsten Wochen aber nicht übereinander herfallen wie Scholz und Lindner noch in der Scheidungsnacht. Punktuelle Zusammenarbeit wird nötig sein, Berlin darf auch in diesem Interregnum nicht völlig handlungsunfähig werden. Von hemmungslosen Streitereien der „Altparteien“ würden vor allem die lachenden Dritten profitieren: AfD und BSW.

Zudem wissen SPD und die Union, dass sie bei der Bildung der nächsten Koalition und Regierung aufeinander angewiesen sein könnten und dann all die Probleme wieder auf den Tisch hätten, an deren Bewältigung die Ampel gescheitert ist. CSU-Chef Söder schließt ein Bündnis mit den Grünen kategorisch aus. Die FDP wäre, wie Lindner gleich noch am Mittwochabend sagte, bereit zum Eintritt auch in die nächste Regierung. Auf die Bereitschaft der SPD, noch einmal mit den Freien Demokraten in einer Koalition zusammenzuarbeiten, kann Lindner nach dieser schmutzigen Scheidung, die Scholz und der SPD die Kanzlerschaft kosten dürfte, aber nicht wirklich hoffen.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*