Und am Ende kommt Merz auf die Zuwanderung zu sprechen

Da sitzen sie wie an einem Stammtisch, die drei Männer, in etwas größerem Corona-Schutzabstand, nur mit Wasser, kein Hinterzimmer, sondern ganz öffentlich, vor Kameras. An der Wand steht die Aufschrift „CDU-Vorsitz: Die Kandidatenrunde“. Eine Moderatorin kommt dazu, Tanja Samrotzki. Dann sprechen Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Armin Laschet 90 Minuten über Politik.

Es ist entspannt, es gibt einmal Gelächter, als Merz erzählt, dass er vier Enkel habe und bald der fünfte komme, da können die beiden anderen nicht mithalten. Auf die luftige Frage der Moderatorin, wie Röttgen denn Deutschland bei den Themen Technologie und Innovation „wachküssen“ wolle, steigt er charmierend voll ein und sagt: „Küssen ist natürlich immer eine sehr sympathische Methode um wach zu werden und mobil zu werden. Aber damit allein wird es auf diesem Gebiet nicht gehen.“ So locker kann es zugehen im knallharten Wettbewerb. Nur einmal wird es im späteren Verlauf etwas konfrontativer.

Kurz kommt der Gedanke: Lasst die drei es doch gemeinsam machen, dann ist für alle etwas dabei, der Schneidige, Konfrontative und der Forsche, Juvenile und der Wohlwollende, alles Umarmende. Sie kennen sich nun seit Jahrzehnten, duzen sich und können sich immer noch an einen Tisch setzen. Aber es kann letztlich nur einen CDU-Parteichef geben, einen Kanzlerkandidaten, und vielleicht können sich die Mitglieder und Delegierten nach dieser Zusammenkunft zumindest mit der Erkenntnis arrangieren, dass jeder der drei etwas vom anderen in sich trägt.

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Ganz abgesehen vom Äußerlichen, vom Charakter, vom Image, was unterscheidet inhaltlich den früheren Unionsfraktionschef Friedrich Merz, 65 Jahre, vom Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, 55 Jahre, und von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, 59 Jahre? Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, auch nach dieser ersten Kandidatenrunde nicht.

Deshalb ein kleines Experiment: Was wäre, wenn die Kandidaten nicht zu sehen und ihre Stimmen nicht zu hören wären, dann käme man ziemlich ins Grübeln. Eine Auswahl allein nach inhaltlichen Kriterien, nach den Aussagen, wäre kaum noch möglich, wie folgende drei Beispiele aus dem Gespräch zeigen.

Erstens: „Bei der inneren Sicherheit klare Kante und keine Kompromisse mit einem Koalitionspartner zulasten der Sicherheit unserer Bürger.“

Zweitens: „Die ökologische Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft steht ganz oben auf der Agenda.“

Drittens: „Wir brauchen einen digitalen Aufbau Deutschlands.“

Ist wirklich klar, wer was gesagt hat? Der erste Satz stammt von Laschet, den man vielleicht eher Merz zugetraut hätte. Der Zweite stammt von Merz, den man eher Röttgen zugedacht hätte, und der Dritte kam von Röttgen, der auch zu den beiden anderen passen würde.

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Deshalb ist die Vorstellungsrunde gleich zu Beginn wichtig. Ebenso die erste Frage eines CDU-Mitglieds, welchen Stempel sie der CDU aufdrücken wollen, denn da kommen die unterschiedlichen Persönlichkeiten zur Geltung, und das, was ihnen besonders wichtig ist. Röttgen sagt, er habe „Erfahrung in Sieg und Niederlage“, es treibe ihn um, „was alles auf dem Spiel steht“, er spricht von Umbrüchen. Röttgen spricht schnell und drängend.

Merz bekommt von der Moderatorin den Stempel „Aufbruch und Erneuerung“ aufgedrückt und nimmt das gern an. Er sagt, Deutschland stehe vor einem spannenden Jahrzehnt, die CDU vor einer tiefen Zäsur, er betont die ökologische Erneuerung. Man müsse unterschiedliche Auffassungen aushalten „und vielleicht zurückkehren zur Auseinandersetzung in der politischen Mitte. Ich vermisse sie dort seit einigen Jahren und ich will nicht, dass wir sie den Rändern überlassen.“

Laschet stellt sich tatsächlich vor wie bei einer Bewerbung, Name Alter, Beruf. Er leiste seit seinem Amtsantritt 2017 jeden Tag „konkrete Politik für die Bürger“, er sei ein Teamplayer, deshalb trete er gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Wettbewerb um den Parteivorsitz an. Laschet will „Stadt und Land versöhnen“, unterschiedliche Positionen zusammenführen, Strömungen „sammeln“.

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Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen den Dreien sind groß, und oftmals ist nur entscheidend, wer zuerst dran ist, um eine Position zu besetzen. Merz und Laschet wollen wie Röttgen, dass sich mehr Frauen in der Partei und in Führungspositionen engagieren. Für Merz ist eine feste Quote nur die „zweitbeste Lösung“, aber er sperrt sich nicht dagegen. Laschet sagt, „Steuern senken, das kann man im Moment nicht seriös versprechen.“ Das wäre keine ehrliche und keine reale Politik. Merz stimmt dem ausdrücklich zu, Röttgen widerspricht nicht.

Bei der Frage, welche Position sie bei Koalitionsverhandlungen mit den Grünen sie nicht aufgeben würden, warnt Röttgen: „Ein Koalitionswahlkampf ist das Falscheste, was wir tun können“. Laschet sagt, er teile Röttgens Sicht. Dann wird er noch etwas konkreter und klingt wie ein Hardliner, als er betont, dass es bei der inneren Sicherheit keine Kompromisse geben könne, dass eine Null-Toleranz-Politik gelte und die CDU nichts machen werde, was das Industrieland Deutschland in seiner Substanz gefährde. Merz sagt ähnlich wie Röttgen, die CDU müsse ein eigenes umweltpolitisches Profil haben. Es gehe um marktwirtschaftliche Instrumente, um „Ideen statt ständige Verbote“.

Röttgen und Merz sprechen sich vehement für Digitalisierung aus, nach Ansicht von Laschet wohl zu vehement, denn er betont, man dürfe den Menschen nicht die Illusion einreden, in zehn Jahren sei alles digital. „Es wird auch viele Arbeitsplätze geben, die nicht digital sein können. Dienstleistungsberufe, Alten- und Pflegeberufe, die werden zunehmen, und gerade diese Arbeitsplätze, wo es auf menschliche Nähe ankommt, die lassen sich nicht digitalisieren“, sagt der NRW-Ministerpräsident.

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Beim Themenkomplex Digitalisierung weht etwas Streitbares heran, als Merz und Röttgen beklagen, Kommunen und Länder würden die bereitgestellten Finanzmittel des Bundes nicht schnell genug abrufen. Merz fordert mehr Organisationsverantwortung der Länder, weil die Schulen überfordert seien. Laschet widerspricht und beklagt, dass die Regeln im Umgang mit solchen Bundesmitteln für Digitalisierung geändert werden müssten, es brauche eine Föderalismusreform. Da stimmt Merz zu, „bin sehr einverstanden“, und Röttgen ebenfalls.

Die Drei eint auch Ratlosigkeit beim letzten Thema. Ein CDU-Mitglied aus Gummersbach fragt, wie sie die Schere zwischen Arm und Reich verkleinern möchten. Laschet nennt keine Lösung, sondern beschreibt die Risiken der Pandemie, dass es Menschen gebe, die gut und sogar gestärkt aus der Krise kämen, andere aber um ihre berufliche Existenz fürchten müssten. Große Unternehmen wie Amazon würden von der Krise profitieren, die müsse man endlich dazu bringen, mehr Steuern zu zahlen. Röttgen sieht das ähnlich. Er beklagt, dass die systemischen Berufe der Pandemie, die Pflegekräfte, die Krankenschwester, die Kassiererin, das seien alles typische Frauenberufe, die schlecht bezahlt seien. Es brauche eine größere „moralische und finanzielle Wertschätzung“ für diese Berufe.

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Und dann kommt Merz. „Man muss allerdings auch mal sagen: Wenn wir die Zuwanderung in den Jahren 2015/2016 in die Sozialsysteme nicht gehabt hätten, hätten wir eine Million Harz-IV-Empfänger weniger. Das gehört zum vollständigen Bild der Debatte auch dazu. Es wird leider häufig genug unterschlagen“, sagt er mal eben so und lässt es stehen. Das ist also sein zentrales Statement, wenn es um die Frage von Arm und Reich geht. Das böte einigen Diskussionsbedarf, doch Laschet und Röttgen entgegnen nichts darauf.

Sie verabschieden sich. „Dieser Abend war ein Abend, der gezeigt hat, wie wir gut in der CDU diskutieren können über Zukunftsthemen“, sagt Laschet. Kandidat Röttgen lobt einen „respektvollen Wettbewerb“ und die täglichen Diskussionen mit der Parteibasis, und Merz freut sich: „Hier bricht gerade etwas auf. Es bricht eine neue Diskussionskultur auf. Und die CDU besinnt sich auf eine Zeit nach Angela Merkel.“ Auch darüber ließe sich lange diskutieren, doch die erste Kandidatenrunde ist beendet. Die zweite Runde soll am 8. Januar stattfinden. Eine Woche vor dem ersten digitalen Parteitag der CDU, wo der Parteichef gewählt wird.

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