Bundestagswahl: Das rot-rote Schreckgespenst

© dpa Oskar Lafontaine und Martin Schulz bei der Bundespräsidentenwahl im Februar im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes.

In Deutschland wird gerne links gefühlt, aber rechts gehandelt. Links gefühlt, weil man ein gutes Gewissen haben möchte; rechts gehandelt, weil gerade die „Guten“ froh sind, wenn die „Bösen“ die Verantwortung übernehmen müssen. Linke Mehrheiten ziehen deshalb nur selten eine linke Regierung nach sich. Das führt dazu, dass eine der großen Parteien wie ein schlecht geöltes Scharnier ständig quietscht. Das ist die SPD. Auch jetzt, kurz nachdem Martin Schulz mit der Ölkanne um sich gespritzt hat, ist das wieder so. Eine riskante Wette geht ein, wer behauptet, dass im Herbst eine rot-rot-grüne Regierung gebildet wird, selbst dann, wenn die SPD in der Bundestagswahl die CDU bezwingen sollte und den Kanzler einer großen Koalition stellen könnte.

Jasper von Altenbockum Folgen:

Das Saarland war dafür ein Menetekel. Die SPD hätte dort wahrscheinlich nicht gezögert, wenn es für ein Linksbündnis gereicht hätte. Eine Rehlinger-Lafontaine-Regierung wäre, nach Jahren der Bundesfehde, über Honeckers Heimat hinaus als rot-rote Versöhnung gefeiert worden. Dass es nicht dazu gekommen ist, dafür gibt es zwei Erklärungen. Die eine: Es fehlte nur ein Prozentpunkt für die Grünen. Die andere: Es fehlten viele Prozentpunkte für die SPD. Die Schlussfolgerung für den Bund ist das deutsche Gesetz: Wenn Aussichten auf Rot-Rot bestehen, sehen viele Wähler schwarz. Die CDU fährt die Ernte ein.

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Die SPD tut jetzt erst einmal alles, um den Verdacht auszuräumen, sie steuere im Bund auf das zu, was im Saarland gescheitert ist. Die kommenden Landtagswahlen dienen den Sozialdemokraten vielmehr als doppelter Test – dafür, dass mit Martin Schulz Wahlen gewonnen werden können, aber ohne dass die SPD anschließend auf ein Linksbündnis angewiesen ist. Begünstigt wird das dadurch, dass in beiden Ländern die Linkspartei ohnehin kaum eine Rolle spielt, dafür eine andere Partei stärker ist als derzeit im Bund: die FDP. Die vage Aussicht auf eine sozialliberal-grüne Koalition soll den Schaden wettmachen, den ein rot-rotes Schreckgespenst anrichtet.

Ob sich die SPD in einem Wünsch-Dir-was-Bündnis profilieren kann?

In Kiel funktioniert das, in Düsseldorf schon weniger. Funktioniert es aber im Bund? Die Linkspartei gibt sich alle Mühe, sich selbst und die SPD so auszurichten, als gehe es um „jetzt oder nie“. Den Gretchenfragen zur Nato und zu Europa weicht sie kunstvoll aus, stets bemüht, den letzten Schrei der Populismen für sich zu nutzen. Im Osten sitzt ihr neuerdings die AfD im Nacken, im Westen Martin Schulz. Im nächsten Bundestag dürfte ihre Fraktion deshalb geschrumpft sein, dadurch aber mit höherem Anteil der westlichen Dogmatiker, die der SPD die „Agenda 2010“ nie verzeihen werden und nur darauf warten, sie zu demütigen.

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Lafontaine, Kramp-Karrenbauer und Rehlinger: CDU profitierte von SPD-Sympathisanten

45651867 © dpa Vergrößern Lafontaine, Kramp-Karrenbauer und Rehlinger: CDU profitierte von SPD-Sympathisanten

Die SPD könnte mit ihr zwar viel vom Dirigismus durchsetzen, der selbst den Grünen zu weit geht. Was dabei herauskommen kann, zeigt aber die rot-rot-grüne Koalition in der Hauptstadt: Die Summe linker Projekte ergibt nicht den Querschnitt der Vernunft, sondern die Addition der Marotten. Abschreckend wirkt das von Berlin bis nach Saarbrücken, von Kiel bis nach Düsseldorf, weil der SPD nicht durchweg zugetraut wird, sich in einem solchen Wünsch-Dir-was-Bündnis als eine unideologische Ordnungsmacht zu bewähren, wie sie die CDU ist (besser gesagt: einmal war).

Das ist der Kern der Kritik, die sie immer wieder aus der politischen Mitte trifft. Sigmar Gabriels Schwierigkeit bestand darin, dass jeder Versuch, einer solchen Rolle gerecht zu werden, von der SPD-Linken als Abkehr von der Möglichkeit gesehen wurde, die Linkspartei zu umarmen oder zu verdrängen. Das Ergebnis ist bekannt. Martin Schulz wird mit seiner Quietsche-SPD an dieselbe Decke stoßen, wenn er es bei der Kritik an der Agenda 2010 belässt, soziale Gerechtigkeit predigt und dadurch den Eindruck vermittelt, die SPD protestiere nicht nur gegen „Neoliberale“, sondern auch gegen sich selbst.

Roter könnten die sozialpopulistischen Stellen des AfD-Wahlprogramms nicht werden

Neuland erobert er jetzt aber schon dadurch, dass er jedem, der es hören will, den „Respekt!“ entgegenbringt, den jeder gerne genießt, der sich irgendwie vernachlässigt fühlt. Wie so vieles im Wahlkampf auch der anderen Parteien ist das eine versteckte Verbeugung vor den Wählern der AfD, die nicht nur im Osten bekanntlich vagabundierende Protestwähler sind – unter anderem der Linkspartei. Wie sehr, paradoxerweise, die AfD die rot-roten Bäckchen der SPD fürchtet, sieht man daran, dass die sozialpolitischen Passagen ihres Wahlprogramms roter nicht sein könnten.

Es wird aber noch sehr lange dauern, bis die SPD daraus den Schluss zieht, dass Leute wie Thilo Sarrazin oder Wolfgang Clement zwar zu den „Bösen“ gehören, dass man diese aber braucht, um Gutes tun zu können. Die Linkspartei müsste einen solchen Schwenk indessen genauso fürchten wie die CDU. Die Linkspartei, weil die SPD ihre sozial-konservative Klientel noch stärker bediente; die CDU, weil AfD-Abtrünnige und Merkel-Gegner aus dem Milieu der Arbeiter und Ingenieure einen neuen Hafen ansteuern könnten. Rot-Rot ist insofern eine Aufforderung auch an die CDU, wieder die Ordnungsmacht zu sein, die sie einmal war. Ihr Restrisiko besteht darin, dass ein rot-rot-grüner SPD-Kanzler eine Mehrheit hat, selbst wenn die Union knapp die absolute Mehrheit verfehlt und die FDP ihr nicht beispringen kann. Das Schreckgespenst sitzt jetzt schon mitten im Bundestag.

© dpa, reuters Essen: Schulz kontert Merkels Kritik

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