„Schlimmer war es nie“ – Historischer Absturz am deutschen Arbeitsmarkt

„Schlimmer war es nie“ – mit diesen deutlichen Worten bereitete Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), auf die historischen Negativ-Zahlen vor, die er am Donnerstagsmorgen präsentierte. Was sich seit Wochen andeutete, spiegelt sich nun in konkreten Daten wieder: Der deutsche Arbeitsmarkt gerät im Zuge der Corona-Krise unter nie dagewesenen Druck.

Da ist zuerst die Kurzarbeit. Für 10,14 Millionen Menschen haben Deutschlands Unternehmen bis zum 26. April Kurzarbeit angemeldet. Es sei eine Zahl, die selbst ihm und seinen Kollegen ein wenig den Atem habe stocken lassen, so Scheele.

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Kurzarbeit

Sie übertrifft den bisherigen Rekord um ein Vielfaches, der während der Großen Rezession 2008/2009 erreicht wurde. Im gesamten Krisenjahr 2009 gingen bei den Agenturen für Arbeit Anzeigen für 3,3 Millionen Menschen ein. Betroffen sind vor allem das Gastgewerbe, der Handel, persönliche Dienstleister und die Metall- und Elektro-Industrie.

Wichtig ist dabei allerdings eine Einordnung: Es heißt nicht, dass tatsächlich mehr als zehn Millionen Menschen in Kurzarbeit gehen werden. Betriebe melden Kurzarbeit an und können dann im folgenden Monat flexibel entscheiden, wie viele Beschäftigte tatsächlich weniger arbeiten als sonst.

Arbeitslosigkeit steigt außergewöhnlich stark

Erst im Nachhinein rechnen sie den tatsächlichen Umfang mit der Arbeitsagentur ab – sodass diese auch erst später genauere Daten hat, wie viele Kurzarbeiter es gab und wie groß der Arbeitsausfall wirklich war. „Wir sehen keine Parallele zu 2008/2009“, sagte Scheele zudem. Heute seien zum Teil andere Wirtschaftsbereiche betroffen als damals – etwa der Tourismus. Auch das erschwere die Schätzungen.

Laut Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte am Institut der deutschen Wirtschaft, bestehe Hoffnung darauf, dass weniger Kurzarbeit realisiert werde als angezeigt. „Dafür spricht, dass auch viele Betriebe Kurzarbeit angemeldet haben, die derzeit noch wenig von den Einschränkungen betroffen sind“, sagte Schäfer.

Quelle: Infografik WELT

Auch die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften ist infolge der Corona-Krise regelrecht eingebrochen. Im April waren 626.000 Arbeitsstellen bei der BA gemeldet, 169.000 weniger als vor einem Jahr. Saisonbereinigt hat sich der Bestand der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Arbeitsstellen um 66.000 verringert. „Das Ausbleiben von Stellenneumeldungen schlägt hier vornehmlich zu Buche“, heißt es von der Behörde.

Trotz der extrem hohen Zahl von Kurzarbeitsanzeigen stieg auch die Arbeitslosigkeit außergewöhnlich stark. Im April waren laut BA 308.000 Menschen mehr arbeitslos als noch im März und 415.000 mehr als im April des Vorjahres. Ein solcher Anstieg sei im April völlig unüblich. Die Gesamtzahl stieg damit auf 2,644 Millionen. Dies entspricht einer Quote von 5,8 Prozent. Sie stieg im Vergleich zum März um 0,7 Punkte und im Vergleich zum April 2019 um 0,9 Punkte.

Finanzbedarf bis fünf Milliarden Euro

Auch hier beschwichtigte Schäfer allerdings. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit sei erstens nicht sehr stark. „Zweitens kam der Anstieg zum Teil auch dadurch zustande, dass derzeit viele arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie zum Beispiel Weiterbildungen nicht stattfinden“, sagte Schäfer.

Auch Scheele sah in dieser Gemengelage eine gute Nachricht: dass die Kurzarbeit dazu führe, dass die Arbeitslosigkeit nicht noch deutlich stärker steigt. Hinter den Kurzarbeitsanzeigen steckten schließlich Menschen, deren Job erhalten bleibe.

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Sonderregeln in Corona-Krise

Bei den Kosten zeichnet sich ab, dass die Rücklage der BA von 26 Milliarden Euro in diesem Jahr nicht reichen dürfte. Die BA hat zwei Szenarien berechnet – und hält selbst das negative für realistischer. 2,6 Millionen Menschen dürften demnach im Jahresschnitt in Kurzarbeit sein, in der Spitze sind es demnach acht Millionen.

In diesem Szenario liegt der Finanzbedarf zwischen vier bis fünf Milliarden Euro aus den Mitteln des Bundes. Die kürzlich vom Bundeskabinett beschlossene Erhöhung des Kurzarbeitergeldes koste zwischen einer bis zu 1,5 Milliarden Euro, die Verlängerung des Arbeitslosengelds ebenfalls 1,5 Milliarden Euro. Deutlich größerer Posten sei die schon zuvor beschlossene Übernahme der Sozialversicherungskosten.

„Soziale Härten“ beim Kurzarbeitergeld

In einem ersten Statement betonte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), dass nicht alle, die jetzt in Kurzarbeit sind, das auch im gesamten Jahresverlauf sein würden. „Aber es wird Unternehmen und Beschäftigte geben, die länger auf Kurzarbeit angewiesen sein werden“, sagte er. „Deshalb ist es richtig, dass wir das Kurzarbeitergeld anheben und Beschäftigte vor unverhältnismäßigen Lohneinbußen geschützt werden. Das sichert auch Kaufkraft und Nachfrage.“

Heftige Kritik gab es allerdings von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Kurzarbeit verhindert Arbeitslosigkeit und hilft, den Arbeitsmarkt zu stabilisieren. Durch politische Entscheidungen schmilzt allerdings die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit schneller als Schnee in der Sahara“, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter, der auch Sprecher der Arbeitgebergruppe im Verwaltungsrat der BA ist.

Hubertus Heil will Recht auf Homeoffice einführen

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will das Recht auf Homeoffice im Gesetz verankern. Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll auch nach der Corona-Epidemie von zu Hause aus arbeiten können.

Quelle: WELT/ Thomas Laeber

Die Folgen seien klar: „Erst kommt ein Darlehen. Dann kommt ein Zuschuss des Bundes. Und dann ist man völlig überrascht, dass die Beiträge angepasst werden müssen“, sagte Kampeter. „Diese Politik, die heute gefallen will und das Morgen dabei völlig aus den Augen verliert, ist von geringer Substanz und hat eine noch geringere Halbwertszeit bis zum politischen Offenbarungseid.“

Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds, hingegen wies auf weiter bestehende „soziale Härten“ beim Kurzarbeitergeld hin. „Für diejenigen, die bereits seit vier Wochen Einkommensausfälle von bis zu 40 Prozent schultern, müssen die Hilfen schneller und nicht erst nach Monaten kommen“, sagte Buntenbach. „Gerade bei niedrigen Löhnen und dann, wenn es keine tarifliche Aufstockung gibt, reicht das Geld oft kaum, um über die Runden zu kommen.“

Quelle: Infografik WELT

Die Bundesregierung hatte eine stufenweise Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf den Weg gebracht, um für Beschäftigte die Folgen der Virus-Krise zu mildern. Das Kabinett billigte am Mittwoch einen Gesetzentwurf von Arbeitsminister Heil, mit dem der Beschluss des Koalitionsausschusses vom 22. April umgesetzt wird.

Demnach soll das Kurzarbeitergeld – abhängig von der Dauer der Zwangspause – in zwei Stufen ab dem 4. und dem 7. Monat auf bis zu 80 Prozent und für Eltern auf bis zu 87 Prozent des Lohnausfalls steigen. Üblich sind bisher 60 und 67 Prozent. Dies gilt bis Ende 2020 und nur, wenn mindestens die Hälfte der Arbeitszeit wegfällt. Zudem wird die Zahlung des Arbeitslosengeldes I für diejenigen um drei Monate verlängert, deren Anspruch in den Monaten Mai bis Dezember andernfalls ausliefe.

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