Silberbach: „Es herrscht das Gießkannenprinzip“

Herr Silberbach, Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Gewerkschaften aufgefordert, in den anstehenden Tarifrunden aufgrund der Rekordinflation Maß zu halten. Wird der DBB dem Folge leisten?

Der Bundeskanzler hat zu seiner „Konzentrierten Aktion“ ins Kanzleramt eingeladen, daran habe ich teilgenommen. Tarifverhandlungen werden aber dort nicht geführt. Wir werden im Oktober unsere Tarifforderungen für Bund und Kommunen beschließen. Die werden hoch sein. Anders geht es in der jetzigen Lage nicht.

Also ist die „Konzentrierte Aktion“ gescheitert?

Nein. Wenn die Bundesregierung die „Konzentrierte Aktion“ zum Beispiel dafür nutzen möchte, angesichts der Inflation über weniger Ausgaben nachzudenken, helfen wir gerne. Wir sollten zum Beispiel darüber sprechen, wie wir die Sozialausgaben gezielter einsetzen. Es mangelt an Kontrollen, ob alle Sozialleistungsbezieher tatsächlich berechtigt sind. Da gibt es Missbrauch. Dem Staat geht unnötig Geld verloren. Um diese Kontrollen durchzuführen, brauchen wir aber mehr Personal in den Behörden.

Mehr Personal fordern Sie regelmäßig. Sie fragen jährlich den Personalmangel im öffentlichen Dienst bei Ihren Mitgliedsgewerkschaften ab. Gibt es für 2022 schon Zahlen?

Ja, nach Einschätzung unserer vierzig Mitgliedsgewerkschaften fehlen 360 000 Beschäftigte. Dabei berücksichtigen wir nicht nur offene Stellen, sondern auch den Personalbedarf, der sich durch neue Aufgaben ergibt.

Können die Mitgliedsgewerkschaften das überhaupt beurteilen?

Unsere Mitgliedsgewerkschaften sind in den Personalvertretungen und die haben Stellenpläne und Aufgabenbeschreibungen. Die Zahlen basieren auf der Realität vor Ort und sind keine Wunschliste. Die 360.000 sind zudem nur eine Momentaufnahme: In den nächsten Jahren wird die Zahl aufgrund der Pensionierung der Babyboomer-Jahrgänge noch viel größer.

Welche Maßnahmen beheben effektiv den Personalmangel?

Zwei Dinge sind sehr wichtig: Zum einen brauchen wir endlich eine langfristige Personalplanung in der Verwaltung, die den Demographischen Wandel berücksichtigt. Wir müssen schon jetzt Stellen schaffen, um kommende Generationen auf die anstehenden Aufgaben vorzubereiten. Zum anderen müssen wir den öffentlichen Dienst durch Anreizsysteme attraktiver machen. Finanziell können wir mit der Privatwirtschaft nicht konkurrieren. Aber der öffentliche Dienst kann ein besonders moderner und familienfreundlicher Arbeitgeber sein.

Das ist er doch schon. Es gibt in fast allen Bereichen Gleitzeit und Homeoffice.

Viele Beschäftige schieben einen Berg von Überstunden vor sich her. Da müssen wir ran.

Letztlich laufen Ihre Vorschläge auf mehr Stellen und mehr Ausgaben heraus. Muss die Bürokratie immer fetter werden?

Unsere europäischen Nachbarn geben gemessen an der Wirtschaftsleistung deutlich mehr Geld für den öffentlichen Dienst aus und Beschäftigen pro Kopf viel mehr Menschen beim Staat als wir. Mir ist aber natürlich bewusst, dass in etlichen Bereichen mit der Digitalisierung Aufgaben wegfallen könnten, gerade Routineangelegenheiten. Aber die Stellen brauchen wir trotzdem, für andere Aufgaben, zum Beispiel in der Beratung.

Jemand, der bisher Routineaufgaben erledigt hat, ist nicht unbedingt qualifiziert, künftig andere Tätigkeiten zu erledigen. Im öffentlichen Dienst gibt es wenig Druck, sich weiterzubilden.

Das stimmt, das liegt aber nicht an uns Gewerkschaften. Wir fordern schon lange eine Qualifizierungsoffensive für die Verwaltung und sind für eine leistungsgerechte Bezahlung offen. Wer sich weiterbildet, soll mehr bekommen. Eine leistungsgerechte Bezahlung im öffentlichen Dienst scheitert oft daran, dass Vorgesetzte die Verantwortung scheuen und keine Leistungsprämien vergeben, obwohl sie es könnten. Es herrscht das Gießkannenprinzip.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*