Diese Steuer trifft den kleinen Sparer – statt die Spekulanten

Die von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) geplante Finanztransaktionssteuer zieht massiv Kritik auf sich. Ende vergangener Woche hat sich Deutschland mit neun anderen Euro-Staaten darauf verständigt, den Kauf und Verkauf von Aktien generell zu besteuern. Die neue Abgabe soll schon 2021, also noch vor der nächsten regulären Bundestagswahl, eingeführt werden. Nach Einschätzung von Experten wird die Aktiensteuer den privaten Vermögensaufbau weiter erschweren. Den ursprünglichen Zweck, die Stabilität der Finanzmärkte zu verbessern, sieht praktisch niemand erfüllt.

Außerhalb des Scholz-Ministeriums hat die neue Abgabe wenig Freunde und in der jetzigen Form praktisch kaum Fürsprecher. Die Pläne werden nicht nur von der Opposition kritisiert, sondern auch von Ökonomen, Anlegerschützern und Finanzexperten. Die Kritiker führen an, dass die neue Finanzsteuer ein Konstrukt ist, das wenig mit den ursprünglichen politischen Zielsetzungen zu tun hat, sondern hauptsächlich eine zusätzliche Einnahmequelle für den Staat darstellt.

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Standort Deutschland

„Die Finanztransaktionssteuer wird bei der geplanten Ausgestaltung keinen spürbaren Effekt auf die Finanzmarktstabilität haben“, sagt Isabel Schnabel, Finanzwissenschaftlerin an der Uni Bonn und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Stattdessen schaffe sie neue Verzerrungen, indem sie die Fragmentierung im europäischen Kapitalmarkt erhöht und die Aktienanlage verteuert: „Das ist gerade in einem Land wie Deutschland problematisch, das keine ausgeprägte Aktienkultur hat und dessen Sparer daher besonders unter den Niedrigzinsen leiden.“

Nach der schweren Bankenkrise des Jahres 2008/09 hatten EU-Politiker die Absicht bekundet, künftig Finanzspekulationen einzudämmen und den Finanzsektor an den Kosten von Rettungsmaßnahmen zu beteiligen. Bewirken sollte dies eine Steuer, die Einnahmen aus Finanztransaktionen generiert, die Transaktionen selbst damit teurer macht und schnelles Hin und Her für Spekulanten folglich weniger attraktiv. Nach Meinung der Ökonomen erreicht die jetzt beschlossene Finanztransaktionssteuer jedoch nichts von alledem. Das liegt vor allem an einem Fakt: Die Scholz-Steuer verteuert den Handel mit der Anlageform, die in den letzten Jahrzehnten am wenigsten zum Ausbruch von Finanzkrisen beitragen hat.

Quelle: Infografik WELT

„Die Steuer ist ordnungs- und finanzpolitisch absurd“, findet Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), die sich für die Interessen der Aktionäre einsetzt. Das Finanzministerium führe Argumente der Ordnungspolitik an und sage, es wolle damit die Spekulation eindämmen. Doch das sei falsch: „Aber warum wird dann exakt die Anlageform besteuert, die nun wirklich keine Spekulation darstellt?“, fragt Tüngler. Aktien sind rechtlich gesehen Eigenkapital. Sie verbriefen Anteile an Unternehmen, die Börse bietet größeren Firmen so die Möglichkeit von Kapitalbeschaffung, für die sie sonst Banken anzapfen müssten.

Die US-Immobilienkrise wurde nicht durch Aktienspekulationen verursacht, sondern durch die Fehlallokation diverser Finanzinstrumente, in denen unter anderem Hypothekenpapiere gebündelt waren. In den Euro-Turbulenzen von 2011 und 2012 spielten neben Staatsanleihen ebenfalls Derivate eine maßgebliche Rolle. „Derivate, Optionen, Finanzinstrumente – das wäre, wenn überhaupt, sinnvoll gewesen. Aber Eigenkapital extra zu besteuern zeigt das gesamte Unvermögen“, klagt Tüngler. Das langfristige Anlegen in Aktien und damit das langfristige Zurverfügungstellen von Kapital müsse sich lohnen, das kurzfristige Zocken ohne volkswirtschaftlichen Nutzen gehöre eingedämmt: „Daher ist die Aktie exakt die falsche Gattung, die zusätzlich besteuert werden sollte.“

Auch die Politik schüttelt nur den Kopf

Doch nicht nur Anlegerschützer stellen die Sinnhaftigkeit der scholzschen Finanztransaktionssteuer infrage. Auch in der Politik provoziert nun die ausgehandelte Lösung Kopfschütteln. Zwar feierte sich Olaf Scholz per Tweet für den Kompromiss, das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Ergebnis bei Kennern der Materie auf ganzer Linie durchfällt.

Für den Grünen-Finanzexperten Sven Giegold ist die von Olaf Scholz durchgesetzte Steuer vor allem ein „Etikettenschwindel“. Giegold, der gemeinsam mit Ska Keller Spitzenkandidat zur Europawahl war, setzt sich seit Jahren für eine europäische Finanztransaktionssteuer ein, die diesen Namen verdient und die Bildung spekulativer Blasen erschwert. Die jetzige Regelung verspricht aus seiner Sicht aber nichts dergleichen: Für professionelle Investoren sei es ein Leichtes, die neue Steuer zu umgehen, sagt Giegold, der darin nicht viel mehr sieht als eine Neuauflage der 1991 abgeschafften Börsenumsatzsteuer. Getroffen würden in erster Linie kleine Sparer hierzulande, die nicht zu anderen Finanzplätzen oder -instrumenten wechseln können.

Quelle: Infografik WELT

Für Banken und große Fonds hingegen ist es unter Umständen leicht, Transaktionen an anderen Börsen und Handelsplätzen zu tätigen, wo Aktiengeschäfte keiner Steuer unterliegen. Der wichtige Finanzplatz Luxemburg etwa gehört nicht zu den zehn Ländern, die sich auf die Finanztransaktionssteuer verständigt haben. Neben Deutschland zählen zu dieser Gruppe der zehn die Euro-Staaten Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich, Portugal, Slowakei, Slowenien und Spanien an.

Frankreich hat eine solche Aktiensteuer schon länger. Dort betrug sie anfänglich 0,2 Prozent und wurde dann auf 0,3 Prozent erhöht. „In der jetzigen Form ist es keine Finanztransaktionssteuer, und ich fürchte, dass sie in der jetzigen Form eher schadet als nützt“, erklärt Giegold. Der Grünen-Politiker hält den Kompromiss für politisch getrieben und bezeichnet ihn als „PR-Show“, die Fortschritte auf der Sachebene suggerieren soll, wo keine sind.

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Olaf Scholz

Aus dem Umfeld des Bundesfinanzministeriums kommen widersprüchliche Angaben, wofür die eingenommenen Mittel verwendet werden sollen. Der Kompromiss mit den neun anderen Ländern wurde im Zusammenhang mit der Aushandlung des Euro-Zonen-Budgets geschlossen. Andererseits hat Scholz die Finanztransaktionssteuer als mögliche Einnahmequelle für die von der SPD geforderte Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung ins Gespräch gebracht.

In beiden Fällen könnte die Besteuerung von Aktienkäufen und -verkäufen jedoch nur einen kleinen Teil der Kosten decken. Der Grund ist einfach, dass Aktiengeschäfte weniger als zehn Prozent der Finanztransaktionen ausmachen. Experten rechnen für Deutschland mit Einnahmen von 1,2 Milliarden Euro im Jahr. Damit würde die Abgabe kaum mehr einbringen als die Kaffeesteuer. Europaweit soll die Scholz-Variante 3,4 Milliarden Euro in die Staatskassen spülen.

Es trifft die Sparer, nicht die Spekulanten

„Zu Beginn der Verhandlungen war noch von mehr als 35 Milliarden Euro die Rede“, sagt Bettina Stark-Watzinger, FDP-Abgeordete und Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag. Jetzt gehe es nur noch um einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag. „Das klingt nach einer völlig zerrupften Ursprungsidee.“ Auch Stark-Watzinger kritisiert, dass Scholz genau die Falschen treffe, wenn er vorgebe, mit der Steuer Spekulation einzudämmen.

Während zum Beispiel Derivate nicht erfasst würden, werde der viel zitierte kleine Mann, der von seinem Einkommen ein wenig Geld in Aktien spart, für die vermeintliche „Zähmung der Finanzmärkte“ in Haftung genommen: „Statt den Bürgern zu helfen, Vermögen aufzubauen, legt man ihnen mehr und mehr Steine in den Weg“, kritisiert die Liberale. Dabei wären Aktien gerade in der Niedrigzinsphase der beste Weg, die Bürger am wachsenden Vermögen in Deutschland zu beteiligen

„Es scheint, dass die Steuer vor allem dazu herhalten soll, neue Einnahmen zu generieren, um Wunschprojekte durchzuführen. Den Bürgern wäre weit mehr geholfen, wenn die Politik sich dafür einsetzen würde, dass Banken zukünftig nicht mehr mit Steuergeldern gerettet werden müssen“, erklärt Isabel Schnabel.

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Olaf Scholz

Die Finanzwissenschaftlerin, zu deren Spezialgebieten Bankenregulierung gehört, kann sich eine weitere Bemerkung nicht verkneifen: Geldhäuser würden schon jetzt über die Bankenabgabe für den Abwicklungsfonds an den Kosten künftiger Krisen beteiligt, eine Finanztransaktionssteuer sei dafür gar nicht erforderlich. Und auch den Eindämmung des umstrittenen Hochfrequenzhandels lässt sich anders bewerkstelligen. „Einige Börsen haben bereits leichte Handelsverzögerungen eingeführt“, sagt die Wirtschaftsweise. Damit können exzessive Handelsaktivitäten wirksam reduziert werden.

Nach der neuesten Erhebung des Deutschen Aktieninstituts (DAI) zählt Deutschland etwas über zehn Millionen Menschen, die direkt oder indirekt (zum Beispiel über Investmentfonds) in Aktien investieren. Die meisten dieser Anleger halten ihre Papiere langfristig. Unternehmensanteile zählen zu den Anlageformen mit der höchsten Rendite. Seit dem Jahr 1960 haben deutsche Standardwerte einen jährlichen Ertrag von rund sechs Prozent abgeworfen.

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