„Maybrit Illner“ zum Krieg in der Ukraine: Auf der Suche nach der „off-ramp“ für den Aggressor

„Guten Abend, liebe Zuschauer“, sagt Maybrit Illner, dann stockt sie. Welcher Tag ist heute noch mal? Es ist der elfte Tag des Krieges und es ist nicht Illners regulärer Sendetag. An dem war nur 72 Stunden zuvor Bundeskanzler Olaf Scholz ihr einziger Gast gewesen. Jetzt aber läuft eine weitere Sondersendung, an einem – Illner sortiert sich und sie sortiert damit auch die Zuschauer: – „…Sonntagabend, den wir uns so auch nicht gewünscht haben.“

Wünsche, schönes Thema. Wenn jetzt eine Fee aus den Kulissen träte, man würde höflich nach einer netten Illner-Aufnahme aus seligen Zeiten fragen. Eine zum Wulff-Rücktritt vielleicht, zur Euro-Krise, im Zweifel sogar eine zum „Corona-Chaos“. So kaputt ist man inzwischen als Zuschauer. Außerdem: Pustekuchen. Das Thema auch dieser Sendung ist natürlich Putins Krieg in der Ukraine.

Um Putin ging es bei Illner immer mal wieder. Schon 2014, dem Jahr der Besetzung der Krim von Russland, drängten sich Fragen auf. „Putins Alleingang – droht jetzt Krieg in Europa?“; „Putins neues Russland – Europa am Rande des Krieges?“; „Putins Machthunger – Wie weit wird Moskau gehen?“ Dass man mit der letzten Frage jetzt locker wieder einen Talk betiteln könnte, ist das beruhigend? Oder eher das Gegenteil?

Illners Sondersendung hat angenehmer Weise einfach keinen künstlichen Titel. Es geht jetzt nämlich nicht um Spielerei, um Eigenmarketing, um Politik als Bühnenspiel. Das verändert auch, wie Zuschauer Talksendungen wie die von Illner betrachten und wie sie darin Gäste wie Markus Söder erleben.

Es fühlt sich an, als wäre die Sowjetunion zurück

Der Ministerpräsident ist aus München zugeschaltet. Er lehnt ein bisschen zu lässig in seinem Stuhl, das fällt unangenehm auf. Er fällt auch verbal teilweise zurück, in die von ihm geliebte Rolle des Neuneinhalbmalklugen. Als es um das zweifellos groteske Beschaffungswesen der Bundeswehr geht, das außer teurer externer Beratungsleistung nicht viel zu beschaffen versteht, will Söder wieder alles schon immer besser gewusst haben. Als es um die NATO geht, fordert er fast verstörend routiniert und unbekümmert ein „Stoppschild für Putin“. Wie so ein Stoppschild beschaffen sein könnte und wie gut oder schlecht es wappnen würde gegen thermobare oder nukleare Waffen, das sagt Söder nicht.

Gewinnbringender, wiewohl auch traurig ist es, den anderen Gästen der Runde zuzuhören. Da sitzt Ernst-Jörg von Studnitz und gibt sich sofort zu erkennen als einer jener Superkontakte, die jahrelang im Rolodex auf öffentlich-rechtlichen Schreibtischen verstaubten, deren Telefonnummern jetzt aber wieder extremst gefragt sind. Studnitz hat ein freundliches Gesicht. Er war mal Botschafter in Moskau, bei Illner spricht er von Breschnew und Chruschtschow. Es fühlt sich an, als wäre die Sowjetunion zurück.

Ist sie aber nicht, und „das ist das sehr Gefährliche an der Situation in Moskau heute“, sagt Studnitz. Früher hätte das Politbüro auch mal eingreifen können, wenn einer alles Maß verliert, „eine solche Möglichkeit besteht heute in Moskau nicht, denn der Putin ist Alleinherrscher“. Und an den Putin, an den komme schon längst keiner mehr ran.

„Wir sind“, sagt wiederum Grünen-Co-Chef Omid Nouripour, „jetzt an einem Ort, an dem wir nicht sein wollten und tun Dinge, die wir nicht tun wollten“. Er meint damit seine Partei und deren Diskussion zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Sein Satz aber gilt global. Wie kommt die Welt wieder Weg von dem Ort, an dem sie ist, wie kann sie das Tun von Dingen wieder sein lassen, die fast keiner tun will?

„Putin ist getrieben von Angst“

Der Fernsehfachmann Claus Kleber sagt „im Diplomaten-Talk“, die beste Hoffnung sei eine „off-ramp“ für den Aggressor, ein Ausweg – so kann man das übersetzen -, den Putin selbst nicht als seine Niederlage empfände und seine Gegner nicht als dessen Sieg. Die Wendung wishful thinking wandert einem da durch den Kopf, dazu eine Frage: Gucken gerade alle auch deswegen so viel Fernsehen, weil sie darauf warten, dass endlich jemand kommt und sagt, dass schon alles sehr bald wieder gut wird?

Marina Weisband ist diese jemand schon mal nicht. Die in Kiew geborene Grünen-Politikerin rechnet damit, dass Putin nun verstärkt Artillerie einsetze, damit seine Soldaten dem Brudervolk beim Morden nicht mehr in die Augen sehen müssten, das bringen diese aus guten Gründen oft nicht fertig. Weisband relativiert zudem die nicht nur in Deutschland beliebte Heldenverehrung Wolodimir Selenskijs. Dieser sei „ohne jeden Zweifel ein sehr tapferer Präsident“, aber selbst wenn er fiele, „würden die ukrainischen Leute weiterkämpfen, das machen sie unabhängig von ihm“.

Es geht dann nicht nur in den Köpfen der Zuschauer viel um Angst, sondern auch in der Sendung. „Putin ist eigentlich getrieben von Angst“, sagt Ernst-Jörg von Studnitz und meint das Erstarken von Demokratien in Mittel- und Osteuropa. „Auch so eine Panikattacke“ Putins, sekundiert Markus Söder und meint dessen beherzte Diktatorennothilfe für Lukaschenko bei den Protesten in Belarus. „Angst hilft nicht. Angst hilft nur Putin“, sagt Omid Nouripour. „Angst ist ja auch ein Lähm-Faktor. Angst will ich nicht sagen, Befürchtungen muss man haben“, sagt Claus Kleber.

Die Angst geht um, auch in Deutschland. Mit öffentlicher Klage darüber sollte man wohl dennoch vorsichtig sein. „Sanktionen?“, fragt Illner zum Schluss ihrer Sendung Marina Weisband in diesem immer noch charmanten Stakkato der Ungeduld, das sie bei minimaler Restsendezeit beherrscht wie kaum jemand sonst. Könnten also weitere westliche Sanktionen gegen Russland jetzt einen Beitrag zum Guten leisten, hätte zum Beispiel Deutschland seinen Bedarf an russischen Energieträgern längst radikal reduzieren müssen?

Zum Schluss also darauf Marina Weisband: „Wie zynisch ist es, dass wir einerseits ganz ganz viel humanitäre Hilfe versprechen und Waffen versprechen und auf der anderen Seite letzten Endes die Artillerie mitfinanzieren, die da gerade ukrainischen Leuten auf die Köpfe fällt?“

"Maybrit Illner" zum Krieg in der Ukraine: Cornelius Pollmer liebt Helmut Dietls Film "Late Show", besonders dessen letzte Szene. In einer von Thomas Gottschalk moderierten Talkshow zieht die Runde über deutsches Fernsehen her. Das Beste daran seien für ihn "ohnehin Tierfilme", konstatiert ein Gast - und die vis-à-vis sitzende Veronica Ferres sekundiert, "die sind so menschlich!"

"Maybrit Illner" zum Krieg in der Ukraine: Cornelius Pollmer liebt Helmut Dietls Film "Late Show", besonders dessen letzte Szene. In einer von Thomas Gottschalk moderierten Talkshow zieht die Runde über deutsches Fernsehen her. Das Beste daran seien für ihn "ohnehin Tierfilme", konstatiert ein Gast - und die vis-à-vis sitzende Veronica Ferres sekundiert, "die sind so menschlich!"

Cornelius Pollmer liebt Helmut Dietls Film „Late Show“, besonders dessen letzte Szene. In einer von Thomas Gottschalk moderierten Talkshow zieht die Runde über deutsches Fernsehen her. Das Beste daran seien für ihn „ohnehin Tierfilme“, konstatiert ein Gast – und die vis-à-vis sitzende Veronica Ferres sekundiert, „die sind so menschlich!“

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