Sputnik V für Deutschland? Jetzt mischen sich Zweifel in die Euphorie

„Glückwunsch, ihr Idioten“, belegte der Ex-Premier und heutige Finanzminister der Slowakei, Igor Matovic, die Arzneimittelaufsicht seines Landes mit beißendem Spott. Auf Facebook polterte der Politiker, die Behörde setze das Leben von einer Million Slowaken aufs Spiel, und zwar aus „geopolitischen Gründen“.

Kurz zuvor hatten die Aufseher eine Beschwerde über den russischen Impfstoff Sputnik V veröffentlicht, von dem die Slowakei zwei Millionen Dosen geordert hatte. Die ihr vorliegende Charge habe mit dem Vakzin, das in der Fachzeitschrift „Lancet“ gelobt worden war, „nur den Namen gemeinsam“; der Impfstoff werde daher nicht freigegeben.

Moskau reagierte erzürnt – und stoppte nicht nur die weitere Lieferung, sondern forderte 200.000 bereits gesendete Ampullen zurück, statt wie verlangt weitere Daten zu präsentieren. Mit „Desinformationen“ werde „Sabotage“ betrieben, verbreitete der offizielle Twitter-Account von Sputnik V.

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Für Bayern und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kommen die Streitigkeiten über die Zuverlässigkeit des russischen Vakzins zur Unzeit – ebenso wie die wachsenden Zweifel anderer Wissenschaftler an dem Mitte vorigen Jahres auffällig eilig auf den Markt gebrachten Impfstoff.

Denn just wenige Stunden vor der Veröffentlichung der slowakischen Behörde hatte Söder bekannt gegeben, als erster deutscher Politiker eine Vorbestellung auf Sputnik gezeichnet zu haben. Sollte Sputnik V die Zulassung für die EU erhalten, könnte Bayern damit flugs für 2,5 Millionen Ampullen die Hand heben.

Mit seinem Vorpreschen hatte Söder zunächst eine Kettenreaktion ausgelöst. Es habe viele positive Reaktionen gegeben, heißt es in Bayern, andere Bundesländer hätten sich umgehend erkundigt über praktische Details der Vereinbarung. Als Vertriebspartner zuständig für die Lieferungen ist der Russia Direct Investment Fund (RDIF).

Bayern sichert sich Sputnik V – So steht es um die Impfstoffe in Deutschland

SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach schließt sich der erneuten Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur an und hat sich nun mit AstraZeneca impfen lassen. Unabhängig davon wird in Deutschland auf weitere Zulassungen von Impfstoffen gehofft, so zum Beispiel auf das russische Vakzin Sputnik V.

Quelle: WELT/ Viktoria Schulte

Dort sicherte sich tatsächlich auch alsbald Mecklenburg-Vorpommern eine Million Dosen. Die Mecklenburger hatten sogar schon seit geraumer Zeit Gespräche über Sputnik V geführt, Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hatte das nur anders als ihr Kollege Söder nicht an die große Glocke gehängt.

Impfstoff sei bekanntermaßen knapp, die bisherige Einkaufspolitik unglücklich, heißt es in Schwerin. Es sei bis Donnerstag unklar gewesen, ob und wie sich das Bundesgesundheitsministerium um die Beschaffung von Vakzin aus Russland bemühe. „Daher gehen wir den Mecklenburger Weg“, sagt ein Sprecher.

Und dieser Weg hat zwei Spuren: Die eine ist die Erwartung, dass sich die Bundesregierung um die Beschaffung von Sputnik V kümmert und den Impfstoff auf die Länder verteilt. Die andere sind weitere, durch das Bundesland selbst gesicherte Impfdosen.

Großer Druck auf Spahn und die Bundesregierung

Gerade im Osten fordern Landeschefs und Kommunalpolitiker seit Wochen immer drängender, sich den russischen Impfstoff zu sichern oder zumindest Vorgespräche zu führen. Doch aus Sicht mehrerer Staatskanzleien ist nichts passiert – oder nicht schnell genug.

Dass nun ausgerechnet Bayern den ersten Schritt machte, sorgte zwar für Verwunderung. „Wir waren von der Ankündigung der bayerischen Impfstoffbestellung ehrlich gesagt überrascht“, sagte ein Sprecher der Landesregierung in Thüringen. Aber sollte es Bayerns Ziel gewesen sein, den Bund und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unter Druck zu setzen, dann ist das gelungen.

Selten haben die Bundesländer Spahn so getrieben wie im Fall Sputnik V. Spahn sah sich genötigt, selbst anzukündigen, nun ebenfalls Verhandlungen mit der russischen Seite aufzunehmen. Und das im nationalen Alleingang, also ohne die EU-Kommission und die EU-Mitgliedsländer.

Ramelow fordert schnelle Zulassung von Sputnik V

Während die Amerikaner im Eiltempo die Bevölkerung impfen, steht Deutschland bei der Geschwindigkeit immer schlechter da. Thüringens Ministerpräsident Ramelow fordert nun eine schnelle Zulassung des russischen Impfstoffes Sputnik V.

Quelle: WELT/ Fanny Fee Werther

Allerdings will die EU nach eigenem Bekunden ohnehin keine Verträge mit den Russen abschließen, sondern sich auf Hersteller konzentrieren, deren Mittel bereits zugelassen sind oder kurz vor der Zulassung stehen.

Der Impfstoff-Beauftragte der EU-Kommission, Thierry Breton, sieht zwar angeblich „keinen Grund“, an der Effektivität, Sicherheit und Qualität von nicht in der EU entwickelten Vakzinen zu zweifeln. Aber die Prüfung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA dauere in der Regel mehrere Monate, gab Breton zu bedenken – und das Zulassungsverfahren für Sputnik laufe erst seit Anfang März.

Doch wenn die Zweifel rund um Sputnik nicht beseitigt werden, dann dürfte es schwer werden, für den Impfstoff schnell genug eine Zulassung zu bekommen. Je länger das Verfahren jedoch dauert, desto mehr Impfstoff haben die EU und Deutschland von anderen Herstellern zur Verfügung. So argumentiert auch Spahn und warnt vor einer „Fata-Morgana-Debatte“.

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Nach Russland zum Impfen

Auch der Vorschlag einiger Politiker, Sputnik schon mal einzukaufen und in Deutschland auf Eis zu legen bis zur Zulassung, um das Vakzin dann umgehend verimpfen zu können, läuft ins Leere: Ohne EU-Zulassung greift das sogenannte Verbringungsverbot des Arzneimittelgesetzes.

„Der Impfstoff kann daher zwar eingekauft, darf aber nicht beziehungsweise nur mit einer Ausnahmegenehmigung nach Deutschland gebracht werden“, sagt Jan-Philippe von Hagen WELT. Der Rechtsanwalt ist Experte für Medizinrecht bei der Hamburger Kanzlei Korten Rechtsanwälte AG.

Wissenschaftler melden Bedenken an

Wegen der nicht ausreichend verfügbaren Daten mehren sich unterdessen skeptische Stimmen von Wissenschaftlern. „Grundsätzlich sehe ich den russischen Impfstoff derzeit noch kritisch“, sagt Fred Zepp, ehemaliger Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin an der Universität Mainz und Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko). „Bislang kennen wir nur Zwischenergebnisse und noch keinen Bericht über die abgeschlossene Studie.“

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Sputnik ist wie AstraZeneca ein Vektorimpfstoff. „Mangels Daten können wir gegenwärtig das Sicherheitsprofil, beispielsweise auch hinsichtlich Thromboserisiken, nicht belastbar einschätzen“, so Zepp. Das Besondere an Sputnik ist, dass für die erste und zweite Impfung zwei verschiedene menschliche Erkältungsviren verwendet werden. Das soll die Wirkung erhöhen.

Christine Falk, Präsidentin der deutschen Gesellschaft für Immunologie, nannte das WELT gegenüber zwar eine „eigentlich geniale Idee“. Aber sie habe noch „viele Fragen“ bei Sputnik V. „Die Studiendaten sind nicht optimal präsentiert.“

Der Impfstoff sei vom russischen Staatsinstitut Gamaleya Research Institute entwickelt worden. Um die Impfreaktion zu überprüfen, sei ein Test genutzt worden, der ebenfalls von diesem Institut entwickelt wurde. „Das entspricht nicht den allgemeinen wissenschaftlichen Standards.“

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Zulassung, Nebenwirkungen & Co.

Für Bayern wäre die Verschleppung der Zulassung in gleich doppelter Hinsicht ein Rückschlag: Nicht nur wäre die Sicherheitsreserve weg, die sich die Staatskanzlei durch die zusätzliche Lieferung aus Russland erhofft. In Illertissen im bayerischen Schwaben will das Unternehmen R-Pharm Germany GmbH, ein Ableger eines russischen Pharmakonzerns, auch eine große, biotechnische Produktionsstätte aufbauen. Die soll ganz Europa mit Sputnik versorgen. Auf dem Gelände wird bereits kräftig gebaut.

Interesse auch seitens Unternehmen

Die Alleingänge der Bundesländer, die von allem abweichen, was man bislang bei der Impfstoffversorgung verfolgt hat, sorgen auch für Beschaffungsfantasien in der Wirtschaft. In Österreich versuchen erst Unternehmen bereits, sich selbst Impfstoff zu organisieren. „Im Rahmen einer funktionierenden Marktwirtschaft müsste das ja funktionieren“, sagt ein deutscher Verbandsfunktionär. In großen Konzernen sei es ja üblich, dass die ihre Belegschaften impfen würden.

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Offensive der Bundesregierung

WELT gegenüber signalisierte beispielsweise der Münchner Agrarhändler Baywa AG Bereitschaft, selbst Impfstoff am Markt zu kaufen, „wenn die rechtlichen Voraussetzungen hierfür geschaffen werden würden“. Dabei gibt es diese Möglichkeit bereits, wie Medizinrechtler von Hagen erklärt: „Es gibt kein Verbot für Privatunternehmen, Arzneimittel zu erwerben.“ Konzerne oder Mittelständler könnten durchaus Impfstoff für ihre Belegschaft besorgen, nur sei eben derzeit nicht genug verfügbar.

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Bei Knappheit greift aber die Arzneimittelversorgungsverordnung. Sie verpflichtet Hersteller dazu, Arzneimittel „angemessen und kontinuierlich“ zur Versorgung der Bevölkerung bereitzustellen, also vorrangig die Hoheitsträger zu beliefern.

Aber von Hagen ist überzeugt: „Es ist sehr gut vorstellbar, dass Impfstoffe Produkte des freien Marktes werden, sobald genug davon vorhanden ist.“ Dann würden vermutlich auch Unternehmen versuchen, direkt bei Produzenten einzukaufen. „Die Marktmacht, die manche unserer Großkonzerne beim Einkauf haben, wäre schon ein Plus bei der Beschaffung von Impfstoff“, sagt auch ein Wirtschaftsvertreter.

Zudem klappt ja derzeit noch nicht mal das Impfen in den Betrieben, selbst mit gestelltem Impfstoff. 12.500 Betriebsärzte stünden bereit, die Belegschaften zu immunisieren. Aber rechtliche Hürden würden das immer noch verhindern, klagt ein Wirtschaftsvertreter.

„Ein Fragenkatalog der Verbände zum Thema Impfen in Betrieben, der der Bundesregierung übergeben worden ist, wurde bis heute nicht beantwortet“, kritisiert ein Verbandsfunktionär. Wenn man in den Unternehmen nicht impfen könne, brauche man sich über die eigene Versorgung mit Vakzinen keine Gedanken zu machen.

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