Abschied von einem „Giganten“

  • Im EU-Parlament in Straßburg hat der europäische Trauerakt für den verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl begonnen.
  • In Anwesenheit zahlreicher amtierender und früherer Staats- und Regierungschefs trugen Soldaten des Wachbataillons den mit einer Europaflagge bedeckten Sarg des Altkanzlers in den Plenarsaal.
  • Anschließend redeten zunächst EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk Reden.

Es ist die letzte Ehre für Helmut Kohl: Ein europäischer Trauerakt für den verstorbenen Altkanzler im Europaparlament in Straßburg. Hier verabschieden sich internationale Staats- und Regierungschefs von dem langjährigen CDU-Vorsitzenden. Der Sarg des früheren Bundeskanzlers wurde zunächst in einem Protokollraum aufgebahrt, vor dem sich die Trauernden in ein Kondolenzbuch eintrugen. Anschließend wurde der in eine blaue Europaflagge gehüllte Sarg vom Wachbataillon des Bundesverteidigungsministeriums in den Plenarsaal getragen. Begleitet werden sie von einer Totenwache des Eurokorps.

Bei dem Trauerakt reden neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unter anderem EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani. Tajani würdigte Kohl als „politischen Giganten“, der über den Tellerrand hinweg schauen konnte und die Grundwerte überall und unentwegt verteidigte. „Helmut Kohl war vor allem ein mutiger Mensch. Er war ein Kämpfer für die Freiheit und die Demokratie und einer der Protagonisten der Wiedervereinigung unseres Kontinents. Stets und überall verteidigte er die Würde des Menschen gegen Mauern, gegen eiserne Vorhänge und gegen totalitäre Regime.“ Mit den 16 Jahren seiner Kanzlerschaft habe er maßgeblich den Lauf der Geschichte beeinflusst, so Tajani. „Wir finden kein Kapitel der europäischen Integration, dem er nicht mutig seinen Stempel aufgedrückt hätte.“ Ihm selbst sei bei einer Begegnung 1994 klar geworden, „dass die Wiedervereinigung für Helmut Kohl nicht ein deutsches Europa, sondern vielmehr ein europäisches Deutschland bedeutete“, berichtete der Italiener. „Gerade heute müssen wir dem Beispiel Helmut Kohls folgen, unsere Befürchtungen hinter uns lassen und uns für die Hoffnung entscheiden.Das ist es, was unsere Bürger von uns erwarten: den Mut, zusammenzustehen, den Mut zum Wandel“, so Tajani.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schloss sich an und erinnerte an seinen Freund. Kohl habe ein „europäisches Deutschland gewollt und nicht ein deutsches Europa“. Der Luxemburger erinnerte an Kohls Rolle als Kanzler der deutschen Wiedervereinigung und beim Zusammenwachsen Europas. „Helmut Kohl war ein deutscher Patriot, aber auch ein europäischer Patriot“, so der Luxemburger. Zwischen beidem habe es für ihn keinen Widerspruch gegeben. In „geduldigen Einzelgesprächen“ habe er die Skepsis in manchen europäischen Ländern gegen die deutsche Einigung abgebaut. „Er hat die Gunst der Stunde richtig eingeschätzt und genutzt.“ Ohne Kohl hätte es auch den Euro nicht gegeben, so Juncker. „Für ihn war der Euro stets europäische Friedenspolitik mit anderen Mitteln.“ Juncker versuchte sich sogar mit einem Witz: „Lieber Helmut, Du bist jetzt im Himmel. Versprich mir, dass Du dort nicht als erstes einen CDU-Ortsverband gründest.“ „Mit Helmut Kohl verlässt uns eine Nachkriegsgigant“, sagte er dann wieder staatsmännisch. Und dann: „Du, mein lieber Freund hast, nach einem reich erfüllten Leben, Ruhe verdient. Ewige Ruhe“, schlosss Juncker sichtlich bewegt.

Nach ihnen reden Spaniens Ex-Regierungschef Felipe González und der ehemalige US-Präsident Bill Clinton. „Wir alle werden früher oder später in so einem Grab liegen“, sagte Clinton. „Alles was wir hinterlassen, ist eine bessere Welt für unsere Kinder.“ Und: „Ich habe ihn geliebt.“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew schließen sich als Rdner an. Unter den Gästen sind viele weitere Staats- und Regierungschefs, unter anderem auch Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Vertreter des spanischen Königshauses sowie Ex-EU-Parlamentspräsidenten und SPD-Kanzler-Kandidat Martin Schulz sowei Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Kohl ist der erste Politiker, der mit einem solchen europäischen Trauerakt geehrt wird. Damit sollen die Verdienste des langjährigen Bundeskanzlers um den Aufbau Europas gewürdigt werden. Der am 16. Juni im Alter von 87 Jahren verstorbene Altkanzler ist einer von nur drei Ehrenbürgern Europas.

Zunächst wird am Nachmittag ein Hubschrauber den Sarg zurück nach Ludwigshafen bringen. Nach der Landung wird dieser durch die Innenstadt gefahren. Die letzten Kilometer bis nach Speyer wird der Leichnam Kohls mit einem Schiff transportiert. Im Dom zu Speyer wird der katholische Bischof Karl-Heinz Wiesemann die Totenmesse halten. Rund 1500 geladene Gäste werden erwartet. Zu Speyer und seinem Dom hatte Kohl seit seiner Kindheit eine besondere Beziehung.

Nach einem militärischen Ehrenzeremoniell der Bundeswehr soll er gegen 20.30 Uhr auf einem nahen Friedhof in Speyer im Freundes- und Familienkreis beigesetzt werden. Kohl wird auf Wunsch seiner Witwe Maike Kohl-Richter nicht im Familiengrab in Ludwigshafen bestattet. Ein Großaufgebot der Polizei mit mehr als 1000 Beamten sichert die Trauerfeierlichkeiten. Die Beisetzung dürfte zu den größten Beerdigungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte zählen. Alleine in Speyer werden Tausende Menschen erwartet.

Macron auf Facebook: „Frankreich trauert um Helmut Kohl“

Zuvor erinnerte der fanzösische Präsident Emmanuel Macron mit einem Facebook-Eintrag an Kohl: „Frankreich trauert um Helmut Kohl“, heißt es in dem deutschsprachigen Eintrag. „Helmut Kohl ist für alle Franzosen der Repräsentant eines Deutschlands, das versucht, aus Ruinen ein Ideal zu schaffen“, schrieb Macron. „Das versucht, der Welt ein Projekt vorzuschlagen und damit die Verletzungen und Gräuel wiedergutzumachen. Auf dass sie weder verschwiegen noch vergessen werden.“ Er erinnerte daran, wie sich Kohl und der damalige französische Präsident François Mitterrand 1984 an den Weltkriegsgräbern von Verdun die Hände reichten.

Kohl habe gewusst, dass sich Realpolitik nur auszahle, wenn sie „höhere Ideen“ anstrebe: „Eintracht, Freiheit, Solidarität“, so Macron. „Wenn wir uns schwergetan haben, seinem Erbe gerecht zu werden, dann nicht, weil es uns an Pragmatismus fehlte. Der Grund ist ein anderer: Es fehlte uns an Idealismus.“ Europa dürfe nicht „zu einer technischen Angelegenheit verkommen“, schreibt Macron.

„In einer Welt, in der das Tragische auf einmal wieder zurückkehrt, soll, muss Europa eine Hoffnung sein“, schreibt Macron. „Unsere Hoffnung. Lassen wir sie doch nicht einfach so verschwinden, erdrückt von Zynismus und Kurzsichtigkeit. Geben wir diesem Europa wieder eine Chance, machen wir es wieder zu einem Versprechen. Das schulden wir Helmut Kohl.“

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