Lindners Verbrenner-List

Ein Streit ums Geld könnte in letzter Minute eine Einigung bei den wichtigsten Klimavorhaben der EU blockieren – und verantwortlich dafür wäre ausgerechnet Deutschland. Es geht um viel Geld: Insgesamt 72,2 Milliarden Euro sollen ab 2025 in einen neuen europäischen Geldtopf fließen, der ärmere EU-Länder und Verbraucher in der Energiewende finanziell unterstützen soll.

Der neue Milliardenfonds soll hauptsächlich Regierungen in Mittel- und Osteuropa dazu bewegen, einem der ambitioniertesten Klimaschutzvorhaben der EU zuzustimmen: der Ausweitung des EU-Emissionshandels mit Verschmutzungsrechten auf den Straßenverkehr und Immobilien. Das Vorhaben würde einen EU-weiten CO₂-Preis schaffen, der das Heizen von Wohnungen und Häusern verteuern würde, genauso wie Benzin und Diesel an der Zapfsäule.

Zusammen mit der Reform des bestehenden Emissionshandels für die Industrie und Stromerzeuger sind die Pläne für den neuen ETS 2 das Herzstück des Klimaschutzpakets „Fit For 55“, das Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, im vergangenen Sommer auf den Weg gebracht hat.

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Politiker in Mittel- und Osteuropa, aber auch in Frankreich und anderen südeuropäischen Ländern halten den ETS 2 für das politisch heikelste Klimavorhaben der EU. Regierungen in Mittel- und Osteuropa fürchten Energiearmut, soziale Spannungen und Proteste.

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Als warnendes Beispiel gelten ihnen die Demonstrationen der Gelbwesten in Frankreich vor mehr als zwei Jahren. Die monatelangen und teilweise gewalttätigen Proteste richteten sich gegen die französische Energiewende und höhere Spritpreise.

Eine neue Umverteilung in der EU

Die Widerstände der nationalen Regierungen sollen EU-typisch gebrochen werden: mit viel Geld. Ein Viertel der Einnahmen aus dem neuen Emissionshandel für Benzin, Diesel und Heizung soll in den Klima-Sozialfonds fließen. Das Geld soll ärmere Haushalte, Autofahrer und Kleinstunternehmer unterstützen, beispielsweise mit Hilfen für die energieeffiziente Sanierung ihrer Häuser.

Der Fonds bedeutet hauptsächlich neue Umverteilung in der EU: aus wirtschaftsstarken Ländern wie Deutschland in ärmere EU-Mitgliedsstaaten in Ost- und Mitteleuropa aber auch in südeuropäische Länder.

„Der Klima-Sozialfonds sorgt für den sozialen Ausgleich der einheitlichen CO₂-Bepreisung und für Umverteilung der Erlöse hin zu Mitgliedstaaten mit niedrigem Einkommensniveau“, heißt es in einer Analyse des Öko-Instituts für das Umweltbundesamt. Polen wäre nach den Kommissionsplänen der größte Profiteur des Fonds.

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CO₂-Grenzausgleich

Die Umwelt-Minister der 27 EU-Mitgliedstaaten wollen ihre Position zu dem neuen Milliardentopf beschließen. Auf der Tagesordnung steht ein ganzes Bündel an miteinander verzahnten Vorhaben: Neben dem geplanten Klima-Sozialfonds stimmen sie über den umstrittenen ETS 2 ab, über eine Verschärfung des bestehenden Emissionshandels für die Industrie und den neuen Grenzausgleichsmechanismus CBAM, der die Industrie vor weniger klimafreundlich produzierender Konkurrenz aus Übersee schützen soll.

Deutschland blockiert beim Klimasozialfonds

Jetzt sah es so aus, als stünde Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ein unangenehmer Termin bevor, denn ausgerechnet Deutschland blockiert beim Klimasozialfonds. Die Bundesregierung will, dass weniger von den ETS-Erlösen in den EU-Topf und die neue Umverteilung in der EU fließen – und mehr der Einnahmen für sich behalten.

In Brüssel kursiert ein Kompromissvorschlag der französischen Ratspräsidentschaft, die im Moment die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten koordiniert. Er sieht offenbar vor, dass der ETS 2 für den Verkehr und Heizung erst 2027 eingeführt wird und damit ein Jahr später als von der Kommission vorgesehen. Das bedeutet allerdings auch, dass bis 2032 weniger Geld in den Klimasozialfonds fließen würde, nämlich nur 58 Milliarden Euro.

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CO₂-Grenzwerte

Für die Bundesregierung ist das aber offenbar immer noch zu viel. Berlin beharre darauf, dass der Fonds kleiner ausfalle, heißt es in Brüssel. Die Bundesregierung habe ein Volumen von 20 Milliarden gefordert, berichteten zwei Diplomaten gegenüber WELT.

Die Forderung ist heikel, denn ETS 2 und Klima-Sozialfonds kann es nur im Paket geben; das ist das Verständnis in Brüssel. Dem ETS 2 werden viele EU-Mitgliedstaaten aus Ost- und Südeuropa nur zustimmen, wenn sie Ausgleichszahlungen aus dem Milliardentopf erwarten können. Gleichzeitig kann es den Topf nicht geben, wenn es den ETS 2 und die damit verbundenen Einnahmen nicht gibt.

„Jeder weiß, es wird keinen Klimasozialfonds ohne ETS 2 geben und das gilt auch umgekehrt“, sagt ein Diplomat in Brüssel. „Entweder gibt es eine Einigung in allen Punkten oder das ganze Paket scheitert.“ Die Diskussion um den Klima-Sozialfonds würrden definitiv den Tag bestimmen. „Die Franzosen müssen die 40-Millionen-Frage lösen“, sagt ein Diplomat mit Blick auf die Differenz zwischen der kolportierten deutschen Vorstellung und dem französischen Kompromissvorschlag

Offenbar FDP treibende Kraft hinter Blockadehaltung

Die deutsche Blockadehaltung dabei ist verblüffend, denn Deutschland drängt seit Langem auf den ETS 2. Er würde dafür sorgen, dass Staaten in Süd- und Osteuropa, die bisher beim Klimaschutz hinterherhinken, stärker gefordert werden als bisher. Verbraucher und Unternehmen in Deutschland hingegen, wo es bereits einen CO₂-Preis für Kraftstoff gibt, müssten einen weniger großen Teil der Last tragen.

Offenbar ist die FDP in der Ampelkoalition die treibende Kraft hinter der Blockadehaltung und hier ganz besonders Bundesfinanzminister Christian Lindner. Das ist zumindest die Lesart in Brüssel. Das Motiv ist aber unklar.

Verständlich ist zwar, dass der Finanzminister angesichts einer bevorstehenden Rezession einen größeren Teil der Einnahmen für sich behalten will. Gleichwohl blockiert die FDP im Hintergrund, anstatt sich etwa öffentlich als Verteidiger deutscher Interessen zu gerieren.

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Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese, der die ETS-Reform durch das Europäische Parlament begleitet hat, vermutet ein anderes Motiv dahinter: „Vielleicht strebt die FDP ein Koppelgeschäft an“, sagt der Politiker. „Die FDP wirbt sehr dafür, dass sie das Aus für den Verbrennungsmotor nicht unterstützt. Vielleicht erreicht sie da auf EU-Ebene eine Öffnung.“

Tatsächlich beraten Lemke und ihre 26 Amtskollegen auch eine Verschärfung der Emissionsregeln für Autos, die de facto ein Verbot des Verbrennermotors ab 2035 bedeuten würden. Die FDP fordert aber Ausnahmen für Verbrennungsmotoren, die synthetisch erzeugte Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien verbrennen.

Bisher hat sich die Bundesregierung noch nicht auf eine Position geeinigt. Regierungsinterne Absprachen liefen noch, hieß es. Bei den Verhandlungen in Brüssel hat der deutsche Vertreter sich bislang enthalten. Würde Umweltministerin Lemke sich ebenfalls enthalten, weil die Ampel keine gemeinsame Position findet, stünde das Verbrenner-Aus auf der Kippe. Bulgarien, Italien, Portugal, Rumänien, die Slowakei und Ungarn wollen gegen die EU-Pläne stimmen; bei einer Enthaltung Deutschlands könnten sie das Vorhaben kippen.

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