Klimakonferenz: Haben Kohle, Gas und Öl ausgedient?

interview

Stand: 20.11.2024 18:47 Uhr

Fossile Energien haben viel ermöglicht – etwa Wohlstand und Emanzipation, sagt Ökologin Flurina Schneider. Auf der Klimakonfernz in Baku geht es jetzt um den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Wie sinnvoll ist das?

tagesschau.de: Wir müssen aufhören, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen, wenn die Temperaturen und die Lebensbedingungen auf der Erde erträglich bleiben sollen. Dieser Befund ist klar. Die allermeisten Länder tun sich trotzdem so schwer, wie man gerade wieder auf der UN-Klimakonferenz in Baku sehen kann. Woran liegt das?

Flurina Schneider: Ein wichtiger Grund ist, dass die fossilen Energien uns als Gesellschaft sehr viel ermöglicht haben. Sie haben dazu beigetragen, einer sehr breiten Bevölkerungsschicht Wohlstand zu bringen. Ich denke immer an die Zeit meiner Großeltern, wo das Ganze ja begonnen hat, also die Nutzung der fossilen Energien. Sie lebten Anfang des 20. Jahrhunderts in einer armen Gegend in der Schweiz. Wie anders da die Welt war: Man hatte noch keine Traktoren in der Landwirtschaft, die mit Diesel angetrieben waren. Die reicheren Bauern hatten Pferde, die ärmeren hatten nur ihre reine Menschenkraft, um das Feld zu bestellen und Nahrung herauszuholen.

Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat da sehr viel Positives bewirkt: Sie hat Ernährungssicherheit gebracht. Es kam zu Wirtschaftswachstum, breite Schichten der Bevölkerung haben davon profitiert und konnten sich über die Jahre diesen heutigen Wohlstand aufbauen. Ich denke, es ist wichtig, dass man sieht, wie vielen Menschen das etwas gebracht hat.

Flurina Schneider

Zur Person

Flurina Schneider ist wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für Sozial-Ökologische Forschung (ISOE) und Professorin für Soziale Ökologie und Transdisziplinarität an der Goethe-Universität Frankfurt. Unter anderem forscht sie zu sogenannten Nachhaltigkeitstransformationen. Dabei geht es darum, gesellschaftliche Strukturen und Dynamiken mit Bezug zur Nachhaltigkeit besser zu verstehen.

Emanzipation durch Industrialisierung

tagesschau.de: Wir heute Lebenden kennen das ja nicht mehr aus eigener Anschauung. In unserer Welt gab es immer Traktoren, Maschinen, Strom aus der Steckdose.

Schneider: Und trotzdem, wenn wir uns die Debatte über Klimaschutz heute anschauen, dann ist da dieses starke Gefühl, dass das immer mit Verzicht zu tun hat, dass man diese doch so wohlverdienten Errungenschaften irgendwie zu verlieren droht. Und das gilt auch für Bereiche, an die man zuerst vielleicht gar nicht denkt: Die Emanzipation der Frauen etwa. Auch da denke ich wieder zurück an meine Großmutter. Da gab es noch keine Waschmaschinen, sie hat einen Tag lang Wäsche gewaschen. Heute geht es mit Waschmaschinen ganz schnell. Und das hat Frauen im 20. Jahrhundert erst die Möglichkeit gegeben, sich anders zu betätigen, ihr eigenes Geld zu verdienen, politische Forderungen zu stellen.

Das hat die Gesellschaft enorm verändert. Auf einmal waren da neue Freiräume – und Freizeit. Freizeit ist es eher ein jüngeres Konzept. Früher war es nicht so, dass man Hobbys hatte oder dass man gar wie heute darüber nachgedacht hätte, die Arbeitszeit zu reduzieren, um mehr Zeit zu haben zum Reisen, zum Genießen, zum Sport machen.

tagesschau.de: Ist es wichtig, diese wichtige Rolle der fossilen Brennstoffe in der Debatte über Klimaschutz und den nötigen Umbau mehr zu würdigen?

Schneider: Ich denke nicht, dass es mehr Wertschätzung für die fossilen Brennstoffe braucht. Aber mehr Wertschätzung für die Menschen, die durch die fossilen Brennstoffe Wohlstand erlangt haben oder ihre Arbeitskraft in die Förderung der Fossilen gesteckt haben. Und gleichzeitig die ganz klare Erkenntnis, dass die gerade genannten Werte – Wohlstand, Sicherheit, Freiheit – durch den fortschreitenden Klimawandel gerade selber gefährdet sind. Anders gesagt: Die Welt verändert sich, ob mit oder ohne Klimaschutz. Es geht darum zu überlegen, wie wir die Dinge, die uns wirklich wichtig sind, auch für die Zukunft erhalten und gestalten können.

tagesschau.de: Was braucht es konkret?

Schneider: Wir brauchen jetzt eine schnelle Dekarbonisierung, also das Ende der Nutzung von Kohle, Öl und Gas. Und es gibt verschiedene Antworten auf die Frage, wie man da hinkommt. Ein wesentlicher Teil ist der Ersatz von Energien, also dass man von fossilen Energien auf erneuerbare Energien umsteigt – auf Solar, Wind, Wasserkraft oder andere Optionen.

Aber es ist auch wichtig immer wieder darüber nachzudenken: Können wir eigentlich Energien an sich effizienter nutzen? Brauchen wir wirklich alles, was wir heute haben? Ist das, was wir heute Wohlstand nennen, die Freiheit per se? Wir sehen ja auch in der Gesellschaft nicht nur positive Tendenzen, Stichwort Burnout-Raten, Stichwort Vereinsamung, Stichwort Polarisierung.

„Manchmal ist es schlicht Routine“

tagesschau.de: Würden Sie sagen, wir sind als Gesellschaft süchtig, ja abhängig von fossilen Energien?

Schneider: Ja, ich glaube, das kann man schon so sagen. Denn Abhängigkeit bedeutet ja, man kann nicht einfach weg. Obwohl man vielleicht eigentlich möchte. Das Wissen, dass Klimaschutz notwendig ist, ist ja schon sehr verbreitet, aber irgendwie schafft man es nicht ganz. Da ist wirklich eine große Abhängigkeit, auch im wörtlichen Sinne.

Wir sprechen in der Transformationsforschung oft von Pfadabhängigkeiten, wenn man als Einzelner und als Gesellschaft in einer gewissen Art und Weise organisiert ist. Und natürlich spielen Gewohnheiten eine große Rolle. Wie beim Rauchen: Da ist dieser Moment vom Draußensein, eine kurze Pause zu haben, durchzuatmen, mit anderen zu sprechen, das ist, glaube ich, schon vergleichbar. Die Nutzung von fossiler Energie hat auch viel mit Annehmlichkeiten zu tun, die man genießt, oder die schlicht praktisch sind. Manchmal ist es schlicht Routine. Also gar nicht, dass man das andere per se schlechter fände, sondern man ist einfach gewohnt, Dinge auf eine bestimmte Art zu tun.

tagesschau.de: Eine echte körperliche Abhängigkeit gibt es bei der fossilen Energie trotzdem nicht. Was macht es so schwer, unsere „fossilen Gewohnheiten“ zu ändern?

Schneider: Über Jahrhunderte war „mehr“ von etwas zu haben grundsätzlich etwas Positives. Weil die Menschen grundsätzlich so wenig hatten. Und dieses Moment, das „mehr“ von etwas zu haben positiv ist, das ist glaube ich einfach ganz, ganz tief in uns eingebaut, weil das ganz grundlegende Bedürfnisse erfüllt.

Aber wir funktionieren einfach so, dass wir jedes Moment von „weniger“ als große Gefahr interpretieren. Es gibt viele Studien, die zeigen, dass Menschen viel mehr Angst haben vor kleinen Verlusten, als dass sie sich antreiben lassen von großen Gewinnen. Das Gefühl, dass es abwärts geht, das ist für uns als Menschen ganz schwierig.

tagesschau.de: Wie gehen Sie als Wissenschaftlerin mit dieser Herausforderung um?

Schneider: Das eine ist eben herauszufinden: Wie kann man solche Routinen unterbrechen. Also Dinge, die die Menschen immer schon gemacht haben. Wie kann man hier zu einer Veränderung kommen und wie kann man dadurch neue Werte erzeugen? Also dass die Menschen merken: Anders ist ja auch gut, anders geht es auch.

tagesschau.de: Genau darum geht es in Ihrem Forschungsfeld, der Transformationsforschung. Sie forschen zu Übergängen und Veränderungen. Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Schneider: Wir haben hier am Institut kürzlich ein Experiment gemacht, bei dem wir es Menschen ermöglicht haben, andere Verkehrsmittel zu wählen, als sie normalerweise nutzen. Wir haben ihnen ein halbes Jahr lang ein ÖPNV-Ticket finanziert oder ein E-Auto oder ein E-Bike. Einzige Voraussetzung war, dass sie das dann auch wirklich nutzen und dass die gewählte Alternative CO2-ärmer war als das sonst genutzte Verkehrsmittel.

Als das halbe Jahr vorbei war, haben wir die Menschen befragt und dann nochmal mit zeitlichem Abstand. Und erstaunlich viele sind bei dem neuen Verkehrsmittel geblieben, auch als sie es nicht mehr finanziert bekommen haben. 80 Prozent haben gesagt, sie behalten es komplett oder zumindest den einen oder anderen Teil bei – dass sie nicht jeden Tag mit dem E-Bike zur Arbeit fahren, aber trotzdem mehrere Tage die Woche. Gerade bei den E-Bikes war die Rate derjenigen hoch, die dabei geblieben sind. Viele haben angegeben, dass sie durch das Experiment erst gemerkt haben, dass ihnen das Spaß macht.

„Klima ist zum totalen Trigger-Thema geworden“

tagesschau.de: Welches Thema treibt sie in Bezug aufs Klima noch um?

Schneider: Was uns in der Transformationsforschung auch stark beschäftigt: Klima ist über die vergangenen paar Jahre zum totalen Trigger-Thema geworden. Und zwar alles, was damit zusammenhängt, und sei es etwas zunächst mal so technisches wie die Wärmepumpe. Weil das politisch so aufgeladen wurde. Und ein ganz wesentlicher Faktor ist, glaube ich, dass man Dialog zwischen den ganz unterschiedlichen Menschen hier wieder mehr hinbekommt.

tagesschau.de: Und wie kommen wir da wieder hin?

Schneider: Indem wir uns die Werte anschauen, die dahinter stehen: Wohlstand, Freiheit, Emanzipation. Die fossilen Energien haben in der Vergangenheit geholfen, diese Werte zu leben. Und jetzt müssen wir sie neu definieren. Denn Ökologie als Wert war im 19. und 20. Jahrhundert noch kein großes Thema. Heute aber sind unsere Lebensgrundlagen und damit alle anderen Werte bedroht, wenn wir Fragen von Ökologie und Klima ausblenden.

Wir müssen auch die ganz simple Frage stellen: Was brauchen wir um glücklich zu sein – jede und jeder einzelne und als Gesellschaft. Auch ganz konkret: Wie viel Fläche in unseren Häusern? Welche Mobilität? Wie viel tierische Nahrung, wie viel pflanzlich? All diese Fragen kann man glaube ich schon debattieren.

„Schritt für Schritt, ganz ohne Polemik und Riesen-Debatte“

tagesschau.de: Aber schon allein wer diese Fragen stellt, gerät aktuell in den Verdacht, den anderen etwas wegnehmen zu wollen. Wie kommen wir aus diesem Dilemma raus?

Flurina Schneider: Die Standardantwort, die ich darauf in Diskussionen oft höre, ist: Man müsse die positiven Effekte ins Zentrum stellen, die Chancen. Aber irgendwie scheint das nicht recht zu gelingen. Ich glaube, das Wichtigste ist, es den Menschen leicht zu machen. Dass es in Restaurants gute, fleischlose Alternativen gibt. Oder eine gut funktionierende Bahn.

Manchmal kann es auch helfen, dass es um das Thema einfach mal ein bisschen stiller wird, dass Veränderungen einfach passieren. Denn sie passieren ja. Wir hatten es vorhin von den Wärmepumpen: Es ist ja nicht so, dass jetzt gar keine Wärmepumpen mehr installiert werden – die werden ja installiert. Die Menschen sehen, wie die Nachbarn welche installieren und wie das dann eigentlich ganz gut funktioniert. Schritt für Schritt, ganz ohne Polemik und Riesen-Debatte. Ich glaube, das hilft manchmal fast mehr.

Das Gespräch führte Judith Kösters, HR

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