Der schwärzeste Tag des Präsidenten

Schwere, schmerzhafte Stunden erleben die USA, während die Gefahren nach dem jüngsten Anschlag in Afghanistan eher größer als kleiner werden. Mindestens 13 amerikanische Soldaten und vermutlich etwa 160 Afghanen sind am Donnerstag ums Leben gekommen.

So viele eigene Opfer an einem Tag hatten die US-Streitkräfte seit 2011 nicht zu beklagen. Weitere tödliche Attacken sind möglich. Als sehr gefährlich bezeichnen die USA die letzte Phase ihrer Präsenz in Afghanistan. Das nennt man Erwartungsmanagement.

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Truppenabzug

Für Joe Biden war der Donnerstag der bisher schwärzeste Tag seiner Amtszeit. Der Präsident trägt die Verantwortung – für den chaotischen Abzug und das frappierende Hin und Her. Die Kritik am Präsidenten ist groß, selbst Demokraten äußern sich verärgert. Die Behauptung, wonach „die Medien“ Biden konsequent schonen, erweist sich als haltlos. Die Republikaner schlagen auf Biden ein, besonders hart sein Vorgänger, der Afghanistan schon bis April räumen wollte. So weit, so erwartbar.

Biden hatte im Wahlkampf mit außenpolitischer Erfahrung und internationaler Verlässlichkeit geworben. Er nahm für sich in Anspruch, eine Regierung zu führen, die ihr Handwerk versteht. Mit der Art und Weise des Rückzugs vom Hindukusch ist dieser Ruf dahin.

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Reporter vor Ort

Nach sieben Monaten im Amt befindet sich Biden auf dem Tiefpunkt seines Ansehens. Wer ihn bei seiner Ansprache am Donnerstagabend beobachtet hat, ahnt, dass er hier keine Illusionen hegt. Man hat Biden, mit belegter Stimme und den Tränen nahe, selten so verzagt gesehen.

Umso stärker fällt auf, wie überzeugt Biden seine Grundsatzentscheidung verteidigt – nämlich: raus aus Afghanistan. Mit entschiedenem Tonfall stellte er fest: „Ich war nie der Meinung, dass wir amerikanische Leben opfern sollten, um zu versuchen, eine demokratische Regierung in Afghanistan zu errichten, einem Land, das in seiner gesamten Geschichte noch nie ein geeintes Land war.“ Es sei an der Zeit, „einen 20-jährigen Krieg zu beenden“.

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Afghanistan-Debakel

Damit spricht Biden der Mehrheit der Amerikaner aus dem Herzen. Gerade weil die Amerikaner ihre Soldaten verehren und um die Opfer trauern, wollen sie weniger Kriege in fernen Ländern, nicht mehr. Die außenpolitischen Falken sind nur eine lautstarke Minderheit.

Dass auf ein Land wie Afghanistan kein Verlass ist, es nicht einmal einen Flughafen sichern kann, wird viele Amerikaner in ihrer Haltung bestätigen. Geht es nach Joe Biden, so wird ihn schon am kommenden Mittwoch etwas von seinen drei Vorgängern unterscheiden. Er will der Präsident sein, der den Afghanistan-Einsatz beendet hat. Den USA gefällt das.

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