„Erst dachte ich, das ist ein Witz“, sagt Shazia Rafi, die mit der Kampagne „She4SG“ für die Wahl einer Frau zur UN-Generalsekretärin kämpfte, der Deutschen Presse-Agentur. Nicht nur, dass es mit dem Portugiesen António Guterres stattdessen ein Mann wurde – nun müsse auch noch eine übernatürliche Comic-Heldin als Frauenvorbild in der Weltdiplomatie dienen. „Wir haben den Punkt überschritten, an dem wir eine vollbusige, muskulöse Version von Barbie in kurz geschnittenen Hosen brauchen, um Gleichheit zu repräsentieren“, sagt Rafi.
Es ist nicht das erste Mal, dass bei den UN fiktive Charaktere den Kampf für bestimmte Anliegen anführen. Der scheidende Generalsekretär Ban Ki Moon hatte die einem Computerspiel entsprungenen Angry Birds etwa an den East River geladen, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Die Idee: Die grimmig dreinblickenden Vögel sind wütend und sollen mit umweltschützenden Maßnahmen glücklich gemacht werden. Zuvor mussten die Peter-Pan-Fee Glöckchen (Umweltschutz) und der Disney-Bär Winnie Puuh (Freundschaft) für UN-Kampagnen herhalten.
Ban zwischen den gefiederten, lebensgroßen Angry-Bird-Masskottchen sah seltsam aus, doch bei Wonder Woman ist echte Empörung zu spüren. „Ist das wirklich die Botschaft, die wir unseren Töchtern über die Stärkung der Frauen in einer Ära senden wollen, in dem es eine Reihe voll bekleideter, vor allem mächtiger weiblicher Rollenbilder gibt?“, fragt die „New York Times“. Es sei alarmierend, dass eine offen sexualisierte Figur für so einen Zweck eingesetzt werde, während Frauen im US-Wahlkampf zu Objekten herabgestuft würden, heißt es in einer Online-Petition, um die Personalie noch zu stoppen.
Feministische Ikone
Als Wonder Woman 1941 in einem Comic-Heft auftauchte, war die Figur als starke, selbstständige Kämpferin für Recht und Gleichheit eine kleine Sensation. Als feministische Ikone zwang die Amazone Menschen mit ihrem magischen Lasso, die Wahrheit zu sagen. Dem alten Griechenland war sie entflohen, um der Versklavung in einer von Männern beherrschten Welt zu entkommen. William Moulton Marston, der sie erschuf, ließ sich von den Suffragetten inspirieren, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in England für das Wahlrecht für Frauen stritten und mit teils militanten Mitteln kämpften.
Doch schon damals sorgte Wonder Woman, die erotischer Pin-up-Kunst nachempfunden war und deren Lasso an Bondage-Sexpraktiken erinnerte, für Diskussionen. Im UN-Hauptquartier scheint das wenig zu kümmern: Wonder Woman sei eine weltberühmte Ikone, die für „Stärke, Fairness, ihr Mitgefühl sowie ihr Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Gleichheit“ bekannt sei, teilt Maher Nasser vom UN-Büro für Öffentlichkeitsarbeit dem Radiosender NPR mit. Die Hoffnung ist wohl auch, ein jüngeres Publikum zu erreichen, das sich sonst nicht für politische Anliegen interessiert.
Passend oder nicht – das Timing nur eine Woche nach der Wahl des neuen Generalsekretärs könnte schlechter kaum sein. „Die UN haben keine weibliche Generalsekretärin gewählt. Stattdessen haben sie Wonder Women zur Botschafterin ernannt. Sprachlos“, twitterte Marie O’Reilly vom Institut für Friedens- und Konfliktforschung Inclusive Security in Washington, das auf die Stärkung von Frauen ausgerichtet ist. Das Spitzenamt könnten Frauen bei den UN wohl nicht haben, meint Shazia Rafi – „aber einen Cartoon“.
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