Syrien: Viele tote Zivilisten bei Luftangriff mit Giftgas

Die Rettungshelfer der Organisation Weißhelme berichteten sogar von 240 Verletzten. Die Vereinten Nationen verurteilten den Angriff scharf und kündigten eine Untersuchung an. Frankreich und Großbritannien forderten eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats. Die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) zeigte sich zutiefst besorgt. Experten der OPCW sammelten und analysierten zur Zeit alle verfügbaren Informationen, teilte die Organisation in Den Haag mit.

Der britische Außenminister Boris Johnson vermutet die syrische Regierung hinter dem Giftgaseinsatz. „Das trägt alle Anzeichen eines Angriffs durch das Regime, das wiederholt chemische Waffen eingesetzt hat“, sagte Johnson in London. Auch Aktivisten machten für den Angriff Jets der syrischen Luftwaffe verantwortlich. Diese wies den Vorwurf zurück. Ein syrischer General, der ungenannt bleiben wollte, erklärte, die syrische Armee habe in Khan Sheikhoun kein Giftgas eingesetzt.

Die Menschenrechtsbeobachter erklärten, Jets hätten am Morgen mehrere Angriffe geflogen. Menschen seien in Ohnmacht gefallen, hätten sich erbrochen und Schaum vor dem Mund gehabt. Der Zustand vieler Verletzter sei ernst. Bilder im Internet zeigten zahlreiche Leichen und Opfer, die mit Sauerstoff behandelt wurden.

Ein Arzt aus der Stadt Idlib berichtete in einer Audio-Nachricht, das Krankenhaus sei überfüllt. Es gebe zu wenig Sauerstoffgeräte, um die Patienten zu behandeln. Unter den Opfern seien viele Kinder.

Bei einem Luftangriff auf die Stadt Khan Sheikhoun wurde offenbar Giftgas eingesetzt. Bild: SN/APA/AFP/MOHAMED AL-BAKOUR

Später am Tag hätten Jets Khan Sheikhoun erneut angegriffen, meldeten die Menschenrechtsaktivisten. Andere Aktivisten erklärten, bombardiert worden sei eine Klinik, in der Verletzte behandelt worden seien. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Menschenrechtler sitzen in England, stützen sich aber auf ein Netzwerk von Informanten in Syrien. Ihre Angaben haben sich als zuverlässig erwiesen.

Mindestens 19 tote Zivilisten waren am Dienstag auch nach Luftangriffen auf mehrere von Rebellen kontrollierte Städte östlich der syrischen Hauptstadt Damaskus zu beklagen. Unter den Opfern der Angriffe in der Region Ost-Ghouta seien sechs Kinder, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag mit. Die Region ist die größte Rebellenhochburg nahe Damaskus.

Es habe den ganzen Tag lang Luftangriffe gegeben, die Zahl der Todesopfer könne noch höher sein, erklärte die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle. Demnach starben Menschen in den Städten Jisrin, Kafr Batna und Douma, der größten Stadt in Ost-Ghouta.

Die Syrien-Ermittler des UNO-Menschenrechtsrates untersuchten den Giftgas-Vorfall, teilten sie in Genf mit. „Sowohl der Einsatz von chemischen Waffen als auch der bewusste Angriff auf medizinische Einrichtungen würden ein Kriegsverbrechen und eine weitreichende Verletzung der Menschenrechte bedeuten“, hieß es in einer Stellungnahme.

Khan Sheikhoun liegt im Süden der Provinz Idlib, die von unterschiedlichen Rebellengruppen kontrolliert wird. Eigentlich gilt in dem Bürgerkriegsland seit Ende des vergangenen Jahres eine von Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenruhe. Diese ist jedoch brüchig. Ausgenommen von der Waffenruhe sind die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die Al-Kaida-nahe Organisation Tahrir al-Sham. Diese ist besonders in der Provinz Idlib stark.

Bereits 2013 waren östlich der Hauptstadt Damaskus bei Angriffen mit Giftgas rund 1.400 Menschen getötet worden. Die Opposition und der Westen machten dafür Syriens Regierung verantwortlich. Diese stimmte danach zu, alle Giftgasvorräte zu vernichten. Chlor fiel jedoch nicht unter das Verbot, weil es für zivile Zwecken benötigt wird. Im vergangenen Dezember starben einer Hilfsorganisation zufolge in der Provinz Hama bei einem Giftgasangriff 93 Zivilisten.

Der UNO-Sicherheitsrat will am Mittwoch über den Giftgasangriff in Syrien mit Dutzenden Toten beraten. Die UNO-Botschafterin der USA, Nikki Haley, kündigte die Dringlichkeitssitzung auf Antrag Frankreichs und Großbritanniens am Dienstag in New York an. Für Mittwoch war ohnehin eine Sitzung zu Syrien geplant, die nun etwas vorgezogen wurde.

Großbritanniens UNO-Botschafter Matthew Rycroft zeigte sich nach dem Angriff entsetzt. Die Attacke erwecke den Anscheine einer „weiteren vorsätzlichen Offensive des syrischen Regimes und dessen militärischer Hintermänner“ mit Chemiewaffen. Bei der Sitzung am Mittwoch solle Druck auf diejenigen der insgesamt 15 Mitgliedstaaten des Sicherheitsrats ausgeübt werden, die Maßnahmen gegen Giftgasangriffe im höchsten UNO-Gremium blockierten.

Mit ihrem Veto hatten Russland und China Ende Februar Sanktionen gegen das syrische Regime wegen dessen Chemiewaffeneinsätzen verhindert. Das mit Syrien verbündete Russland machte damit bereits zum siebenten Mal seit Beginn des Bürgerkriegs eine Syrien-Resolution zunichte.

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