In Mali droht eine Spirale der Gewalt

Sollte die Bundesregierung gehofft haben, ihre außenpolitischen Versäumnisse im Wahlkampf verbergen zu können, so ist dieses Vorhaben gründlich gescheitert. Zwar kommen die Auslandseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan oder Afrika in den zahlreichen „Triellen“ oder sonstigen TV-Formaten bestenfalls als Fußnote vor. Die Lage in den Einsatzgebieten aber sorgt auch so für Schlagzeilen.

Erst offenbarte der einseitig von den USA beschlossene Abzug vom Hindukusch, dass Deutschland wie alle europäischen Nationen, die dort engagiert waren, den Entscheidungen der federführenden Amerikaner mangels ausreichender eigener militärischer Fähigkeiten hilflos folgen mussten. Und dann machte die verspätet begonnene Evakuierungsoperation für deutsche Staatsbürger und afghanische Hilfskräfte auch noch klar, dass nicht einmal die Bundesregierung selbst einer abgestimmten Linie folgt, sondern die einzelnen Ressorts eigenmächtig vor sich hinwerkeln.

Das Außenamt ignorierte einen alarmierenden Kabelbericht aus Washington über die zu erwartende Entwicklung in Kabul und versucht das nun durch Geheimhaltung zu vertuschen. Und während deutsche Soldaten mit waghalsigen Flugmanövern und lebensgefährlichen Missionen im Umfeld des Kabuler Flughafens schon Menschen retteten, wartete man im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung noch auf Bewerbungen für eine Taskforce, die dabei unterstützen sollte. Und das Ganze nennt sich in der sicherheitspolitischen Regierungsprosa dann „vernetzter Ansatz“, in dem „militärische und zivile Mittel Hand in Hand zuverlässig für Stabilität, Sicherheit und Frieden sorgen“.

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Während das Thema Afghanistan in der kommenden Legislaturperiode vor allem einen Untersuchungsausschuss des Bundestags beschäftigen wird, schien es bislang so, dass ein anderes, ganz ähnlich gestricktes Engagement weitergehen würde: das in der Sahel-Zone. Das läuft auch schon seit 2013. Rund 1200 deutsche Soldaten sind im Einsatz, der kleinere Teil in der EU-Ausbildungsmission EUTM, die die Streitkräfte Malis und der angrenzenden Staaten Mauretanien, Niger, Burkina Faso und Tschad für den Kampf gegen islamistische Terroristen ertüchtigen soll. Der größere arbeitet unter dem Dach der UN-Mission Minusma, die eine nicht existente Waffenruhe überwachen soll. Flankiert wird der Militäreinsatz wie in Afghanistan von diplomatischen und entwicklungspolitischen Initiativen.

Die Sahel-Zone in Westafrika: Das Gebiet ist deutlich größer als Afghanistan

Die Sahel-Zone in Westafrika: Das Gebiet ist deutlich größer als Afghanistan
Quelle: Infografik WELT

Es gibt allerdings zwei wesentliche Unterschiede zwischen Hindukusch und Sahel. Erstens ist das Operationsgebiet in der Sahara noch größer, die streitenden Ethnien sind noch diverser und auch die Terrorgruppierungen vielfältiger. Zweitens wird sich eine künftige Regierung nicht auf die Ausrede zurückziehen können, man habe das Scheitern nicht kommen sehen. Denn die Defizite der Mission sind schon jetzt zu offensichtlich.

Junta misstraut EU und UN und fordert Söldnerfirma „Gruppe Wagner“ an

Nennenswerte Fortschritte bei der Stabilisierung des Landes und dem Aufbau einer funktionierenden Armee, so lauten die grob gefassten Ziele, sind in den acht Jahren des Einsatzes nicht zu verzeichnen, im Gegenteil. Die malischen Streitkräfte fielen bislang weniger durch Kampfkraft als vielmehr durch zwei Militärputsche gegen die eigene Regierung auf. Und die amtierende Junta, das erfuhr der Verteidigungsausschuss der französischen Nationalversammlung an diesem Dienstag, fühlt sich von EU und UN offenbar nicht ausreichend geschützt – und verhandelt deshalb mit der russischen Söldnerfirma „Gruppe Wagner“. Bis zu 1000 Paramilitärs sollen außerdem die malische Armee trainieren. Man wolle seine internationalen Beziehungen „mittelfristig diversifizieren“, teilte ein Sprecher der Junta mit. Deren Chef, der Armeeoberst Assimi Goïta, wurde übrigens auch in Deutschland ausgebildet.

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Gruppe Wagner

Für die bei dem Einsatz federführenden Franzosen und die anderen Europäer ist das ein Affront. „Wagner ist eine Miliz, die in der Vergangenheit in Syrien und der Zentralafrikanischen Republik mit Misshandlungen und allerlei Verstößen bewiesen hat, dass sie kein Teil einer Lösung und daher mit unserer Präsenz unvereinbar ist“, hatte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian im Parlament erklärt. „Ich sage dies, damit es verstanden wird“, fügte er in Anspielung auf die Regierung in Bamako hinzu. Für Frankreich sei ein Deal mit den Russen eine Rote Linie. Wie die Zeitung „Le Figaro“ an diesem Mittwoch berichtete, prüfe die französische Regierung bereits eine Verlegung ihrer Truppen aus Mali in das Nachbarland Niger, falls der Deal mit Wagner zustande komme.

Kramp-Karrenbauer informierte die Außen- und Verteidigungspolitiker per Twitter

Während die Nationalversammlung also immerhin über die Entwicklung im Sahel in Kenntnis gesetzt wurde, erfuhren die Außen- und Verteidigungspolitiker des Bundestags per Twitter davon. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) setzte dort am Mittwochmittag eine Botschaft ab, in der sie sich der Diktion aus Paris anschloss und die Fortführung des Einsatzes in Frage stellte. „Sollte sich die Zusammenarbeit von Mali mit russischen Söldnergruppen bestätigen, stellt das die Grundlagen des Mandats der Bundeswehr (…) in Frage“, schrieb die Ministerin. Gemeinsam mit dem Bundestag müssten dann Konsequenzen gezogen werden. „Wenn Malis Regierung mit Russland solche Vereinbarungen trifft, widerspricht das allem, was Deutschland, Frankreich, die EU und die UN in Mali seit acht Jahren leisten“, erklärte Kramp-Karrenbauer weiter.

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Unionsfraktionsvize Johann David Wadephul (CDU) allerdings bremst seine Parteifreundin im Wehrressort. „Die Berichte müssen für die Bundesregierung Veranlassung sein, Art und Umfang sowie die Gründe für eine mögliche Kooperation von malischen Kräften mit Wagner-Einheiten zu prüfen“, sagte Wadephul WELT. Dem Bundestag lägen bislang keine Informationen vor, „nach denen der Einsatz dort grundsätzlich infrage zu stellen wäre.“ Das setze ohnehin Abstimmungen auf internationaler Ebene voraus, da die Bundeswehreinsätze im Rahmen von UN- und EU-Missionen mandatiert seien. Außerdem gelte: „Die Notwendigkeit zur Bekämpfung des islamistischen Terrors und zur Stabilisierung der Staaten innere Sahel-Zone bestehen in jedem Fall fort.“

Das Auswärtige Amt gibt sich wie gewohnt „äußerst besorgt“ und kündigt einen „Austausch mit unseren europäischen Partnern, natürlich auch mit Frankreich“ an. Der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai fordert die Bundesregierung auf, die Sachlage zügig zu klären. Er selbst halte einen Einsatz der Söldnertruppe in Mali nicht für ausgeschlossen, sagte er WELT: „Es ist bekannt, dass Wagner-Einheiten überall in Afrika aktiv sind.“ Der Mali-Einsatz allerdings müsse ganz „unabhängig von diesem Vorgang neu bewertet werden“.

Gefahr von Terroranschlägen nimmt zu

Denn während in den Mandatstexten der Bundeswehr-Missionen hartnäckig von einer Stabilisierung der Region die Rede ist, wird die Sicherheitslage im Sahel ungeachtet der internationalen Bemühungen seit Jahren kontinuierlich prekärer. Regelmäßig werden Regierung und Parlament in Briefings von Nachrichtendiensten, Diplomaten und Bundeswehr darüber informiert. Die Landkarten, die die Bedrohungslage abbilden, sind überwiegend orange eingefärbt, was bedeutet: erhebliche Gefahr von Terroranschlägen. Sie reichen von komplexer werdenden Sprengstoffattentaten bis zu taktisch geplanten Überfällen auf Camps. Erst im Juni waren zwölf deutsche und drei weitere UN-Soldaten bei einem islamistischen Selbstmordanschlag während einer Patrouille schwer verletzt worden.

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Die Prognosen der Geheimdienste sagen, das werde absehbar so bleiben. Es drohe eine Spirale der Gewalt, in Mali, in Burkina Faso, in ganz Westafrika. Die staatliche Kontrolle schwindet – und das, obwohl die Terrororganisationen in der klimatisch extremen Sahel-Zone weniger Zulauf von außen haben als zum Beispiel in Syrien. Die deutschen Behörden gehen von rund 10.000 Dschihadisten in ganz Afrika aus. Das ist nicht viel, reicht aber, um die von Korruption durchsetzten Regierungen nachhaltig zu erschüttern.

Und jetzt also auch noch die Gruppe Wagner, die zwar als private Söldnertruppe firmiert, aber erfahrungsgemäß stets die geopolitischen Interessen der russischen Regierung vertritt. So gesehen haben es die Europäer in Sahel nicht mehr nur mit Dschihadisten zu tun, sondern auch noch mit Wladimir Putin. Zwar bestreitet Moskau offiziell jegliche Verbindung zu den Wagner-Einheiten. Doch die Verhandlungen mit der malischen Regierung passen zu Putins Ambitionen, in Afrika wieder an Einfluss zu gewinnen – so wie einst vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Womöglich findet sich in den nächsten Tagen doch noch eine Wahlkampfveranstaltung, in der Regierungsvertreter von Union und SPD sowie Kanzlerkandidaten anderer Couleur erklären müssen, ob Deutschland und seine Verbündeten nun von Russland aus Mali vertrieben werden. Und wie sie verhindern wollen, dass das deutsche Afrika-Engagement ähnlich desaströs endet wie jenes in Afghanistan.

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