Diese Miliz kennt keine Gnade. Experten sagen, nur sie kann den IS besiegen. Doch der Miliz werden Gräuel nachgesagt. Hier waren noch nie Journalisten – bis jetzt. Einblick in eine grausame Welt.
Schwarze Rauchwolken verdunkeln die rote Morgensonne. Schwefeldampf ätzt in Nase und Hals. Überall liegen Trümmer zerbombter Häuser, abgebrannter Geschäfte. Die Stadt Kaiara fühlt sich an wie das Ende der Welt. Diese Verwandlung ist das letzte Werk der Terrormiliz „Islamischer Staat“ hier, kurz vor Mossul.
Bevor die IS-Kämpfer sich zurückzogen vor ihren heranrückenden Feinden, zündeten sie die Ölquellen an, legten Feuer in den Schwefelminen. Vergangene Woche legte sie einen Brand in einer Schwefelfabrik, eine Schwefelgaswolke löste bei mehr als 1000 Menschen Atemprobleme aus. Auf den Gesichtern der Kinder liegt klebriger Ölruß. Die Felle der Schafe, die im Schutt grasen, sind pechschwarz eingefärbt.
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„Wenn die Terroristen aus einem Ort abziehen, verstecken sie vorher Bomben in Kühlschränken oder unter Leichen oder auch im Brot und in der Milch“, erzählt ein Kämpfer, nicht älter als 25, auf einer Basis in der Wüste nahe Karaia. Wo genau seine Einheit liegt, muss geheim bleiben. Hier waren noch nie Journalisten. Denn wer beim Sturm auf die IS-Hauptstadt Mossul wo kämpft, ist eine höchst explosive Frage unter den Mitgliedern der zerstrittenen Allianz, die gegen die Extremisten vorrückt.
Und die Miliz, zu der dieser junge Mann gehört, ist der erfahrenste, der mächtigste, aber auch der umstrittenste Gegner des IS im Irak – die schiitische Haschd al-Schaabi. Bei der Befreiung von Mossul können vielleicht nur sie dem IS den Todesstoß versetzen. Aber sie können den Sieg auch in eine Katastrophe treiben.
Bürger aus Mossul auf der Flucht. (Foto: Sebastian Backhaus)
Die Rolle der Haschd al-Schaabi
Wenn die Millionenstadt Mossul fällt, ist der IS als Pseudo-Staat erledigt. Aber der Konflikt, aus dem er hervorging, wird weiter gefährlich sein. Nicht der zwischen Islam und Westen, sondern jene Feindschaft zwischen den großen Konfessionen unter den Muslimen, zwischen Sunniten und Schiiten. Sie hat sich in den Jahren der westlichen Interventionen nach 2001 extrem verschärft und sie führte zur Entstehung des IS.
Denn als irakischer Ableger von al-Qaida wurde die sunnitische Truppe ursprünglich groß, weil sie sich als extrem rücksichtslose Killermaschine gegen Schiiten bewies. Sie stellen nur in zwei Ländern die Mehrheit der Muslime – im Iran und im Irak. Und nach dem Sturz des sunnitischen Saddam-Regimes durch die US-Invasion 2003 übernahmen Schiiten die wichtigsten Machtpositionen im Irak. Zahllose Sunniten begannen einen Untergrundkampf, dessen extrem brutalisierte Form jetzt mit dem IS seinem Ende entgegen geht.
Und kaum eine Streitmacht hat so viel zu seinem Untergang beigetragen wie die vom Iran ausgerüstete und trainierte Haschd al-Schaabi. Sie waren die Speerspitze bei der Befreiung zahlloser Orte vom IS. Doch dabei wurden ihnen immer wieder Folter, Mord und Vertreibung unschuldiger sunnitischer Bürger vorgeworfen. Ohne die Haschd al-Schaabi ist der Krieg vielleicht nicht zu gewinnen. Aber wo sie siegen, kann neuer Hass entstehen.
Die Stadt Kaiara, kurz vor Mossul. (Foto: Sebastian Backhaus)
Eine ewige Wunde
Um acht Uhr morgens stehen die Männer zum Appell in Reih und Glied in der Wüste. Rund 600 sind in voller Kampfmontur mit Gewehren und Raketenwerfern am Fuße eines Hügels auf steinigem Wüstenboden angetreten. Die Männer wirken weitaus disziplinierter als viele andere irakische Kampfgruppen, nicht wie unberechenbare Killer. Die meisten von ihnen sind junge Kerle aus der Region südlich von Mossul, deren Familien vom IS verschleppt oder ermordet wurden.
Der Begriff Haschd al-Schaabi bedeutet „Volksmobilisierungs-Einheiten“. Popular Mobilisation Units werden sie auf Englisch genannt, PMU. Beim Appell stehen neben den normalen Kämpfern die Spezialkommandos, die als erste in vom IS besetzte Orte vorstoßen. Daneben dann das fünfköpfige Minenräumungsteam, mit Zangen in den Taschen, Stirnband um den Kopf. Weiter hinten ist die Artillerie des Bataillons aufgebaut, zehn Fahrzeuge mit Flugabwehrgeschützen und einem Raketenwerfer. „107mm“, erklärt ein Soldat stolz, „die habe ich selbst gebaut“, fügt er strahlend hinzu und zeigt die elektronische Schaltung, mit der er jede der vier Batterien einzeln abschießen kann.
Miliz-Kämpfer Nashuuan Tarek ist erst 19 Jahre alt. (Foto: Sebastian Backhaus)
Über der Basis flattern, laut peitschend im Wind, Flaggen mit dem Bildnis des Imam Ali. Der Cousin, Schwiegersohn und Nachfolger des Propheten Mohammed an der Spitze der Muslime wurde vor mehr als 1300 Jahren ermordet. Sein Enkel Hussein versuchte die Anführerschaft für die Familie des Propheten zurückzuerobern und fiel mit seinem Heer in der Schlacht von Kerbela, hier im heutigen Irak. Schia heißt Partei und gibt den Schiiten, der Partei Alis, ihren Namen. Für sie ist die Niederlage, das Martyrium, das sich in dieser Wüste ereignet hat, eine ewige Wunde, eine Herausforderung, die eigene Sache doch noch zum Sieg zu führen.
Die Aufgabe der PMU in Mossul
Während der Jeep durch den Sandstaub rast, dreht der Fahrer die Pop-Hymne über den Märtyrer Hussein auf volle Lautstärke und singt jedes Wort mit. Durch ekelhafte, weiße Schwefelschwaden geht es weiter zum nächsten Lager der Haschd al-Schaabi. Dort sitzt einer der obersten Anführer der Haschd al-Schaabi im Salon eines ehemaligen Wohnhauses irgendwo in der Einöde und trikt Tee.
Abu Farkhat al-Sadawi, einer der obersten Anführer der Haschd al-Schaabi. (Foto: Sebastian Backhaus)
„Wir sind Iraks Premierminister Haider al-Abadi unterstellt und gehorchen seinen Befehlen“, erklärt Abu Farkhat al-Sadawi. Die PMU hätten bisher nur eine defensive Rolle im Süden von Mossul. Aber das könne sich bald ändern, fügt der ältere Herr mit der Brille freundlich zu. „Denn wir haben noch eine andere Mission, für die wir nur auf den Befehl des Premierministers warten.“ Das werde eine Überraschung, fügt er schmunzelnd hinzu.
Eigentlich kann es für die Haschd al-Schaabi bei der Offensive nur eine Aufgabe geben – im Südwesten der IS-Metropole. Bisher wurde nicht bekannt gegeben, wer Mossul von dort aus angreifen soll. Die irakische Armee hat im Norden, Osten und Süden alle Hände voll zu tun. Da bleibt nur die PMU, die als schlagkräftige Truppe diese offene Flanke schließen könnte. Doch damit stünde sie vor den Toren Mossuls. Und von dort wollen sunnitische Iraker, die Amerikaner und Europäer die PMU mit aller Macht fernhalten.
Niemand beherrscht Häuserkämpfe so gut
Niemand weiß genau, wie es der Bevölkerung im Innern der belagerten IS-Metropole geht. CNN berichtete am Samstag, die Extremisten hätten fast 300 Männer und Jungen dort exekutiert. Doch wenn die Haschd al-Schabi in die Stadt kommen, so fürchtet man in Bagdad, Washington und Brüssel, könnten Hunderttausende sunnitische Bürger in Panik fliehen – in die Wüste oder Richtung Europa.
Aber niemand beherrscht Häuserkämpfe so gut wie die Haschd al-Schaabi. In Ramadi, in Falludscha, in zahllosen anderen Städten kämpfte die irakische Armee wochenlang vergeblich gegen die IS-Besatzer. Dann rief sie die PMU zur Hilfe. Schnell war die Sache gelaufen.
„Falls man unsere Hilfe braucht, werden wir sie natürlich nicht verweigern“, versichert al-Sadawi und rührt entspannt in seinem Teeglas. Natürlich könne Mossul nur mit seinen Jungs erobert werden. „Da bin ich mir 100 Prozent sicher.“
Und was ist mit den Ängsten der Sunniten? Sadawi beschwichtigt. „Sehen Sie, wir haben uns mit den Journalisten und Vertretern der Menschenrechtsorganisationen getroffen, die dieses negative Bild von uns verbreitet haben. Wir haben ihnen erklärt, sie können jederzeit unsere Truppen besuchen. Wir haben nichts zu verbergen.“ Alle Berichte über Gräuel der Haschd al-Schaabi seien erlogen.
Mitglieder von Haschd al-Schaabi auf dem Weg nach Mossul. (Foto: Sebastian Backhaus)
„Ja, das ist alles Propaganda gegen unsere Organisation“, beteuert al-Sadawi. „Warum sollten wir etwas gegen Sunniten haben. Wir haben doch selbst tausende von Sunniten in unserer Armee, und Christen und Angehörige der anderen Glaubensrichtungen des Irak“, sagt al-Sadawi, trinkt sein Teeglas aus und lächelt. Das Gespräch ist beendet.
„Er wurde nur 22 Jahre alt“
An der Straße nach Mossul tauchen mitten in der Wüste Menschen auf. Kinder, Eltern, Alte. Über und über mit Staub bedeckt. Sie seien schon seit Tagen zu Fuß auf der Flucht vor dem IS, kämen aus den Orten rund um Mossul, wo der IS noch die Macht hat, sagen sie. „Sie haben uns der irakischen Armee entgegengeschickt, damit wir auf Minen treten oder erschossen werden“, sagt eine ältere Frau. Ihr Gesicht ist rot und völlig verschwitzt.
Sie zieht alte Fotos ihres Sohnes aus einer schwarzen Plastikhandtasche. „Er wurde nur 22 Jahre alt“, sagt sie weinend. „Der IS hat ihn erschossen, weil er bei der Armee war.“ Dann stapft sie weiter. Ein junger Mann hinter ihr bricht in Tränen aus und verflucht den IS, bevor auch er abrupt aufhört und weiter marschiert. „Die haben doch alle den IS unterstützt“, sagt ein junger PMU-Kämpfer im Jeep. „Jetzt plagt sie ihr schlechtes Gewissen.“
Kaum eine Streitmacht hat zum Kampf gegen den IS so viel beigetragen wie die vom Iran ausgerüstete und trainierte Haschd al-Schaabi. (Foto: Sebastian Backhaus)
Es gibt sie wirklich, die sunnitischen Kämpfer der Haschd al-Schaabi. Zum Beispiel Faisal, der hier auf der Basis vom Schicksal seiner Familie unter der Herrschaft des IS erzählt. „Zwei Jahre habe ich sie nicht mehr gesehen.“ Um sie zu befreien, sei er den PMU beigetreten. „Vor 15 Tagen hat sie der IS beim Rückzug als Geiseln mitgenommen.“ Tränen steigen Faisal in die Augen. „Ich weiß nicht, wo sie sind.“
Wenige Minuten später läutet sein Telefon. Ein Freund berichtet, dass seine Familie gesehen wurde, in einem Dorf ganz in der Nähe. „Sie leben“, ruft Faisal lacht. Für die meisten der PMU-Kämpfer hier spielt die große Politik kaum eine Rolle. Sie wollen einfach ihre Familien zurück. Aber trotzdem: Bei der Eroberung Mossuls wollen sie alle dabei sein. „Wir kommen!“, ruft Faisal.
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