US-Medien: Grenzen der Meinungsfreiheit

Alex Jones ist nicht das Problem. Gewiss, der Mann ist ein gefährlicher Zündler, man kann kaum verwerflichere Dinge tun, als die Opfer eines Massakers zu verhöhnen, Grundschulkinder zumal: Jones hatte behauptet, die Toten des Amoklaufs an der Sandy Hook Elementary School im Jahr 2012, davon 20 Schüler, seien nicht tot, sondern putzmunter. Er hatte die Angehörigen nur wenige Tage danach als Schauspieler beleidigt, engagiert von Politikern, die sich für strengere Waffengesetze einsetzen. Und er hatte seine Gefolgschaft angestachelt, die Beerdigungen der Opfer zu stören und Trauernde nicht nur zu belästigen, sondern zu bedrohen.

Jones zahlt den Preis für seine degoutanten, diabolischen Aussagen. Nachdem ihn ein Gericht in bereits zu 45,2 Millionen Dollar Strafe verurteilt hat, von denen er wegen der Gesetze im US-Bundesstaat Texas nur ein Zehntel wird zahlen müssen, lautet das Urteil des Gerichts in Connecticut nun: 965 Millionen Dollar. Es wird einen dritten Prozess geben; auch da geht es nur um die Höhe der Geldstrafe, insgesamt dürfte es mehr als eine Milliarde Dollar werden.

Das ist viel Geld, und Jones dürfte Privatinsolvenz anmelden müssen. Aber: Er ist weiterhin ein freier Mann mit riesiger Reichweite. Er stilisiert sich zum Opfer , nennt Prozesse gegen sich politisch motiviert, initiiert von Leuten, die ihm das Recht auf freie Meinungsäußerung nehmen wollen. Das Urteil kommentierte er live auf seiner Plattform, und da beginnt das Problem.

Jones hatte beim Prozess die Geschworenen aufgefordert, eigene Nachforschungen anzustellen; er sagte, dass er nichts und niemandem traue, weder demokratischen Prozessen wie Wahlen oder Gerichtsurteilen gegen ihn. Das sind gefährliche Aussagen, letztlich wurde er aber nicht deswegen angeklagt, sondern einzig deshalb, weil er sich mit Lügen bereichert haben soll. Er wurde verurteilt, weil er sich geweigert hatte, Dokumente zu übergeben und vor Gericht auszusagen. Er kann also nach wie vor behaupten – so krude das auch klingen mag -, niemals wegen seiner Lügen verurteilt worden zu sein. Aber es war eine Möglichkeit, ihn wenigstens irgendwie zu belangen.

Jones hat nach wie vor Plattform und Gefolgschaft, und das ist das wahre Problem: Er ist kein einsamer Irrer. Er ist Vorbild für alle Fakten-Vernachlässiger und Meinung-Rausposauner, die glauben, dass jeder Unsinn vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Die Aussagen so tarieren, dass sie gerade noch so juristisch nicht belangt werden können – wie die Anwälte von Fox-News-Zündler Tucker Carlson, deren Strategie in einem anderen Fall es ist, zu sagen, dass doch sowieso keiner für bare Münze nähme, was Carlson allabendlich sage. Erst vergangene Woche witzelte Carlson gemeinsam mit Rapper Kanye West über dessen rassistisches White-Lives-Matter-Shirt – und ob West, der sich „Ye“ nennt, damit auf Alex-Jones-Niveau angelangt sei.

Die Angriffsziele dieser Leute können nicht trauern um die sechs Jahre alte Tochter, die erschossen worden ist – weil sie Angst haben müssen vor den Anhängern der Das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen-dürfen-Fanatiker. Die Angehörigen des Sandy-Hook-Massakers unternahmen lange nichts gegen Jones, weil sie fürchteten, dass alles nur schlimmer werden würde und Jones sich auf dieses Recht der Meinungsäußerung berufen und unbehelligt bleiben würde.

Manche Dinge sind nun mal faktisch falsch – wie Jones‘ Behauptung von der Inszenierung des Massakers. Da hilft es nicht zu sagen, dass man alles hinterfrage. Es ist falsch, Punkt. Man muss auch nicht für jeden Unfug Verständnis aufbringen mit der Begründung, alle Meinungen zulassen oder andere Ansichten hören zu müssen. Wer die Eltern von gerade ermordeten Grundschulkindern verhöhnt und deren Leben zur Hölle macht, für den muss man keinen Funken Verständnis zeigen. Jede Person darf sagen, was sie will – aber sie muss die Konsequenzen dafür tragen. Wie Jones nun.

Die wichtigste Botschaft der Urteile gegen Jones ist: Man muss sich wehren gegen Leute, die der Welt schaden mit dem erwiesenermaßen Unsinn, den sie verzapfen – mit allen Mitteln, die einem eine Demokratie zur Verfügung stellt.

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