Wenn sich die Koalitionäre nicht noch auf der Zielgeraden in die Haare geraten, bringen sie in der kommenden Woche ein weiteres Entlastungspaket auf den Weg. Damit sollen die finanziellen Härten vor allem durch die stark steigenden Energiepreise gelindert werden.
„Angesichts der aktuellen und zu erwartenden Kostensteigerungen haben wir keine Zeit, ein drittes Entlastungspaket für die Bürger noch lange öffentlich zu diskutieren. Wir müssen jetzt handeln“, sagte der Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, WELT AM SONNTAG. „Ich bin optimistisch, dass wir kommende Woche eine Einigung der Koalition darüber haben, wie wir die Menschen zielgerichtet entlasten. Mit einem klaren Fokus auf Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen.“
Die Zeit drängt auch deshalb, weil der Bundestag in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause ab dem 5. September unter anderem die erste Lesung des Haushaltsentwurfs auf dem Programm hat. Des Haushaltsplans für 2023. Bevor die Abgeordneten den behandeln, wollen sie einen Überblick über die Kosten für weitere Entlastungen gewinnen. Also müssen sie diese vor dem 5. September klären.
Noch enger wird der Zeitplan dadurch, dass das dritte Entlastungspaket nach dem Willen der SPD vor der Klausurtagung ihrer Bundestagsfraktion fertig sein soll, zu der sich die Abgeordneten Donnerstag und Freitag kommender Woche in Dresden treffen. Eine Einigung müsste demnach bis Mittwoch erreicht werden, mit großer Wahrscheinlichkeit als Ergebnis einer Sitzung des Koalitionsausschusses. Dienstag und Mittwoch nächster Woche kommen allerdings die Kabinettsmitglieder zur Klausur auf Schloss Meseberg bei Berlin zusammen.
Demnach bleibt den Ampel-Partnern nur ein kleines Zeitfenster, um das nächste Paket zu schnüren. „Es hat bereits intensive Gespräche gegeben. Vorsorglich wurde allen, die daran mitarbeiten, gesagt, sich das Wochenende dafür zu reservieren“, heißt es in Koalitionskreisen: „Theoretisch ist ein Treffen der Koalition ab Sonntagabend möglich.“
Das würde voraussetzen, dass sich SPD, Grüne und die Liberalen darüber einig sind, wie die Menschen entlastet werden wollen. Doch das sind sie noch nicht.
Wie soll das Ganze finanziert werden?
Ein Punkt, der für kontroverse Diskussionen sorgen dürfte, ist die Finanzierung des dritten Pakets. Von der Klärung dieser Frage hängt maßgeblich ab, wie groß es diesmal ausfällt und welche Bevölkerungsgruppen mit staatlichen Zuwendungen rechnen können.
Einig sind sich die Koalitionäre darin, dass Haushalte, die besonders unter den hohen Energiepreisen leiden, gezielter Geld vom Staat erhalten sollen, weniger nach dem Prinzip Gießkanne. Klar ist auch, dass unmittelbare Hilfen, also Direkt- und Einmalzahlungen, Vorrang vor steuerlichen Entlastungen haben sollen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Mittwochabend bei einem Bürgerdialog in Magdeburg erklärt, Unterstützungen mittels Steuernachlass seien komplex, für viele Arbeitnehmer auf den Lohnbescheinigungen kaum zu verstehen und würden deshalb nicht als wirkliche Hilfe empfunden.
Für die beiden vorangegangenen Entlastungspakete waren insgesamt 30 Milliarden Euro bereitgestellt worden. „Auf der Einnahmeseite sieht es gut aus, wir können uns ein weiteres Paket leisten. Falls nötig, verabschieden wir dafür einen Ergänzungshaushalt“, heißt es in Koalitionskreisen. In der Frage, wie die Mehrbelastungen finanziert werden sollen, herrscht allerdings noch keine Einigkeit. Möglich wäre, dafür weitere Schulden aufzunehmen. Das allerdings stößt bei der FDP auf Skepsis.
Variante zwei wäre, die Einnahmen zu steigern, zum Beispiel durch Erheben der von SPD und Grünen ins Spiel gebrachten Übergewinnsteuer. Damit sollen jene Unternehmen belegt werden, die in der aktuellen Krisensituation überdurchschnittlich gut verdienen. Wie die Mineralölkonzerne. Auch das will die FDP nicht mittragen.
Zu den Details darüber, wer wie entlastet werden soll, halten sich die Koalitionspartner bedeckt – zu groß ist die Gefahr, dass eine der drei Parteien durch vorzeitig durchgestochene Informationen verärgert würde und bereits gemachte Zusagen zurückziehen könnte.
Zu den unterschiedlichen Vorstellungen von SPD und Grünen auf der einen und der FDP auf der anderen Seite kommen nämlich auch noch Differenzen zwischen Sozialdemokraten und Grünen hinzu. Denn man könnte die Bürger auch entlasten, indem die sogenannte Gasumlage gesenkt wird oder gar nicht mehr von den Verbrauchern gezahlt werden müsste.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat zwar Korrekturen an der Umlage angekündigt, mit der die Kunden die Gasimporteure stützen sollen. „Aber wie hartnäckig die Grünen daran festhalten, dass die Gaskunden dafür bezahlen sollen, überrascht uns“, sagt ein SPD-Abgeordneter.
Ein weiterer Konfliktherd tut sich zwischen Bund und Ländern auf. Eine Verlängerung des Tankrabatts soll es nicht geben, auch nicht des 9-Euro-Tickets. Aber im Gespräch ist ein neues, ebenfalls stark verbilligtes Ticket, das bundesweit ab 1. Januar gelten könnte. Daran sollen sich aber nach dem Willen des Bundes die Länder finanziell beteiligen.
Doch die sehen allein die Bundesregierung in der Pflicht, wie die Landesverkehrsminister auf einer Sonderkonferenz am Freitag klarmachten. „Dieser Beschluss ist enttäuschend und nicht hilfreich“, kritisiert SPD-Fraktionsvize Detlef Müller. „Immer nur auf den Bund zeigen, ist der Lage unangemessen.“
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