Die Europäer verurteilen Russlands Bombenkrieg in Syrien – doch neue Sanktionen gibt es nicht. Einige EU-Länder fürchten sich vor den Konsequenzen.
Ein EU-Gipfel unter dem Eindruck von Krieg und Tod. Wochenlange Angriffe auf Schulen, Kliniken und Wohnhäuser im syrischen Aleppo durch die russische Luftwaffe. Die deutsche Bundeskanzlerin verurteilte das Vorgehen als „völlig unmenschlich“. Aber Konsequenzen hat das vorerst nicht. Die Europäer lassen Putins Bombenkrieg in Syrien einfach durchgehen.
Mehr zum Thema: Putin schickt Flugzeugträger-Flotte durch den Ärmelkanal
Die 28 EU-Regierungen konnten sich bei ihrem Treffen am Donnerstag nicht auf neue Sanktionen gegen Moskau, beispielsweise im Hochtechnologie-Bereich, wegen des Vorgehens in Syrien einigen. Zu tief sind die Gräben in der Union. Jetzt will man erst einmal abwarten, ob Moskau weiter bombt.
1.15 Uhr in der Nacht zum Freitag. Angela Merkel (CDU) tritt vor die Presse nach neun Stunden zähen Verhandlungen: „Der Wunsch eine einheitliche Meinung zu bilden, war heute schon sehr deutlich“, referiert sie aus den Sitzungen.
Aber was hat es gebracht? Eine zahme Drohung aus Brüssel, die den russischen Präsidenten Putin kaum beeindrucken dürfte: „Die EU zieht alle Optionen in Betracht, einschließlich Sanktionen gegen Personen oder Organisationen, die das Regime unterstützen, sollten die Gräueltaten andauern.“
Eigene Interessen verhindern tatsächliches Durchgreifen
Dieses Treffen war ein Gezerre, es ging hin und her. Vor allem der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi versalzte vielen EU-Ländern, wie Großbritannien und Frankreich, die ein hartes Vorgehen gegen Russland forderten, die Suppe. „Ich denke nicht, dass es Sinn ergibt, auch auf Sanktionen zu verweisen. Das ist auch die Position, die die Außenminister am Montag beschlossen haben“, sagte Renzi mit lauter Stimme.
Er will der ohnehin arg schwächelnden italienischen Wirtschaft nicht noch durch weitere Sanktionen schaden, die Italiens Unternehmen die Geschäfte verderben könnten. Der italienische Regierungschef hat in dieser Frage eine starke Position: Sanktionen müssen einstimmig beschlossen werden. An seiner Seite stehen Staaten wie Zypern oder Griechenland.
Merkel sagte im Ton der Abwägung, man wolle gute Beziehungen zu Russland haben, aber „auf der anderen Seite auch unsere Haltung zu dem, was in Syrien stattfindet, deutlich machen“. Man könne aber die „menschenverachtenden Bombardierungen nicht akzeptieren“. Wenn die „Intensität der jetzigen Bedrohungen“ anhalte, sei dies „schon ein Grund sich zu überlegen: Was tun wir jetzt?“
Klare Worte fanden bei diesem Treffen nur wenige europäische Spitzenpolitiker. Estlands Ministerpräsident Taavi Roivas war einer von ihnen. Er warf der syrischen Regierung und Russland vor, sie wollten Aleppo zu einem neuen Grosny machen. Im Tschetschenienkrieg hatte die russische Armee diese Stadt fast völlig zerstört. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk kritisierte Moskau scharf: „Es ist klar, dass es die russische Strategie ist, die EU zu schwächen.“
Rückkehr zu offenen Grenzen – aber nicht sofort
Einigkeit gab es mit Blick auf die Grenzkontrollen: Die Europäer wollen schrittweise zum freien Reiseverkehr zurückkehren. Zuvor hatte Deutschland zusammen mit anderen Ländern verhindert, dass der EU-Gipfel eine klares Zeichen gegen die Verlängerung der innereuropäischen Grenzkontrollen setzt. „Wenn die Außengrenze nicht ausreichend geschützt wird, muss es auch die Möglichkeit von Grenzkontrollen geben“, sagte die Kanzlerin.
Vor allem Ungarn und Slowenien hatten auf eine schnelle Aufhebung der Grenzkontrollen gedrängt. Sie halten die Fortführung der Kontrollen wegen des Rückgangs der Flüchtlingsströme für unnötig.
Österreichs Bundeskanzler Christian Kern widersprach heftig. Er betonte, die Fluchtbewegungen würden „über Jahre hinweg“ nicht beendet sein. „Unser Ziel muss es sein, die europäischen Außengrenzen zu schützen. Solange das aber nicht funktioniert, müssen wir die Möglichkeit haben, Maßnahmen zu setzen, auch auf nationaler Ebene. Das ist nichts, was wir anstreben. Das ist eine Ultima Ratio, wenn der Schutz der Außengrenzen nicht funktioniert“.
Antworten