Hinter dem F-35-Streit steckt eine große Bedrohung

Die Begeisterung des türkischen Piloten über das Kampfflugzeug F-35 war mehr als deutlich. „Mein Feind kann mich nicht sehen. Und wenn er mich nicht sehen kann, kann er mich nicht stoppen – aber ich kann ihn bekämpfen.“ Es ist gut ein Jahr her, seit diese Worte auf einer feierlichen Zeremonie in Forth Worth im US-Bundesstaat Texas fielen. Dort übergab der amerikanische Rüstungskonzern Lockheed Martin das erste von insgesamt 100 bestellten F-35-Modellen offiziell an die Türkei.

Dies sollte der Auftakt für eines der größten amerikanisch-türkischen Rüstungsgeschäfte sein. Doch jetzt zieht US-Präsident Donald Trump die Reißleine. Begründet wird dies damit, dass in die Türkei derzeit ein Luftverteidigungssystem aus Russland geliefert wird. Die Sorge der US-Regierung: Das rund 2,2 Milliarden Dollar teure mobile Konstrukt auf Lastwagen könnte herausfinden, ob der US-Kampfjet tatsächlich eine so große Tarnung und derart besondere Fähigkeiten hat wie versprochen.

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Konflikt um Waffensysteme

Die Entscheidung der Türkei, das System mit dem Namen S-400 zu kaufen, mache eine „weitere Beteiligung an der F-35“ unmöglich, hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses. Der Kampfjet könne „nicht mit einer russischen Nachrichten-Sammel-Plattform koexistieren“.

Trump hat damit eine Entscheidung getroffen, deren Folgen noch nicht absehbar sind. Sie könnten, so die weitreichendste Spekulation, sogar zum Ausstieg der Türkei aus der Nato führen. Kaum war die Botschaft aus Washington über das Aus bei der F-35 bekannt geworden, gab es die ersten Gerüchte, die türkische Regierung könnte stattdessen den russischen Tarnkappenkampfjet vom Typ Sukhoi SU-57 kaufen.

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Quelle: WELT/Christoph Hipp

Der Konflikt zwischen den USA und der Türkei um das F-35-Modell und das russische Luftverteidigungssystem für das Nato-Mitglied hatte sich seit längerem hochgeschaukelt. Immer wieder hatte es Warnungen aus den USA an die Adresse des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegeben, das S-400-Abwehrsystem nicht zu kaufen. Stattdessen sollte Ankara nach dem Willen Washingtons das US-Abwehrsystem Patriot bestellen, das bei zahlreichen Nato-Partnern eingeführt ist, darunter auch in Deutschland.

Soeben haben die USA einer Modernisierung des Systems in Deutschland zugestimmt. Für 401 Millionen Dollar sollen 50 neue Raketen in die Bundesrepublik geliefert werden. Die USA verfolgten mit Blick auf die Türkei die Idee, dass mit dem F-35-Kampfjet in Händen der türkischen Luftwaffe einerseits und dem Patriot-Abwehrsystem andererseits die Ostflanke des Verteidigungsbündnisses gut geschützt wäre.

Nun aber droht alles anders zu kommen. Allerdings verweisen einige Experten darauf, dass die Botschaft aus dem Weißen Haus de facto noch keinen endgültigen Ausstieg der Türkei aus dem F-35-Programm bedeutet, sondern auch eine Art letzte Galgenfrist sein könne. Der Ausschluss der Türken soll bis Ende März 2020 abgeschlossen sein, heißt es aus dem Pentagon.

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Geheime Technik

Bei einer Pressekonferenz wurde gleich mehrfach der Begriff einer „Aussetzung“ der Lieferung verwendet und die Frage offen gelassen, ob die Türkei wieder beliefert wird, falls sie keine S-400-Systeme in Betrieb nimmt. Noch hat keines der bislang vier offiziell an die Türkei übergebenen F-35-Flugzeuge die USA verlassen.

Tatsächlich ist die Türkei mehr als nur ein beliebiger F-35-Abnehmer. Die Regierung in Ankara ist jahrzehntelanger Kunde von Lockheed Martin und sogar ein Entwicklungspartner beim F-35 seit Beginn des Kampfjet-Programms. Die Flagge der Türkei prangte bereits auf dem Modell als der Kampfjet erstmals vorgestellt wurde.

Nach Japan ist die Türkei der zweitgrößte Exportkunde. Dabei baut Lockheed Martin das F-35-Modell nach einem weltweiten Partnerschaftsmodell, bei dem sich einzelne Nationen gegen hohe Investitionssummen in Arbeitsanteile und Entwicklungen einkaufen können.

Die Türkei baut rund 900 Teile der F-35

So liefert die Türkei Schlüsselbauteile, für die jetzt neue Hersteller gefunden werden müssen. Von insgesamt 900 Teilen aus türkischer Produktion ist die Rede. Alles kein Problem, lautet die Botschaft aus dem Pentagon. 500 bis 600 Millionen Dollar sollen für das Umschichten und die Eigenentwicklung der betroffenen Bauteile ausgeben werden. Der Flugzeughersteller Lockheed Martin und der Triebwerkhersteller Pratt & Whitney würden sicher neue Zulieferer für die Anteile der Türkei finden, heißt es. Der türkischen Luftfahrtindustrie gingen insgesamt Aufträge über neun Milliarden Dollar verloren, rechnet das Pentagon vor.

Entscheidend für eine Lösung des Konflikts scheint die Frage zu sein, ob die Türkei ein Luftabwehrsystem aus den USA kaufen muss, um weiterhin F-35 zu bekommen. Ankara hatte immer wieder erklärt, dass man sich in früheren Jahren mehrfach um das US-System Patriot beworben habe, ohne es zu bekommen. Das Pentagon widerspricht dieser Darstellung: In der Vergangenheit habe es mehrere Angebote an die Türkei gegeben, das Patriot-Abwehrsystem zu kaufen.

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Die USA haben Sanktionen angedroht für den Fall, dass die S-400-Batterien vom türkischen Militär übernommen werden. Die S-400 kann mit Kurz-, Mittel- und Langstrecken-Raketen arbeiten.

Quelle: Reuters

Hinter der Auseinandersetzung verbirgt sich – nach Ansicht von Experten – eine große Bedrohung für den Westen. Wie es in der Branche heißt, sind die russischen Radarsysteme den amerikanischen zumindest ebenbürtig. Die Sorge westlicher Militärs bezieht sich nicht nur auf einige S-400 in der Türkei, die nunmehr hinzukämen, sondern auf das Netz moderner Flugabwehrsysteme (Integrated Air Defense System), das Russland von der finnischen Grenze über Kaliningrad und die Krim bis nach Syrien errichtet hat. In Zukunft gäbe es womöglich einen weiteren Hochsitz in der Türkei.

Russland könnte so einzelne Radar- und Raketen-Stellungen mit speziellen Sensoren vernetzen und so das prinzipiell schon seit den 1950er-Jahren bekannte „Over-the-horizon Radar“ (OTHR) aufbauen. 2014 hatte Russland ein paar Details zu dem Superradar veröffentlicht, das angeblich eine Reichweite von 3000 Kilometern haben soll. Der Westen befürchtet, dass damit der Einsatz von Luftstreitkräften in kritischen Regionen unmöglich gemacht werden könnte.

Die Radare und andere Sensoren würden Daten über die westlichen Militärflugzeuge sammeln, die dann in elektronischen Bedrohungs-Bibliotheken (Threat Library) abgelegt werden könnten. „Diese Threat Library, die jede Nation hat und schützt, ist das eigentliche Gehirn und die Bibliothek der Luftabwehr. Über ein S-400-System in der Türkei könnten die Russen ihren Datenspeicher weiter füttern“, sagt ein Insider, der anonym bleiben möchte. Es könnten nicht nur die Radarsignaturen des F-35-Modells, sondern auch dessen Manövrier-Eigenschaften und Beschleunigungswerte ermittelt und analysiert werden.

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Luftabwehrsystem

Umgekehrt können auch die Kampfjets selbst auf die Datensätze einer „Threat Library“ zurückgreifen, in der nicht nur feindliche Militärmodelle, sondern auch die Signale von Radarstationen oder anderer Ziele am Boden abgelegt sind. Beim Patriot-System, das bei der Bundeswehr eingeführt ist, aber ab etwa 2030 durch das Konkurrenzsystem TLVS abgelöst werden könnte, pflegen die USA die Bedrohungsdatenbanken.

Nunmehr wartet die Branche darauf, ob die Türkei am Ende das russische Abwehrsystem doch nicht in Betrieb nimmt. Lockheed Martin als Hersteller der Kampfjets F-35 will sich jedenfalls nicht in die politische Diskussion einmischen. „Dies ist eine Angelegenheit von Regierung zu Regierung, und wir folgen wie immer den offiziellen Anweisungen der US-Regierung in Bezug auf die Lieferung des F-35“, heißt es in einer Mitteilung.

In den vergangenen Monaten sei bereits an Alternativen zu den Bauteilen aus der Türkei gearbeitet worden. Dies werde die Auswirkungen des Konflikts begrenzen. Wie geplant sollen in diesem Jahr 131 Kampfjets vom Typ F-35 ausgeliefert werden.

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